Rudi Völler über den nächsten Meister, die Musik in Deutschlands Stadien, Waldemar Hartmann und das große Glück, Profi-Fußballer sein zu dürfen
Es gibt Menschen, die Baulärm ganz schlecht vertragen. Rudi Völler gehört nicht zu ihnen. Obwohl der Arbeitsplatz des Sportdirektors von Bayer Leverkusen, die BayArena, gerade unter erheblicher Geräuschentwicklung erweitert wird, erscheint der 48-Jährige in bester Laune zum Interview. Dürfte schwer werden, diesen Mann heute so wütend zu machen, wie es vor fast genau fünf Jahren Waldemar Hartmann gelang.
Herr Völler, wären Sie froh, wenn es in dieser Saison zur Abwechslung mal keinen Absteiger gäbe?
Nein, warum?
Weil es Ihr Team Leverkusen am Ende erwischen könnte. Sie haben einen neuen, unerfahrenen Trainer, eine junge Mannschaft und Klubs wie...
Halt, ich bin mir sicher, dass wir mit Bruno Labbadia genau den richtigen Trainer haben. Der will hier etwas bewegen. Und wissen Sie, wer es in den letzten 14 Jahren nach Bayern am häufigsten in einen internationalen Wettbewerb geschafft hat?
Wenn Sie so fragen, vermute ich mal Bayer Leverkusen.
Genau. Und das können wir auch in diesem Jahr erreichen. Es gibt nur eben in diesem Jahr viele neue, überraschende Mitbewerber.
Sie meinen den VfL Wolfsburg, der alles kauft, was zwei Beine hat und Fußball spielen kann, und Hoffenheim, die alles kaufen, was in Zukunft mal zwei Beine hat und Fußball spielen wird?
Das haben Sie schön gesagt. Ich bewundere Wolfsburgs Trainer Felix Magath. Wie der dem VW-Chef das Geld aus dem Kreuz leiert, das ist schon ein Meisterstück.
Mitleid mit Ihnen müssen wir jetzt aber nicht haben, Herr Völler, oder? Schließlich lebt Leverkusen doch von den Sponsorengeldern eines großen Industriekonzerns ebenfalls sehr gut.
Stimmt, wir haben mit Bayer einen tollen Partner. Nur muss der eben auch sparen.
Können Sie mir mal erklären, was sparen in Ihrem Fall konkret heißt?
Gern. Wir mussten unser Gehaltsniveau, das wir vor sieben Jahren hatten, als wir mit Ballack das Finale der Champions League erreicht haben, um 50 Prozent senken. Heute verdient in Leverkusen jeder Spieler weniger als zum Beispiel die Nr. 13 und 14 beim FC Bayern.
Vor ziemlich genau fünf Jahren, am 6. September 2003, hatten Sie in Reykjavik nach einem 0:0 gegen Island Ihren großen Disput mit Waldemar Hartmann. Wutrede nannten das einige Zeitungen. Erinnern Sie sich gern an diesen Abend?
Das ist halt damals passiert. Da hatte sich etwas angestaut bei mir und das musste raus. Aber gern daran erinnern? Nein, und anschauen möchte ich mir diesen Auftritt auch nicht mehr. Obwohl ich zu dem, was ich gesagt habe, immer noch hundertprozentig stehe.
Auch zu den drei Weizenbieren, die Sie Waldemar Hartmann unterstellt haben?
Wissen Sie was? Waldi ruft mich seitdem einmal im Jahr an. Seit fünf Jahren klingelt immer am 6. September morgens mein Handy. Und Waldi bedankt sich. Ist wie in einer guten Ehe am Hochzeitstag. (lacht) Er hat unter den Weizenbieren ja auch nicht gelitten. Im Gegenteil. Er hat sogar einen Werbevertrag für sich herausgeholt.
Ist Günter Netzer Ihnen ähnlich dankbar. Dem haben Sie damals ja den Titel "Guru" verpasst.
Mit dem habe ich mich längst wieder vertragen. Obwohl ich in der Sache recht hatte. Dass in den 70er- Jahren nur tolle Länderspiele gelaufen sind, ist eine Legende. Selbst das sogenannte Jahrhundertspiel Deutschland gegen Italien bei der WM 1970 ist, wenn Sie es sich heute anschauen, bloß in der Verlängerung sehenswert. Davor ist das die beste Schlaftablette.
Das Kartellamt hat gerade entschieden, dass die Höhepunkte der Liga weiterhin vor 20 Uhr im Free-TV zu sehen sein müssen. Können Sie damit leben? Immerhin bedeutet das weniger Geld von den Pay-TV-Sendern.
Ich muss damit leben. Nur, was ist so schlecht an einer Sportschau um 22 Uhr? Im ZDF laufen zur gleichen Zeit Boxkämpfe. Da treten Leute gegeneinander an, da brechen Sie sich die Zunge, wenn Sie deren Namen aussprechen wollen. Die kennt kein Mensch. Trotzdem schalten sieben Millionen Menschen ein. Die Klubs müssen sehen, dass sie den Betrieb finanzieren.
Akzeptiert, aber ist eine Lounge für die Spieler und ein zwei Dutzend Mann starkes Expertenteam unbedingt nötig?
Unsere Spieler sind am Tag bis zu 11 Stunden auf dem Trainingsgelände. Denen können sie nicht bloß eine Kabine zum Umziehen anbieten. Aber Lounges oder Experten sind keine Revolution. In Italien gibt es solche Sachen seit 20 Jahren. Jürgen Klinsmann, der wie ich lange in Italien gespielt hat, hat dieses System von dort perfekt kopiert und etwas exklusiver interpretiert. Bei uns und anderen Klubs läuft das in bescheidenerer Form.
Na, wenn das den Spielern hilft... Interessanterweise haben englische Wissenschaftler allerdings gerade herausgefunden, dass ein Profi-Schlagzeuger, der mit einer Rockband 100 Konzerte im Jahr spielt, bessere Fitnesswerte aufweist als Ronaldo von Manchester.
Was soll man machen? Hat der Schlagzeuger als Kind wohl das falsche Hobby gewählt. (lacht) Kicken rentiert sich schon mehr, als auf der Trommel herumzuklopfen.
Finden Sie? Es gibt doch auch genug Schlagzeuger, die reich und berühmt geworden sind.
Ja?Viele können das nicht sein. Ringo Starr vielleicht. Aber das war ja wohl eher Zufall und lag nicht an ihm, sondern an den drei anderen.
Die Beatles, ist das Ihre Musik?
Manchmal. Mit 15, 16 habe ich auch sehr gern die Temptations gehört. "Papa Was a Rolling Stone" und so.
Klasse Song. Im Stadion hört man so etwas Gutes nie. Da ist immer nur ganz schlimmer Ballermann-Sound. Können Sie das nicht mal ändern?
Ab und zu würde ich mir auch wünschen, dass die mal ein richtiges Lied spielen, eines das mir gefällt. Das wollen die anderen Leute aber wohl nicht hören.
Zurück zur neuen Saison. Wer wird Deutscher Meister?
Wahrscheinlich wieder Bayern München. Obwohl ich glaube, dass sie es nicht noch mal so leicht haben werden wie letzte Saison. Aber es ist halt so: Wenn du als Spieler bei den Bayern einen Fünfjahresvertrag unterschreibst, wirst du 4 Mal Deutscher Meister. Da kannst du dich gar nicht gegen wehren. Aber in diesen fünf Jahren gibt's immer dieses eine Jahr, in dem die Bayern einen Hänger haben und andere, wie Schalke und Bremen, eine Chance.
Sie sind jetzt 48 Jahre alt. Im Manager-Magazin stand kürzlich, dass viele Sportdirektoren über 50 sind - und damit eigentlich zu alt für einen Job, der so nah an der Mannschaft ist. Sehen Sie das ähnlich?
Da ist was dran. Mit 60 will ich diesen Job nicht mehr machen. Doch das muss jeder für sich entscheiden. Auf der anderen Seite: Otto Rehhagel ist 70 und scheint mir nicht zu alt. Und Otto hat mir mal etwas gesagt, das ich nie vergessen habe.
Was war das?
"Hör nie zu früh mit dem Fußball auf. Wir sind von Gott geküsst worden", hat er gesagt. Fußballprofi zu sein, sei wie ins Kino zu gehen. Was er damit gemeint hat: Das Leben als Profi ist ein Traum, nicht die Realität. Eine Scheinwelt. Die Leute müssen ins Kino, wenn sie ihren Alltag vergessen wollen. Als Profifußballer hast du keinen Alltag. Das ist etwas sehr Kostbares.