VON ROLAND LEROI
(RPO) Alle Fragen, ob sich Stefan Kießling nach seiner erneut guten Vorstellung nicht reif genug für eine Nationalmannschafts-Nominierung sehe, umkurvte der Fußball-Stürmer von Bayer Leverkusen ebenso geschickt, wie er zuvor die Abwehrreihe von Borussia Mönchengladbach düpiert hatte. „Ich freue mich, dass ich wieder mal getroffen habe, das ganze Team zeigte aber eine prima Leistung“, sagte Kießling mit grinsender Miene.
Zum 3:1 (2:0)-Erfolg der Werkself im Borussia-Park steuerte er zwei Tore bei (25. Minute, 37.). Den dritten Treffer im Bundesliga-Duell erzielte Patrick Helmes (54.), für Gladbach traf Tony Jantschke (61.).
Nach den beiden jüngsten Niederlagen gegen Bielefeld und Bayern München spielte Bayer wieder im Stile einer Spitzen-Mannschaft, die Leverkusen ja auch ist. „Die Situation war für uns nicht leicht, wir wollten unsere gute Ausgangsposition aber nicht einfach hergeben und uns in der Tabelle weiter durchreichen lassen“, sagte Bayer-Keeper Rene Adler.
Sein Trainer Bruno Labbadia drückte das so aus: „Wir haben die Möglichkeit, aus einer guten Hinrunde eine sehr gute Halbserie zu machen.“ Mit einem Sieg am nächsten Samstag gegen Cottbus ist noch die Herbstmeisterschaft drin.
Und am Ende sogar noch mehr. Während in der Öffentlichkeit bereits die Tage bis zum Rückspiel des Freitag-Gipfels zwischen dem aktuellen Spitzenreiter 1899 Hoffenheim und dem Branchenführer Bayern München gezählt werden, steht Leverkusen in Lauerstellung und könnte lachender Dritter im Titelkampf werden.
Bayer hat fast alles, was einen Meisterschafts-Kandidaten auszeichnet. Das Labbadia-Team spielt effektiv, setzt brasilianische Fußballkunst um, steht lernfähig nach Rückschlägen wieder auf und ist jung.
"Leverkusen ist sogar jünger als meine Mannschaft, und das ist schwierig", stellte auch Hans Meyer, Trainer vom Samstag-Kontrahenten Borussia Mönchengladbach fest. Bei den Gladbachern standen mit Tony Jantschke (18), Marko Marin (19) und Christian Dorda (20) gleich drei Jungspunde in der Startaufstellung. Die Bayer-Elf war im Schnitt aber nicht nur jünger, sondern zudem wesentlich erfahrener. Alleine der 24 Jahre alte Kießling bestritt bereits 138 Bundesligaspiele.
Diverse Defizite in der Abwehr wurden zwar offenbart, doch mit 20 Gegentoren funktioniert die Bayer-Defensive immer noch besser als die Verteidigung von Bayern München und Hoffenheim (jeweils 22 Gegentore). Auch Rene Adler hat seine Mini-Krise überstanden und glänzte mit tollen Parden.
Noch strukturierter funktionierte die Offensive der Gäste. Mit präzisen Pässen wurde das Mittelfeld überbrückt und Gladbach bekam die Grenzen aufgezeigt. Für Kießling war es geradezu eine Leichtigkeit schon vor der Pause seinen Doppelpack zu erzielen. Dem Gladbacher Innenverteidiger Filip Daems lief er zum 1:0 einfach davon, beim 2:0 profitierte Kießling von einer guten Vorarbeit des Tschechen Michal Kadlec.
Labbadia lobte Kießling nicht nur wegen seiner Effektivität. „Er hat auch ansonsten gut die Bälle erkämpft und gehalten“, fand der Coach. Sportdirektor Rudi Völler meinte gar, dass „der Kießling von heute ein anderer ist, als der Kießling, den wir 2006 gekauft haben.“
Der 24 Jahre alte Angreifer mag das bestätigen. „Ich bin gereift, habe viel dazu gelernt und meine Konstanz gefunden“, sagte Kießling. Großen Anteil an dieser Entwicklung habe sein zehn Monate alter Sohn Taylor. Als ruhender Pol diene die Familie, zudem „hält der Kleine mich ganz schön auf Trab.“
Jetzt freue er sich, dass er dem Team mit seiner Laufbereitschaft helfen kann und habe Spaß daran am guten Gesamtergebnis. Acht Saisontore gelangen "Kiesi" bereits, sein Sturmpartner Helmes (12 Tore) ist noch besser. Trotz der Jugend verfügt der Bayer-Angriff über eine bemerkenswerte Reife.
Zudem präsentiert sich Leverkusen lernfähig. Nicht nur die Pleiten gegen Bielefeld und Bayern wurden verarbeitet, sondern auch das "Trauma von Karlsruhe". Nachdem der Gladbacher Jantschke den Anschlusstreffer erzielen konnte, scheiterten Rob Friend (64.) und Michael Bradley (68.) aber an Adler. Anders als vor einem Monat in Karlsruhe (3:3) gab Bayer nicht eine 3:0-Führung aus der Hand. „Aus diesem Erlebnis haben wir gelernt, wir sind noch enger zusammengerückt“, erzählte Adler.
Es sind Siege wie diese, die Leverkusen nicht nur vom Einzug ins internationale Geschäft träumen lassen können. „He, vom Titel haben wir aber nie gesprochen. Das machen nur die Medien“, sagte Kießling, der meinte, dass „uns die letzten Niederlagen stark gemacht haben.“ Natürlich sei es aber sehr schön, ganz oben zu stehen", gab Kießling selbstverständlich zu.
"Leverkusen kann uns nicht das Wasser reichen", hatte Bayern-Manager Uli Hoeneß zwar vor einer Woche nach dem 2:0-Erfolg in der BayArena gemeint, doch auf Strecke könnte er sich irren. Bayer-Trainer Labbadia wurde als Spieler bereits Meister und weiß, wie das funktioniert. Es ist daher keine allzu kühne Prognose, dass Leverkusen demnächst Meister wird. Es muss ja nicht direkt in dieser Saison passieren.
Quelle: Rheinische Post