Frankfurter Rundschau: Die Kälte hat Deutschland fest im Griff. Fast alle Fußball-Bundesligisten sind dem deutschen Winter durch ein Trainingslager entkommen – Bayer Leverkusen ist wieder nach Belek in die Türkei gereist. Vielleicht das letzte Mal. Nächstes Jahr soll die Saison schon wieder am 15. Januar beginnen und am 8. Mai enden. Heißen Sie das gut?
Rudi Völler: Wir müssen umdenken und genau abwägen, ob man noch ins Trainingslager fährt. Vielleicht muss man dann auch kurzfristig reagieren. Eines ist klar: Bei Minusgraden wie zuletzt, kann man nicht in Deutschland bleiben. Da geht trotz Rasenheizung nichts. Das Problem ist ja der Rahmenterminplan, den Uefa und Fifa machen – der tut weh. Nächste Saison ist ja das Champions-League-Endspiel an einem Samstag, das wollte ja Michel Platini unbedingt. Dadurch reißt man allen Ligen im Mai, zur besten Spielzeit, einen Spieltag weg. Es ist ja eigentlich ein Wahnsinn, dass den halben Mai und den ganzen Juni nicht gespielt wird.
Der nächste Spielplan ist also eine Fehlplanung?
Das kann im Januar gut gehen, das kann aber ein großer Reinfall werden. Es kann mir keiner erzählen, dass es im Januar bei dieser Witterung Spaß macht, im Stadion zu sitzen. Da verstehe ich jeden Zuschauer, der zuhause bleibt.
In Spanien oder Italien kennt man nur eine kurze, in England gar keine Winterpause. Das ist also auch nicht der Idealzustand?
Nein. Zu England und zur Premiere League muss ohnehin mal was gesagt werden.
Was?
Wir machen uns in Deutschland ja gerne viel schlechter als wir sind. So genannte Experten behaupten oft ungeprüft, in England sei alles besser, da würde viel schneller und besser Fußball gespielt. Jens Lehmann behauptet das ja auch. Klar, das ist bei Manchester, Liverpool, Arsenal und Chelsea so. Aber warum? Das ist weder etwas mit den Trainern noch den Trainingsmethoden zu tun, sondern einzig und allein damit, dass dort das meiste Geld bezahlt wird und die besten Spieler der Welt unter Vertrag sind. Aber mir kann doch keiner erzählen, dass Middlesbrough, Portsmouth oder Aston Villa besser sind als unsere Vereine mit einer vergleichbaren Tabellenposition. Wir haben doch vor zwei Jahren gegen Blackburn im Uefa-Cup gespielt: Drei Stück haben die von uns bekommen. Wenn mir einer sagt, dass die schneller spielen als wir oder Hoffenheim, dann lache ich mich kaputt. Das stimmt einfach nicht.
Wird die Premiere League von vielen Verantwortlichen der Liga, auch von der DFL, zu sehr glorifiziert?
Warum, frage ich mich, ist kaum ein junger deutscher Nachwuchsspieler auf der Insel besser geworden? Warum kommen sie fast alle wieder zurück? Ganz zu schweigen von den Torhütern: Die Engländer sind seit 50 Jahren ja nicht in der Lage, einen vernünftigen Torwart auszubilden. Seit Gordon Banks haben die keinen gescheiten Keeper mehr hervorgebracht. Fast 15 Jahre lang sind die englischen Spieler der Musik hinterhergelaufen. Es ist ein Schwachsinn, dass in England alles bombig ist.
Also kann sich die Bundesliga im Vergleich durchaus sehen lassen?
Na klar, Aston Villa haut viel mehr Kohle raus als der Hamburger SV. Wir müssen uns nicht kleiner machen als wir sind. Die Uefa-Fünf-Jahreswertung gibt unser Standing ganz gut wieder, da sind wir auf Platz vier, was daran liegt, dass die ausländischen Topteams einen Vorsprung haben. Außer Bayern München kann keine deutsche Mannschaft auf absehbare Zeit die Champions League gewinnen. Die haben sich ihren wirtschaftlichen Background aber auch hart erarbeitet. Dafür können die Bayern mit einem Gehaltsvolumen von mehr als 100 Millionen Euro hantieren – der nächste hat in der Bundesliga nur die Hälfte zur Verfügung. Wer in München einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschreibt, wird wahrscheinlich drei- bis viermal deutscher Meister. Dagegen kann er sich gar nicht wehren. So viel kann ein Trainer oder Spieler gar nicht verkehrt machen. Die Bayern haben vielleicht ein schlechtes Jahr, dann gibt es ein bisschen Radau – und dann gewinnen sie wieder drei Titel hintereinander.
Welchen Trend beobachten Sie in der Bundesliga?
Den zur Drei-Klassen-Gesellschaft. Wir haben mittlerweile zehn Mannschaften, die um die internationalen Plätze spielen. Ein einziges Hauen und Stechen, wobei nur einer – Bayern München – wirklich die Garantie hat, dabei zu sein. Drei Vereine spielen die Mittelfeld-Mini-Meisterschaft aus – Eintracht Frankfurt, Hannover 96, und der 1. FC Köln. Das ist eine kleine Liga in der Liga. Und die restlichen Fünf kämpfen gegen den Abstieg. Das wird sich die nächsten Jahre nicht wesentlich ändern.
In Deutschland ist nach der Hinrunde vor allem über Hoffenheim und Bayern gesprochen worden. Auch Leverkusen hat mit einer jungen Mannschaft begeisternden Fußball gespielt. Fühlt man sich ein bisschen unterbewertet?
Nein. Wir haben es uns verdient, dass das ein bisschen untergegangen ist, weil wir in den letzten Spielen unter unseren Möglichkeiten geblieben sind. Wir haben tolle Spiele abgeliefert, aber am Ende war es dann nicht mehr so toll. Und man muss ja mal sagen: Hut ab vor Hoffenheim. Wer mit einer fast unveränderten Mannschaft durchmarschiert, der darf auch abgefeiert werden.
Vor einem Jahr haben Sie sich von ihrem Freund und Vertrauten Michael Skibbe trennen müssen. Haben Sie gedacht, dass der Übergang so nahtlos klappt?
Es geht ja immer weiter im Profigeschäft. Das ist der normale Lauf. Es war leider nicht mehr zu verändern, aber der Michael und ich haben trotzdem noch ein gutes Verhältnis. Als wir in Belek gegen seinen Verein Galatasaray Istanbul gespielt haben, haben wir uns danach mal wieder lange zusammengesetzt. Ich bin sicher, dass er in der Bundesliga wieder auftauchen wird. An seinem Nachfolger Bruno Labbadia beeindruckt mich seine Akribie, seine Passion, seine Verbissenheit, Trainer zu sein. Aber unsere Mannschaft ist auch nicht so schlecht: Wir haben eine Kader, mit dem man was bewegen kann.
Ihr Anteil an deutschen Nationalspielern ist größer als der beim FC Bayern. Dazu kommen entwicklungsfähige Spieler mit beachtlichem Potenzial. Aber kann sich Leverkusen wirklich davor schützen, dass Leistungsträger wechseln, wenn ihnen Gagen von fünf, sechs Millionen angeboten werden?
Das wird immer passieren – das ist ja auch zu Zeiten geschehen, als wir mehr Geld investiert hatten. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem wir solche Spieler nicht mehr halten können. Da darf man auch nicht lamentieren. Deshalb ist es so wichtig frühzeitig, adäquaten Ersatz zu bekommen. Einen Patrick Helmes ablösefrei zu holen oder einen Renato Augusto unter seinem eigentlichen Wert zu kaufen. Diese Spieler wissen auch, dass Leverkusen eine Plattform bietet, um ein Weltstar zu werden.
Der 20-jährige Renato Augusto ist eine der positiven Überraschungen. Der Brasilianer hat nun gerade seinen Vertrag bis 2014 verlängert, wobei es für die ersten drei Jahre keine Ausstiegsklausel gibt. Warum liegt Bayer bei den Brasilianern fast immer richtig?
Wir liegen mit einigen Dingen schon seit vielen Jahren richtig; wir haben es nur nicht so herausposaunt und gleich zu allem eine Pressekonferenz gegeben. Und was funktioniert, ist eben auch unser Scouting; Norbert Ziegler ist da für Südamerika zu nennen. Manchmal nimmt es auch eine Eigendynamik an, die nicht zu steuern ist. Eigentlich wollten wir im Sommer ja den Verteidiger Thiago Silva verpflichten, der jetzt beim AC Mailand gelandet ist. Aber den konnten wir nicht bezahlen. Da haben wir uns entschieden, Renato Augusto zu holen, obwohl der eine ganze andere Position spielt. Aber seinen Weg hatten wir seit Jahren verfolgt und waren von seinem hohen Potenzial überzeugt. Kürzlich beim Hallenturnier in Köln haben ihm die FC-Fans Standing Ovations gespendet – ein größeres Lob für einen Spieler aus Leverkusen kann es nicht geben.
Interview: Frank Hellmann
Quelle: fr-online