Torwart René Adler versucht, die naive Leverkusener Mannschaft wachzurütteln, und wird gleich gerüffelt
Hannover - Das Torwarttrikot hatte René Adler schon abgestreift. Doch auch mit seinem weißen Sportunterhemd wollte er noch längst nicht in die Kabine hasten, er hatte viel Zeit. Erst hat er mit Nationalelf-Kontrahent Robert Enke geplaudert, dann entdeckte er den einstigen Hamburger Kultmasseur Hermann Rieger. Wieder ein Smalltalk. Vielleicht wollte Adler noch gar nicht zu seiner Leverkusener Mannschaft, die gerade 0:1 beim Abstiegskandidaten Hannover 96 verloren, nur einen Sieg in sechs Spielen geholt und sich um "die komfortable Situation im Kampf um den internationalen Wettbewerb gebracht hatte", wie Bayer-Trainer Bruno Labbadia feststellte. Fast schien es, als wolle sich Adler noch ein paar grundsätzliche Worte zu den Misserfolgen zurechtlegen.
Erst dann hat er auch das Gespräch mit den Journalisten gesucht und der Mannschaft eine Kritik um die Ohren gehauen, die vermutlich den Punkt trifft. "Das Phänomen gibt es schon länger bei Bayer. Immer wenn es nicht läuft, wehren wir uns zu wenig", sagte er. "Phlegma beschreibt es vielleicht richtig", rügte er, "jeder muss wissen, dass Fußball ein Kampfspiel ist". Man müsse sich zusammensetzen und ein paar Dinge ändern: "Sonst werden wir nach unten durchgereicht." Dann ging er auf die prinzipielle Idee des Leistungssports ein: Schon im Training müsse man "jeden Zweikampf bestreiten, als wäre es der letzte". Das klang nach Oliver Kahn, als der unzufrieden war mit dem Engagement seiner Kollegen.
Als darauf Bayer-Sportchef Rudi Völler über Adlers Auslassungen informiert wurde, machte er dem "jungen, talentierten Nationaltorwart" erst einmal klar, dass er noch keineswegs ein Kahn ist. Trotz Adlers überzeugender Leistung in Hannover müsse er sich "selbst mal an die eigene Nase fassen". Sei es nicht so gewesen, dass Adler "vor ein paar Wochen mal ein paar Bälle nicht gehalten" habe? Da hätte auch kein Mitspieler etwas gesagt. Es sei, so Völler, manchmal wichtig, "auch an einem Mikrophon vorbei zu gehen". Das wiederum klang nach jenem Rudi Völler, der seine Freundlichkeit zuweilen für einen Moment mit Schärfe würzt, weil ihm jemand querkommt.
Vielleicht hat Völler bei Adlers Fingerzeigen ja auch einen Tadel an seiner Politik herausgehört, über den er am liebsten nicht öffentlich diskutieren will. Nämlich, dass man das Team "besonders mit spielerischen Typen" durchsetzt habe, die erst lernen müssten, dass man auf einer niedersächsischen Matschwiese auch einmal "über den Kampf kommen muss". So hat es nämlich Labbadia nach dem Spiel ausgedrückt. Das aber war ziemlich genau das, was auch der 24 Jahre junge Nationaltorwart gemeint hatte.
Die sonst so dynamische, aber zuweilen naive Elf von Bayer Leverkusen hatte offenbar Trainer Labbadias jüngste Direktive zu wörtlich genommen. Sie sollte das Tempo auch einmal herausnehmen und mal "hinten rum spielen". Weshalb etwa der Torjäger Patrick Helmes erst in der 77. Minute zu seinem einzigen Schuss ansetzte. Der wäre, hätte die Erde die Anziehungskraft des Mondes, aus dem Stadion herausgeflogen. Man darf gespannt sein, wie sich der nun aufgebrochene Disput auf das am Mittwoch in Düsseldorf anstehende Viertelfinal-Spiel im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München auswirkt.
In die Mannschaft von Hannover 96 dagegen ist bis zum Auswärtsspiel beim FC Bayern ein wenig Ruhe eingekehrt. Auch wenn 96-Chef Martin Kind die Debatten um Trainer Dieter Hecking, der in den lokalen Medien längst offen in Frage gestellt wird, für überflüssig hält. Er müsste eigentlich gar nicht hinter Hecking stehen, da er immer "Vertrauen" in ihn gesetzt habe, sagte Kind, "aber ich bin gezwungen worden, hinter ihm zu stehen". Wegen der ausufernden Polemiken um den Fußballlehrer.
Hecking darf sich jetzt die beste Leistung im Jahre 2009 auf seine Fahnen schreiben. Das Team hatte seine Ausrichtung präzise umgesetzt. Es hatte den Leverkusenern die Räume verstellt, die Außenbahnen doppelt besetzt und darüber hinaus noch "spielerisch ein paar Glanzlichter gesetzt", wie der Coach hervorhob. Besonders das "Defensivquartett" (Hecking), die beiden Sechser Leon Andreasen und Hanno Balitsch sowie die Außenverteidiger Michael Tarnat und Steven Cherundolo gaben 96 viel Halt. Und da auch die Offensive einige gute Momente offenbarte, hat man "mal gezeigt, wie erfolgreich man sein kann". Das sagte Arnold Bruggink, der nach einem wunderbaren Konterangriff nach Zuspiel des genesenen Jan Schlaudraff in der 33. Minute das Siegtor erzielte.
Bruggink freute sich auch, dass man "zu Null" gespielt habe. "Das", sagte er, "gönne ich dem Robert, er verdient das." Robert Enke selbst hatte auch noch eine mutmachende Idee angesichts der trostlosen Auswärtsbilanz der Hannoveraner (ein Punkt). Er erinnerte daran, "das wir in München schon mal gewonnen haben". Das war im November 2006. Das Ergebnis: 1:0.
Jörg Marwedel
Quelle: Süddeutsche Zeitung online