Er hat einen Fehler gemacht. René Adler hat sich den Amaretto-Keks in den Mund gesteckt, der auf der Untertasse seinen Milchkaffees lag. Genau in dem Moment, als er anfangen wollte zu sprechen. Jetzt hustet er, windet sich ein wenig, räuspert gegen das widerspenstige Feingebäck an. "Tut mir leid", haucht er nach bestandener Prüfung.
Wenn man böse wäre, könnte man jetzt sagen, die Fehler häufen sich. Eigentlich wollte René Adler ja gerade über jenen Lapsus vom vergangenen Samstag reden, als er im Tor von Bayern Leverkusen einen Freistoß des Stuttgarters Thomas Hitzlsperger über seinen Scheitel rutschen ließ. Ein Freistoß, der zugegebenermaßen auf dem Radarmessgerät der meisten europäischen Autobahnen Alarm ausgelöst hätte. Ein Freistoß, den ein deutscher Nationaltorwart aber trotzdem hätte halten müssen. "Da lüge ich mir nicht in die Tasche", sagt René Adler. Sein Vorsprung als meist gelobter Torhüter Deutschlands mag sich am Wochenende ein wenig verkürzt haben, in der Rubrik ehrlichster Torhüter des Landes hat er seine Stellung behauptet. Über Ausreden spricht er nicht.
René Adler strahlt mit seinen 23 Jahren eine bemerkenswerte Reife aus. Seine Stimme ist ruhig und sanft, aber nie schläfrig. Was er sagt, wirkt wohlüberlegt, aber nie vorgestanzt. "Wichtig ist, dass ich authentisch bleibe", sagt Adler. Wie viele Beispiele belegen, ist das in seinem Berufszweig keineswegs einfach. Gerade wenn es so schnell bergauf geht wie bei ihm, der im Sommer 2006 noch ans Aufhören dachte, weil er ständig Rückenschmerzen hatte und im März 2007 nach seinem vierten Bundesligaspiel erstmals zum Spieler des Monats gekürt wurde. Die Fachwelt überbot sich gegenseitig mit Superlativen und Bestnoten: eins plus, eins plusplus, null minus.
René Adler sagt, er mochte diese überzogenen Lobeshymnen nicht besonders. Aber er wusste auch, dass er sie nicht verhindern konnte: "Da kommt einer wie Phoenix aus der Asche, ist plötzlich im Rampenlicht und macht seine Sache ganz gut. Das hat natürlich eine gewisse Eigendynamik." Dazu gehört allerdings auch, dass es umso mehr Häme gibt, wenn der scheinbar Unbezwingbare dann doch mal hin und wieder menschelt. Beim Länderspiel im November gegen England machte Adler erstmals Bekanntschaft mit dieser Art der Eigendynamik. Er sprang an einem Eckball vorbei. Dann folgten in kurzen Abständen zwei weitere Fehler in der Bundesliga. Und nachdem am Sonntag jenes auf 125 km/h beschleunigte Geschoss von Thomas Hitzlsperger hinter ihm eingeschlagen war, hieß es plötzlich: Joachim Löw hat ein Torwartproblem.
Natürlich unter Druck
Adler sagt, er profitiere von solchen Situation. Jedes Spiel, jede Parade, jeder Fehlgriff sei eine Entwicklungsstufe in einem Lernprozess. Das Wort Rückschlag gibt es nicht in Adlers Welt. Aber eine der Lektionen, die er gelernt hat, ist auch die, dass man ihm nicht allzu viel Zeit zum Lernen geben wird. Im nächsten Jahr ist wieder Weltmeisterschaft und das Volk will beizeiten wissen, wer das Tor bewacht. Da kann der Bundestrainer noch so lange von einem konstruktiven Konkurrenzkampf reden. "Als junger Nationaltorwart steht man da natürlich unter Druck", sagt Adler.
Nationaltorwart, hört er sich sagen. Dann korrigiert er gewohnt reaktionsschnell, sagt lieber nur: Torwart. Das ist ja das absurde an seiner Situation. René Adler will einen Job, um den er sich nicht bewerben darf. Wo er hinkommt, was er macht, wie er sich auch windet, überall fragen sie ihn, ob er bei der WM 2010 in Südafrika die Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft sein wird. Sagt er gar nichts, gilt er als medienscheu, sagt er irgendwas, gilt er als langweilig. Sagt er aber ja, das hat Adler bei seinen Konkurrenten Wiese, Enke, Hildebrand und Rensing gesehen, dann wird man ihm beim nächsten kleinen Fehler vorhalten, er sei anmaßend. Also sagt Adler: "Auf meiner Sporttasche ist die Nummer eins. Aber das heißt noch lange nichts."
Wichtiger als das, was die Sporttasche sagt, ist beim DFB immer noch das, was Joachim Löw sagt. Und der hat Adler verraten, dass er am Mittwoch beim Testspiel gegen Norwegen im Tor stehen wird (20.30 Uhr/ARD). Nach allem, was die Videoanalyse gezeigt hat, gibt es im Team der Norweger niemanden, der mit 125 km/h schießen kann. Adler sagt, er sei ganz froh, dass der Hitzlsperger am Mittwoch in seiner Mannschaft spielt.
Quelle: Berliner Zeitung vom 11.02.2009