Simon Rolfes ist einer der großen Gewinner der EM. Auch gegen Belgien und Liechtenstein überzeugte der defensive Mittelfeldspieler. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht der 26-Jährige über den Umgangston bei der EM, deutsche Tugenden und seine brave Spielweise.
SPIEGEL ONLINE: Herr Rolfes, Sie bekommen zur Zeit sehr gute Kritiken. Wenn es einen Vorwurf gibt, dann den, dass Sie zu brav spielen.
Rolfes: Gibt es im spanischen Mittelfeld einen, der anders spielt? Die sind auch alle 1,80 Meter groß und kommen wahrscheinlich ohne Gelbe Karten aus. Ich glaube, dass es heute einfach nicht mehr reicht zu sagen: "Jetzt gehen wir raus und grätschen die weg". Das Spiel wird immer mehr im Detail entschieden, die Mannschaften müssen technisch und taktisch sehr gut ausgebildet sein. Die deutschen Tugenden machen uns zwar zusätzlich stark. Sie alleine reichen aber nicht, um Spiele zu gewinnen.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie eigentlich auch böse sein?
Rolfes: Klar, wenn mich etwas sauer macht.
SPIEGEL ONLINE: Auf dem Platz gibt es dann wohl nicht allzuviel, das Sie sauer macht. Vergangene Saison haben Sie in 34 Einsätzen für Bayer Leverkusen nicht eine einzige Gelbe Karte bekommen.
Rolfes: Das hat eher etwas mit der Spielweise zu tun als mit Freundlichkeit. Diese Saison habe ich dafür schon eine. Die Quote ist also hinüber. Es gibt ja Gelbe Karten wegen Meckerns oder Ballwegschlagens, die einfach dumm sind, mit denen du dich nur selbst bestrafst.
SPIEGEL ONLINE: Und dann gibt es die Gelbe Karten, bei denen Führungsspieler einen Gegner umhauen, wenn es bei ihm gut läuft.
Rolfes: Genau so eine war das in dieser Saison in Stuttgart. Es gibt ja schon mal Situationen, wo man auch einmal Zeichen setzen sollte. Ich denke aber, dass es kein allzu schlechtes Zeichen ist, wenn man keine Gelbe Karte braucht, um eine Situation auf dem Platz zu lösen.
SPIEGEL ONLINE: In der Nationalmannschaft macht gerade Ihre Generation von sich reden – eine Generation, die öffentlich so wenig nach vorne prescht, dass sie von ihrem Trainer aufgefordert werden muss, die Etablierten unter Druck zu setzen.
Rolfes: Es ist doch positiv, dass der Trainer diese Entwicklung mit fördert. Es gibt Spieler, von denen liest man jede Woche etwas in der Zeitung und andere, wie Thomas (Hitzlsperger, Anm. d. Red.) oder mich, bei denen ist das nicht so. Aber ich glaube nicht, dass wir weniger ehrgeizig sind, nur weil wir nicht ständig Stimmung machen.
SPIEGEL ONLINE: Die Leistung zählt...
Rolfes: Genau, und letztendlich hat sich bei mir so alles von selbst ergeben. So bin ich in Leverkusen Stammspieler und Kapitän geworden, so bin ich zur Nationalmannschaft gekommen. Und so mache ich offenbar dort auch gerade den nächsten Schritt. Ich vertraue einfach darauf, dass ich auf dem Platz stehe, wenn ich zu den besten Elf gehöre.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Löws Worte also nicht als Aufforderung verstanden, medial offensiver aufzutreten?
Rolfes: Nein, eher als Aufforderung, noch ernsthafter unsere Ziele zu verfolgen, einfach dominanter auf dem Platz aufzutreten.
SPIEGEL ONLINE: Es fällt auf, dass in Ihrer Generation darauf verzichtet wird, Kollegen zu diskreditieren.
Rolfes: Dazu stehe ich auch. Wie soll denn jemand, den ich einen Tag vorher im Interview runter gemacht habe, plötzlich neben mir Leistung bringen. Dass jeder parallel dazu Einzelinteressen hat, ist klar. Jeder will schließlich spielen. Aber doch, weil ich besser bin, nicht weil ich einen anderen schlechter mache, als er ist.
SPIEGEL ONLINE: Der Umgangston auf dem Platz war bei der EM ein Thema.
Rolfes: Ich ahne schon, was kommt. Auf dem Platz geht es schon einmal lauter zu.
SPIEGEL ONLINE: Auch bei Ihnen in Leverkusen? Wie reagieren Sie dann als Kapitän?
Rolfes: Manche Dinge müssen klar und deutlich angesprochen werden, das mache ich auch. Aber auf meine Art. Wenn es in der Mannschaft harmonisch zugeht, braucht man keine abwertenden Äußerungen. Das bringt mal gar nichts. Dass man sich anspornt oder auch mal in den Hintern tritt, gehört aber dazu.
SPIEGEL ONLINE: "Du pennst" ist ok, "du kannst ja gar nichts" eher nicht.
Rolfes: So sehe ich das zumindest.
SPIEGEL ONLINE: Sie bilden zusammen mit Thomas Hitzlsperger ein Alternativgespann zu Ballack und Frings. Rechnen Sie damit, dass Sie wieder auf der Bank sitzen, wenn die beiden fit sind?
Rolfes: Das muss der Trainer entscheiden. Für uns beide ist die jetzige Situation aber schon auch eine Chance.
SPIEGEL ONLINE: Entsteht dadurch ein besonderer Druck?
Rolfes: Ich versuche das auszublenden, ich habe mich in der Vergangenheit öfter zu sehr unter Druck gesetzt und versuche es deshalb jetzt lockerer angehen zu lassen. Früher dachte ich immer jetzt oder nie. Heute eher: Wenn ich immer besser werde, kommt die Chance von selbst. Und wenn’s nicht hinhaut, wird es eine weitere geben.
SPIEGEL ONLINE: Als Sie mit 18 Jahren bei Werder waren, haben Sie den Durchbruch nicht auf Anhieb geschafft. War das so eine Situation, in der Sie verkrampften?
Rolfes: Zum Beispiel, aber das würde mir heute nicht mehr passieren. Bei der EM war ja auch nicht unbedingt davon auszugehen, dass ich spiele. Ich habe mir vorgenommen, ganz ruhig zu trainieren. Und plötzlich kam die Chance. Das Gleiche war nach meinem Wechsel nach Leverkusen, wo ich auch die ersten zwei Spiele auf der Bank saß. Wenn man ein bisschen los lässt, geht vieles einfacher.
Das Interview führte Christoph Ruf