Kotzübel nach gefressenen Toren

  • Letzte Woche noch waren sie sich sicher: das war der Startschuss. Mit 5:1 hatte Hannover zu Hause gegen Gladbach gewonnen. Am Freitagabend das umgekehrte Bild: 96 wurde in Leverkusen zerlegt – und war mit vier Gegentreffern noch gut bedient.


    Vergangenen Sonntag, als Hannover 96 seine Gäste aus Mönchengladbach mit 5:1 vom Platz gefegt hatte, lagen sich noch alle in den Armen. Vom »neuen magischen Dreieck« war in der Hannoverschen Neuen Presse die Rede, mit dem geläuterten Huszti, dem beweglichen Forssell und dem Torschützen des Monats, wenn nicht des Jahres, Jan Schlaudraff. Atemberaubende Auferstehung, rote Rückkehr – fünf Tage später schwingt das Stimmungs-Pendel wieder ins andere Extrem. Nicht aus Reflex, sondern weil die herbe Niederlage am Freitagabend bei Bayer 04 Leverkusen in der Tat ein historisches Ausmaß angenommen hat.


    Nachdem die Elf von Bruno Labbadia Hannover 96 in der BayArena spielerisch derartig zerlegt hat, dass selbst vier geschossene Tore eigentlich zu wenig waren, machte besonders ein Satz unter den Beobachtern immer wieder die Runde: »So etwas habe ich noch nicht erlebt.« Im Umfeld des Traditionsvereins von der Leine musste bislang noch niemand mit ansehen, wie sich die »Roten« bereits nach zwanzig Minuten aufgaben. In der Mannschaft von Dieter Hecking fand sich in der fünften Bundesligapartie der Saison niemand, der sich gegen die spielstarken Leverkusener auflehnte. Während sich der Defensivverbund ein ums andere Mal überrumpeln ließ, kam Hannover 96 auf der Gegenseite über die gesamte Spieldauer zu keiner einzigen Torgelegenheit.


    Entfesselte Leverkusener überrollen rote Rumpfelf


    Immerhin positiv anzurechnen ist, dass weder Hecking noch seine Spieler nach der Begegnung versucht haben, die bis zum Abend gezählten 15 verletzten oder kranken 96-Akteure als Alibi für die schlechte Leistung anzuführen. Mit Szabolcs Huszti und Bastian Schulz mussten sich zwei »Rote« sogar noch in den Katakomben unterm Bayer-Kreuz übergeben. Dieter Hecking war angesichts der Vorstellung seiner Elf vermutlich bereits zur Halbzeit kotzübel. Warum er allerdings in einer Situation, in der er sowieso zu ungewöhnlichen Maßnahmen gezwungen war, die limitierten Altin Lala und Sal Zizzo statt des unbekümmerten Kocka Rausch und des quirligen Gaëtan Krebs in die Mannschaft brachte, bleibt sein Geheimnis.


    Trotz der zweifellos extremen Personallage darf sich ein ambitionierter Verein wie Hannover 96 nicht wie geschehen abfertigen lassen. Bayer 04 dosierte über 90 Minuten nach Belieben das Tempo, setzte über seine schnellen Außen Tranquillo Barnetta und Renato Augusto immer wieder die gefährlichen Spitzen Stefan Kießling und Patrick Helmes in Szene. Besonders Letzterer hob die Verteidigung der Leinestädter regelmäßig im Alleingang aus den Angeln. Meistens düpierte Bayer jedoch geschlossen den selbst ernannten Uefa-Cup-Aspiranten durch formidabel vorgetragenen Ein-Kontakt-Fußball. Simon Rolfes präsentierte sich hinter dem agilen Arturo Vidal als famoser Spielgestalter moderner Prägung.


    Ohne Gegenwehr ins Verderben


    All das wäre in dieser Form nicht möglich gewesen, wenn sich die »Roten« entschieden gegen den Spielverlauf gestemmt hätten. Mario Eggimann sagte nach der Partie: »So etwas kann passieren, muss aber nicht.« Robert Enke sprach indessen zu Recht von einem »Offenbarungseid« und bemängelte, dass „man irgendwann doch mal drin sein muss in der Saison«. Galgenhumoristisch positiv fand der Keeper nur, »dass es hier nicht zweistellig ausgegangen ist«. Sein Trainer schlug realistisch in dieselbe Kerbe: »Wir hätten auch ein paar Tore mehr fressen können.«


    Im Hinblick auf kommenden Dienstag, wenn die »Roten« im Pokal bei Schalke 04 antreten, sollte Hannovers Coach nicht nur darauf hoffen, dass sich sein Lazarett lichtet. Vielmehr bleibt die Frage zu klären, wie seine Mannschaft auf die Frechheit von Leverkusen reagiert – wer auch immer in Gelsenkirchen aufläuft.


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