LEVERKUSEN-TRAINER LABBADIA
"Was ich tue, muss immer das Größte sein"
Sein Team spielt neben Hoffenheim den mitreißendsten Fußball der Bundesliga. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Leverkusen-Trainer Bruno Labbadia über sein Leben als Workaholic, den fehlenden Respekt vor Trainern und seine Ziele mit Bayer.
SPIEGEL ONLINE: Herr Labbadia, gibt es in Leverkusen überhaupt nichts zu kritisieren?
Labbadia: Wie meinen Sie das?
SPIEGEL ONLINE: Ihnen wurde vorgeworfen, die Vorbereitung sei zu gut verlaufen.
Labbadia: Darüber habe ich mich auch gewundert. Aber die Spieler haben im Urlaub sehr gut gearbeitet, die Grundlagenausdauer war deshalb da, und wir konnten gleich mit dem Ball trainieren.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch reichte es zum Auftakt der Rückrunde in Dortmund nur zum 1:1. Was fehlt noch?
Labbadia: Es hat sicherlich die Chancenverwertung gefehlt. Ansonsten haben wir nahtlos an das Cottbus-Spiel im Pokal (3:1) sowie die Testspiele zuvor angeknüpft.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Mannschaft hat in der Hinrunde neben Hoffenheim den spektakulärsten Fußball gespielt. Und das, obwohl Sie als Trainer erst ein halbes Jahr im Amt sind. Warum?
Labbadia: Zunächst: Weil wir uns im Spiel gegen den Ball enorm verbessert, also defensiv eine gute Ordnung haben. In der Offensive haben die Automatismen immer besser funktioniert. Und die taktische Disziplin stimmt auch.
SPIEGEL ONLINE: Jetzt kommt Toni Kroos von den Bayern. Was für eine Rolle soll er spielen?
Labbadia: Er muss nach seiner Bänderverletzung erst einmal wieder fit werden. Dann erhoffen wir uns von ihm, eine erstklassige Alternative für unser ohnehin sehr gut besetztes Mittelfeld zu haben.
SPIEGEL ONLINE: Verliert Leverkusen nicht in jedem Fall? Wenn Kroos gut spielt, wird er aller Voraussicht nach im Sommer wieder zu den Bayern zurückkehren.
Labbadia: Ich gehe davon aus, dass er die nächsten eineinhalb Jahre für uns spielt. In dieser Zeit werden wir mit ihm arbeiten und sind uns sicher, dass er uns weiterhelfen wird.
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen sehr euphorisch über Ihr Team. Am Anfang wirkten Sie noch distanziert. Lag das daran, dass es eigentlich nicht Ihr Kader ist? Die Mannschaft stand ja schon, als Sie unterschrieben.
Labbadia: In Darmstadt und Fürth habe ich jeweils den kompletten Kader zusammengestellt, das ist schon ein Unterschied. Aber ich habe mir Leverkusen auch ausgesucht, weil es mein größter Antrieb ist, den Fußball spielen zu lassen, den ich vor Augen habe. Und mit dem Kader, der da war, schien mir das realistisch. Meine Einschätzung hat sich bestätigt. Es ist für mich spannend, das Projekt Bayer 04 Leverkusen zu begleiten und zu beeinflussen, um die nächsten Schritte vorzubereiten.
SPIEGEL ONLINE: In Darmstadt wollten Sie noch perfekten Offensivfußball spielen lassen.
Labbadia: Ich habe dann aber schnell erkannt, dass jene Mannschaften noch mehr Erfolg haben, die auch schlechte Spiele gewinnen. Ich habe mein Team also plötzlich gelobt, wenn es mal einen schlechten Tag hatte und trotzdem gewann. So sind wir auch hier in Leverkusen in die Vorbereitung gegangen: Egal, wie wir körperlich drauf waren, wir wollten das Spiel gewinnen. Wenn es wegen der Erschöpfung nicht durch aggressives Pressing ging, dann eben durch taktische Ordnung. Spiele, die man so gewinnt, entscheiden die Meisterschaft.
SPIEGEL ONLINE: Wie zuvor in Darmstadt und Fürth haben Sie auch in Leverkusen gesagt: Das hier ist wie in Barcelona zu arbeiten. Was meinten Sie damit?
Labbadia: Was ich momentan tue, muss das Größte sein. Ich muss immer das Gefühl haben, dass es derzeit der beste Verein für mich ist, bei dem ich gerade arbeite. Ich brauche Begeisterung für meine Arbeit.
SPIEGEL ONLINE: Sie gelten als Workaholic. Welchen Preis haben diese Akribie und Hingabe?
Labbadia: Freunde werden vernachlässigt, die Familie kommt zu kurz. Ich muss mich immer wieder erinnern, dass das nicht passieren darf. Ich würde gern öfter einfach nach Hause kommen, mit meinen Kindern was machen, mit meiner Frau einen Kaffee trinken, private Dinge aufarbeiten, profane Dinge wie Post lesen. Das bleibt alles liegen. Aber ich kann mich glücklich schätzen, dass meine Familie das alles so mitträgt.
SPIEGEL ONLINE: Andere würden jetzt sagen: Der Labbadia leidet auf hohem Niveau.
Labbadia: Das könnte man so sehen. Ich mache das aber gerne, denn ich verdanke dem Fußball das Leben, dass ich führen darf. Ich habe Kaufmann gelernt und kann mir nicht vorstellen, dass ich in dem Job nur annähernd so ein interessantes Leben gehabt hätte. Aber es ist auch alles so schnelllebig, man rast ja so durch dieses Leben. Es bleibt kaum Zeit zum Atmen, ständig gibt es neue Höhepunkte und Tiefen. Ich wollte nie ein eintöniges Leben, und dafür zahle ich eben den Preis.
SPIEGEL ONLINE: Hat ein Fußballtrainer eine Heimat?
Labbadia: Meine Heimat ist da, wo meine Familie ist und mein Haus steht. Viele haben sich gewundert, dass ich mein Haus in Darmstadt verkauft habe. Wir hatten viel investiert, Liebe und Kraft reingesteckt. Aber ich musste alles Vergangene hinter mir lassen, sonst könnte ich nie diese Intensität in den neuen Job investieren. Vier Wochen hat es gedauert, dann war der Sportplatz hier in Leverkusen mein Zuhause.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben das Ziel, dass irgendwann ein Verein komplett Ihre Ideen umsetzt. Das klingt utopisch und nach Hoffenheim.
Labbadia: Erstens: Es ist ein Traum, und wir leben in der Realität. Ich will hier ja gar nicht alles anders machen, ein guter Verein braucht drei, vier gute Köpfe, von denen jeder seinen Bereich top macht. Leverkusen ist sicher eines der spannendsten Projekte momentan.
SPIEGEL ONLINE: Und Hoffenheim?
Labbadia: In Hoffenheim gibt es keine Alt-Internationalen, keine Strömungen, man kann alles verändern. Wenn Sie Ralf Rangnick fragen, könnte ich mir vorstellen, dass er Ihnen sagt, dass Tradition heute auch ein Problem sein kann.
SPIEGEL ONLINE: Hoffenheim wird von Mäzen Dietmar Hopp mit Millionen unterstützt, Wolfsburg von Volkswagen. Ihr Club hat hingegen zu Saisonbeginn...
Labbadia: ... rund 50 Prozent Personalkosten gespart, ich weiß. Aber Bayer 04 hat im Rahmen seiner Möglichkeiten alles richtig gemacht. Hier gibt es eine junge Mannschaft mit toller Perspektive, auch wenn das Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen weckt. Wir brauchen deshalb kurzfristigen Erfolg als Argument für die Spieler, die sonst vielleicht gehen würden. Sie sollen sich fragen: Wo sonst kann ich mit 26 Kapitän sein, mit 24 Führungsspieler und international spielen?
SPIEGEL ONLINE: Sie haben nach der Zeit in Darmstadt in Barcelona hospitiert. Was schätzen Sie an diesem Club?
Labbadia: Das klare Konzept, die Philosophie. Und es gab immer wieder eine erfolgreiche Ära, angefangen mit Johan Cruyff, heute spielen sie auch wunderschönen Fußball. Der AC Mailand mit Arrigo Sacchi hat mich auch fasziniert. Der frühere Chefausbilder des DFB, Erich Rutemöller, hat mir von zwei deutschen Hospitanten erzählt, die Ende der Achtziger bei Sacchi waren. Ich wollte sofort die Berichte haben. Arsène Wenger macht bei Arsenal auch erfolgreiche Arbeit. Aber wissen Sie, was mich stört?
SPIEGEL ONLINE: Bitte...
Labbadia: In Deutschland neigen wir dazu, alles zu glorifizieren, was aus dem Ausland kommt. Wir haben eine unglaublich interessante Liga, ein äußerst attraktives Markenprodukt. In England sind seit Jahren die ersten Vier die gleichen, in Italien kommen keine Zuschauer in die Stadien.
SPIEGEL ONLINE: Im Ausland scheint aber der Trainer ein höheres Ansehen zu genießen.
Labbadia: Es macht mich traurig, dass bei uns ein unglaublich erfolgreicher Coach wie Ottmar Hitzfeld in München nach vier oder fünf Jahren als verbraucht bezeichnet wird, nur weil es mal nicht so gut läuft. Alex Ferguson und Arsène Wenger erleben das in Manchester oder bei Arsenal auch immer wieder. Nur wird dort dann eben die Mannschaft statt des Trainers erneuert und damit stellten sich auch wieder die Erfolge ein. Der Stellenwert des Trainers sollte in Deutschland meines Erachtens größer werden.
SPIEGEL ONLINE: Ohne Erfolg wäre auch Ferguson nicht mehr bei seinem Club.
Labbadia: Aber die zeitlichen Dimensionen, in denen Erfolg gemessen wird, haben sich verändert. Hätte ein Trainer vor ein paar Jahren den Durchmarsch von der Regionalliga in die Bundesliga geschafft, stünde in der Stadt ein Denkmal. Würde es dann in der Bundesliga gegen den Abstieg gehen, heißt es schnell: Warum steht ihr da?
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sie damit um?
Labbadia: Für mich muss es immer das Größte sein, was ich gerade tue. Dann kann ich auch mit den Mechanismen dieses Geschäfts sehr gut umgehen.
Das Interview führte Christian Gödecke
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,604674-2,00.html