Die Sucht nach Talenten

  • Parallelen zwischen Leverkusen und Hoffenheim


    Die Sucht nach Talenten


    Bayer Leverkusen und 1899 Hoffenheim stellen die jüngsten Mannschaften der Liga. Das kommt nicht von ungefähr, denn beide Mannschaften verfolgen eine ähnliche Philosophie.
    Marvin Comppers Karriere war ins Stocken geraten. Kam er in der Abstiegssaison 2006/07 noch auf 23 Einsätze für Borussia Mönchengladbach, hatte er im Jahr darauf seinen Stammplatz verloren und wurde in der Vorrunde nur dreimal eingewechselt.
    Sein Transfer zu 1899 Hoffenheim verlief im Stillen, auch die Ablösesumme von 100.000 Euro war wenig spektakulär. Dass sich Compper innerhalb von neun Monaten zum Nationalspieler entwickeln würde, konnte damals noch keiner ahnen und wird die Gladbacher besonders ärgern.


    Häufige Berührungspunkte beim Scouting


    Aber auch auf der anderen Seite des Rheins war man vom Wechsel nicht gerade begeistert. Denn auch Bayer Leverkusen hatte ein Auge auf Compper geworfen - allerdings wollte Bayer ihn erst nach der Saison verpflichten. 1899 war in diesem Fall schneller, wagte die Verpflichtung früher und erntet nun die Früchte.
    Compper ist aber längst nicht der einzige Spieler, bei dem sich die Wege von Leverkusen und Hoffenheim kreuzten.
    In Leverkusen stellen sie fest, dass es immer häufiger zu Berührungspunkten im Scouting mit dem Aufsteiger kommt. Denn beide haben sich auf einen Sektor spezialisiert, in dem junge, hoch talentierte Spieler gehandelt werden, die beim Weiterverkauf einen beachtlichen Erlös bringen sollen.


    Großes Lob aus Leverkusen


    Der in der Winterpause nach Hoffenheim gewechselte Fabricio stand ebenfalls auf Bayers Liste. Auf der anderen Seite hatten die Leverkusener bei den Personalien Daniel Schwaab (SC Freiburg) und Eren Derdiyok (FC Basel) das bessere Ende für sich.
    In der Vorrunde wurde Hoffenheim immer wieder für Transfers, wie die von Tobias Weis, Vedad Ibisevic oder Andreas Beck gerühmt. Bei Leverkusen wird das meist schon als gewöhnlich hingenommen.
    Neid kommt bei Bayer aber nicht auf. "Ich ziehe meinen Hut vor der Hoffenheimer Einkaufspolitik. Die haben eine Vielzahl an Personalentscheidungen getroffen, die eine sportliche Rendite gebracht haben und eine wirtschaftliche Rendite bringen würden", sagt Leverkusens Sportmanager Michael Reschke zu SPOX.


    Deckungsgleiche Philosophie


    Geht man davon aus, dass Hoffenheim für seinen aktuellen Kader rund 30 Millionen Euro ausgegeben hat und diesen Wert mittlerweile mehr als verdoppelt hat, kann man Reschkes Aussage folgen.
    Entsprechend ist man sich in Leverkusen durchaus bewusst, dass dieses ständige Aufeinanderprallen auch Probleme mit sich bringt. Denn auf Dauer wächst mit Hoffenheim ein Konkurrent heran, der einen Platz im internationalen Geschäft beansprucht und auch im gleichen Becken nach Spielern fischt.


    Die jüngsten Teams der Liga


    Es kommt also nicht von ungefähr, dass sich im Spitzenspiel die beiden jüngsten Mannschaften der Liga gegenüberstehen, die mit den offensivsten und attraktivsten Fußball spielen. Im Hinspiel, das Leverkusen 5:2 gewann, lag der Durchschnitt bei Bayer bei 23,7 Jahren und bei Hoffenheim bei 22,6 Jahren. Die Routiniers Thomas Zdebel und Timo Hildebrand werden den Schnitt diesmal nur unwesentlich anheben.
    Beide Mannschaften befinden sich eigentlich noch im Reifeprozess, sind qualitativ aber trotzdem auf Augenhöhe mit den Großen der Liga.
    Und das, obwohl Leverkusen seine Mannschaft nicht auf einem Transferminus aufgebaut, sondern in den letzten fünf Jahren ein Plus von zwölf Millionen Euro erwirtschaftet hat.


    Ausgereiftes Scouting als Grundlage


    Grundlage für den Erfolg ist Leverkusens ausgereiftes Scoutingsystem. Bayer beschäftigt fünf hauptamtliche Scouts, plus einen Mitarbeiter, der für die Videozusammenschnitte zuständig ist und weitere drei bis vier Kräfte, die auf Honorarbasis arbeiten.
    Hinzu kommen die erprobte Zusammenarbeit der Scoutingabteilung mit Reschke und Sportdirektor Rudi Völler sowie ein auf flachen Hierarchien beruhendes Entscheidungsgremium, das die schnelle Handlungsfähigkeit unterstützt.
    Ein für Bayer enorm wichtiger Umstand. Denn "Scouting ist die Lebensader unseres Klubs", wie Reschke betont.


    Flexibilität bringt Renato Augusto und Henrique


    Diese Struktur half schließlich auch bei den Transfers von Renato Augusto und Henrique. Denn ursprünglich wollte Bayer im Sommer Geld in einen Innenverteidiger investieren. Und da Henrique finanziell nicht machbar war und sich letztlich für den FC Barcelona entschied, fiel die Wahl auf Thiago Silva.
    Der Wechsel war eigentlich schon in trockenen Tüchern, Silva hatte bereits den Medizincheck absolviert, doch der Abschluss ließ auf sich warten, weil Silvas Verein Fluminense noch in der Copa Libertadores spielte. Überraschend zog er ins Endspiel ein - und Silva geriet ins Visier größerer, finanzkräftigerer Klubs. Milan bekam für zwölf Millionen Euro den Zuschlag.
    Deshalb schwenkte Bayer um und verpflichtete Renato Augusto. Ein Spieler, der lange Zeit finanziell nicht machbar schien, aber nach einer langen Verletzungspause nicht im Fokus der Öffentlichkeit stand und so in Reichweite geriet. Denn Bayer hatte ihn schon seit drei Jahren unter Beobachtung.
    Und als die Leverkusener entdeckten, dass Barcelona zu viele Nicht-EU-Ausländer im Kader hat, konnten sie zusätzlich noch ihren zweiten Wunschspieler Henrique auf Leihbasis verpflichten. "Tempo, Entscheidungsbereitschaft und Realisierbarkeit", sind laut Reschke Grundlagen des Systems.


    Gesicherte Zukunft


    In Leverkusen werden sie diesen Weg auch in den nächsten Jahren weitergehen.
    "Und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft sehr interessante junge, deutsche Spieler nach Leverkusen holen können", so Reschke, der angibt für die Saison 2011/12 schon mehr als 15 Spieler unter Vertrag zu haben.
    Wenn man bedenkt, dass aus dem aktuellen Kader nur acht Spieler in diese Kategorie fallen, Schwaab und Derdiyok dazukommen, kann man sich auf einiges gefasst machen.


    Quelle: spox.com