Fankultur
Fußball ist auch schwul
Früher haben sie sich versteckt, heute bringen sie Transparente im Stadion an: Schwule Fanklubs gibt es inzwischen fast überall in der Bundesliga. Die Fanklubs wollen auch Vorbild sein – damit sich vielleicht bald ein Spieler outet.
An den Samstag vor zwei Jahren erinnert sich Werner genau. Es war der 21. Oktober 2006, ein Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, als er und zwei Freunde sich im Berliner Olympiastadion über eine Ballustrade beugten und ein zwölf Meter langes, schmales Banner entrollten. „Fußball ist alles – auch schwul“ stand darauf in dicken schwarzen Lettern geschrieben. Dort, halb über das Geländer gelehnt, sah er aus den Augenwinkeln plötzlich hunderte Fotoblitze im gegenüberliegenden Fanblock aufleuchten. Werner schielte in Richtung Osttribüne, wo die Ultras sitzen. Auch von dort war das Banner gut zu lesen. „Ich war schon nervös“, gesteht er heute und grinst. Doch die Osttribüne verhielt sich ruhig, die Fotoblitze wurden weniger – seitdem hängt so ein Banner immer im Stadion, bei jedem Spiel von Hertha BSC.
Werner, groß und gebräunt, im blauen Poloshirt, ist 42 Jahre alt, Fußballfan – und der zweite Vorsitzende des schwul-lesbischen Hertha-Fanklubs, der Hertha-Junxx. Doch, großes Stadion-Banner hin oder her, seinen Nachnamen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen. Gegründet im Jahr 2001, waren die Berliner Junxx der erste schwul-lesbische Fanklub in Deutschland. Inzwischen gibt es davon ein gutes Dutzend, etwa in München und Dortmund, Stuttgart und Hamburg, Bielefeld oder Köln.
Beleidigungen kommen sogar von Offiziellen
Gegründet wurden sie alle, weil ihre Mitglieder genug hatten von homophoben Sprechchören und Witzen im Stadion, von Fans, die den Schiedsrichter als „schwule Sau“, das Spiel der gegnerischen Mannschaft als „schwuchtelig“ und den feindlichen Torwart hämisch als „homosexuell“ bezeichneten. Eine gute Abwehr bestehe aus Schwulen, „weil die von hinten richtig Druck machen“, lautet nur einer der vielen Witze, die unter Fußballfreunden kursieren. Mehr noch: die Beleidigungen schallen nicht nur über die Ränge im Stadion, sondern kommen sogar von Offiziellen. Erst Ende Mai 2008 sprach der Kölner Trainer Christoph Daum im Zusammenhang mit Homosexualität von notwendigem Jugendschutz. Inzwischen hat er sich beim schwulen Fanklub des 1. FC Köln, „Andersrum Rut-Wiess“, entschuldigt.
Für die homophobe Stimmung im Stadion haben die Hertha-Junxx eine einfache Erklärung. „Fußball ist die letzte Bastion der Männlichkeit“, meint Werners Freund Heinrich. Homosexualität werde als Angriff auf diese Männlichkeit gesehen. „Dabei“, sagt er und schüttelt verständnislos den Kopf, „hat die sexuelle Orientierung mit Fußball nichts zu tun“. So treffen sich auch die Hertha-Junxx vor allem wegen ihrer Begeisterung für Fußball – nicht wegen der Vorliebe fürs gleiche Geschlecht. Rund 40 Mitglieder im Alter von 18 bis Anfang 40 zählt der Klub zur Zeit, etwa 20 von ihnen engagieren sich aktiv und zehn gehen auch regelmäßig zusammen ins Stadion. Schwul sein ist für sie der gemeinsame Nenner, der das Zusammensein angenehmer macht. Nicht nur im Stadion, sondern auch beim Fußballspielen im Tiergarten, beim Grillen oder in der Kneipe.
Das Spiel mit Sieg oder Niederlage steht im Vordergrund
Ähnlich beschreibt es auch Dirk Brüllau, 45, vom FC-Bayern-Fanklub Queerpass. Dass sich Schwule oder Lesben in einem Fanklub zusammenfinden, sei absolut verständlich. „Kaffeetrinker und Südkurvensteher haben sich ja auch organisiert“, sagt er. Klar diskutierten die Männer von Queerpass (momentan gibt es nur drei weibliche Mitglieder) auch über attraktive Spieler, Lukas Podolski zum Beispiel oder Philipp Lahm. Auch die Berliner Junxx schwärmen – für Arne Friedrich. Und läuft Patrick Ebert ein, dann schallt es aus ihrer Ecke schon mal „Du hast die Haare schön“.
Doch das Spiel mit Sieg oder Niederlage, so betonen die Klubs, stehe natürlich im Vordergrund. Denn in erster Linie seien sie eben Fußballfans, die sich aktiv gegen Diskriminierungen jeder Art einsetzten. Wie viel Arbeit da noch zu leisten ist, wissen sie alle, egal ob in Berlin oder München. Neulich, beim Fußballschauen in der Kneipe – Hertha verlor gegen Bayern – hat Werner einen pöbelnden Fan zur Rede gestellt. „Zieht den schwulen Bayern die Lederhosen aus“, sang der.
Für Toleranz werben – aber nicht verprügelt werden
Dirk Brüllau erzählt, dass manche Queerpass-Mitglieder darum bitten, keine Post vom Fanklub mehr zu bekommen, weil das Logo auf dem Umschlag abgebildet ist. Der Briefträger könnte es ja sehen. Eigentlich tragen die Bayern-Fans auch Queerpass-Trikots, doch wer nach dem Spiel mit der S-Bahn zurück ins Münchner Umland fährt, zieht lieber eine Jacke drüber. Sie wollen zwar Präsenz zeigen, für Toleranz werben – aber nicht verprügelt werden.
„Mit der Kennzeichnung ,schwul-lesbisch’ diskriminiert ihr euch doch selbst“, lautet ein Vorwurf, den sich die Fanklubs oft anhören müssen. „Das ist natürlich schwierig zu widerlegen“, sagt Tanja Walther-Ahrens. Die 37-jährige, ehemalige Spielerin von Turbine Potsdam engagiert sich schon seit Jahren gegen Diskriminierung und Homophobie im Stadion und ist Projektleiterin bei der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF).
Hochrangigen Verbündeten: DFB-Chef Theo Zwanziger
Die Fanklubs sieht sie nicht als schwules Ghetto, sondern als eine Art „Schutzraum, in dem die Leute endlich sein können, wie sie wollen“. Mit Aktionsabenden gegen Homophobie, die der EGLSF gemeinsam mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) organisierte, will Walther-Ahrens das Thema weiter in die Öffentlichkeit bringen. Zwei der Abende fanden bereits statt, in Köln und Berlin. Vereine und Verbände unterschrieben dabei eine Erklärung gegen Diskriminierung. Ob sich langfristig etwas ändert, wird sich zeigen. Doch die Ex-Fußballerin ist überzeugt: „Wir müssen immer wieder darauf hinweisen und dürfen nicht aufhören.“
Bei den Vereinen integriert und akzeptiert, haben die Fanklubs seit einigen Jahren auch einen hochrangigen Verbündeten: DFB-Chef Theo Zwanziger. Der bekundet nicht nur öffentlich sein Interesse an Frauenfußball, sondern kämpft mit seinem Verband seit 2007 auch offiziell gegen Homophobie. „Es ist uns wichtig, dass Diskriminierung jeder Art, auch Homophobie, abgelehnt wird“, sagt Harald Stenger, Mediendirektor des DFB. In der Rechts- und Verfahrensordnung des Verbandes sind Sanktionen gegen schwulenfeindliche Äußerungen allerdings nicht explizit vorgesehen. Ob so etwas bestraft wird, muss, so sagt Stenger, „von Fall zu Fall entschieden werden“.
Momentan wäre das Coming-out eines Spielers sein Karriereende
Durch ihre Präsenz in der Bundesliga wollen die schwul-lesbischen Fanklubs nicht nur homophobe Sprüche unterdrücken, sondern auch Vorbild sein. Für die potenziellen schwulen Spieler, die es in der Liga möglicherweise gibt. Natürlich kursieren Gerüchte. „Die Spieler müssen das Gefühl haben, dass die Fans hinter ihnen stehen“, sagt Werner. Dass sich jemand in den nächsten Jahren outet, ist sein größter Wunsch.
Momentan, so sind sich alle einig, wäre das Coming-out eines Spielers jedoch sein sicheres Karriereende. Denn was derjenige von den eigenen Mannschaftskollegen, vor allem aber von den gegnerischen Fans einstecken müsste, sei noch immer kaum auszumalen. Positive Gegenbeispiele gibt es im Fußball nicht. Justin Fashanu, der einzige Profi, der je die Courage für ein Coming-out besaß, scheiterte. Der Brite outete sich 1990 – und nahm sich acht Jahre später, verfolgt von Presse und Öffentlichkeit, das Leben.
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