20 Jahre danach: Goalgetter Ulf Kirsten machte zuerst in der DDR, dann im neuen Deutschland Fußball-Karriere.
Die Buben, die Ulf Kirsten heute fördert, haben die Deutsche Demokratische Republik und ihre Sport-Maschinerie gar nicht erlebt. Auch sein Sohn nicht, der für Dynamo Dresden kickt wie er vor zwanzig Jahren, als sich eine sportliche Weltmacht auflöste.
Der dreifache Torschützenkönig der deutschen Bundesliga pendelt oft zwischen Leverkusen und Dresden. Im Westen betreut er das Regionalliga-Team von Bayer 04. Im Osten leitet er die "Ulf-Kirsten-Stiftung" zugunsten der Nachwuchsarbeit seines Ex-Klubs.
"Die Wirtschaft steht nicht dahinter", sagt er und nennt damit den Hauptgrund, warum Dynamo auf einem Abstiegsplatz der 3. Liga herumkrebst. Und warum sich auch andere DDR-Klubs im Niemandsland befinden.
Für die DDR und für Deutschland spielte Kirsten gegen Österreichs Team, für Dresden und für Leverkusen gegen österreichische Klubs. Über die Begegnung mit Rapid in der Europacup-Saison 1984/’85 ärgert er sich noch heute hörbar, obwohl ihm im Hinspiel das erste seiner acht Europacup-Tore gelungen war: "Das ging nicht mit rechten Dingen zu", sagt er über den Aufstieg Rapids (0:3 in Dresden; 5:0 in Wien). Seinem besten Freund Ralf Minge sei ein reguläres Tor aberkannt worden. Die DDR hatte keinen guten Stand im europäischen Fußball. Der war sogar schlechter als jener Österreichs. Fünf Jahre später brach das System sowieso zusammen: "In den letzten paar Monaten haben wir alle sehnsüchtig auf die Wende gewartet", erzählt der heute 44-Jährige dem KURIER. "Wir haben nicht politisch gedacht, sondern rein sportlich: Bundesliga – das war großer Fußball, Geld und Karriere."
Märchenstunde
Und Kameradschaft? In welchem System war die denn besser? Ulf Kirsten denkt lang nach: "In der DDR. Dort konnten wir nicht so einfach den Verein
wechseln." In der Bundesliga seien Kollegen eher Zufallsbekanntschaften. Die schönen Fußball-Märchen von der Vereinstreue und von den elf Freunden lebten eher im ehemaligen Osten.
Die meisten der alten Ost-Freunde haben sich in alle Westwinde zerstreut. Andere arbeiten mit dem Nachwuchs ihrer Klubs. "Es braucht ein paar Jahre, aber Talente gibt es in den neuen Bundesländern viele."
Kirsten vergleicht den Osten mit Österreich: "Auch ihr habt Talente und eine Wirtschaft, die nicht so ganz auf den Fußball setzt." Stimmt. Und das trotz EURO ’08. "Eine vergebene Chance. Sehr schade ist so was ..."
Demnächst, so glaubt der vorletzte „DDR-Fußballer des Jahres“ (1990), könnten sich ein paar Klubs wieder erholen: Cottbus, Rostock und FC Magdeburg haben neue Stadien. Auch in Dresden wird gebaut. "Baustellen, wohin man schaut", seufzt Kirsten. Denn in Leverkusen ist gerade der Umbau voll im Gang. Ausgerechnet ins Stadion des Lokalrivalen Köln müsse sein Team ausweichen. "Damit haben wir nur 150 statt 800 Fans. Und nur Auswärtsspiele für die jüngste Mannschaft der Regionalliga!" In dieser Beziehung denkt Kirsten fast wehmütig an Dresden: "Dort sind die Fans bis heute treu geblieben."
Wehmütig denkt er wohl auch an seine Zeit in zwei Nationalteams: 49 Matches für die DDR, 51 für das neue Deutschland. Macht 100. Berti Vogts hat verhindert, dass sich Kirsten Europameister nennen darf: Ausgerechnet 1996 fehlte er nämlich im siegreichen EM-Kader der Deutschen.
Vielleicht war er das letzte Opfer westlicher Ressentiments gegenüber den Kickern aus dem Osten.
Artikel vom 10.01.2009 17:15 | KURIER | Jürgen Preusser