Im Gespräch: Rudi Völler
„Bayer-Phlegma? Das ist doch völliger Blödsinn“
“Hier in Leverkusen geht es keinem zu gut, hier wird Tacheles geredet“
08. März 2009 Rudi Völler ist seit 2005 Sportdirektor bei Bayer Leverkusen. In dieser Zeit hat sich der Weltmeister von 1990 und ehemalige Bundestrainer großes Ansehen erarbeitet. Mittlerweile wird der 48 Jahre alte gebürtige Hanauer sogar als möglicher Nachfolger von Uli Hoeneß auf dem Stuhl des Bayern-Managers gehandelt.
Im FAZ.NET-Interview spricht Völler über den Leverkusener Jugendstil, die Vorteile der Wirtschaftskrise und die Anerkennung, als Kandidat in München genannt zu werden.
Ihre Mannschaft hat Fußball-Deutschland eines der spektakulärsten Spiele dieser Saison beschert. Was nehmen Sie mit aus dem Pokalsieg gegen den FC Bayern (siehe: 4:2 gegen Bayern: Bayer stürzt München ins Dilemma)?
Es war ein sehr emotionaler Moment. Selbst ich als alter Hase konnte mich nach dem Spiel gar nicht so schnell beruhigen. Wenn es bei uns richtig läuft, können wir nicht nur jede Mannschaft schlagen, sondern ihr dabei auch sehr weh tun.
Sie kennen doch den Reflex düpierter Bayern: Als Strafe werden die Ihnen einen Spieler wegkaufen. Um wen fürchten Sie da am meisten – Torwart Adler, Rolfes, Helmes?
Ich würde Bauchschmerzen bekommen, wenn wir keinen Spieler hätten, der für einen der Topvereine in Europa interessant wäre. Dann hätten wir bei unserer Arbeit etwas verkehrt gemacht. Wir sind das bei Bayer Leverkusen gewöhnt, Topspieler zu verlieren. Wir müssen eben immer wieder für Ersatz sorgen und den übernächsten Schritt planen. Aber mit den meisten wichtigen Spielern haben wir lange Verträge. Wenn irgendwann die Entscheidung anstünde, jemanden abgeben zu müssen, würde derjenige sehr teuer werden. Zudem glaube ich, die Wirtschaftskrise wird dazu führen, dass weniger Vereine in der Lage sein werden, uns Spieler wegzukaufen. Die Preise auf dem Transfermarkt werden nicht mehr so euphorisch sein. Das ist schon mal sehr beruhigend. Wir wollen diese Mannschaft ein paar Jahre zusammenhalten. Unser ältester Spieler auf dem Platz gegen die Bayern war 26 Jahre alt. Da sind noch Entwicklungschancen.
Könnte die Mannschaft in dieser Besetzung anknüpfen an die erfolgreiche Zeit, als Bayer national Hauptkonkurrent der Bayern war?
Die Ausgangssituation ist heute eine ganz andere. Wir sind vor einigen Jahren mit unseren Mannschaften, die nicht besser waren als diese mit durchschnittlichen Leistungen, in den Uefa-Pokal gekommen. Mittlerweile muss man für dieses Ziel eine sehr gute Saison spielen, weil der Konkurrenzdruck in der Bundesliga viel größer geworden ist. Früher gab es zwei, drei Vereine, die ihr Saisonziel verpasst haben und nicht ins internationale Geschäft gekommen sind. Heute sind es fünf, weil inzwischen neun Klubs um vier Plätze kämpfen. Mit Hoffenheim und Wolfsburg sind noch mal zwei Vereine dazugekommen. Die Bayern rechne ich gar nicht mit, weil die eh ganz oben gesetzt sind für mich. Solch einen Verdrängungswettbewerb gab es noch nie in der Bundesliga.
Ihre Mannschaft scheint in diesem Spiel zumindest hoffnungsvoll positioniert zu sein.
Wir stellen uns diesem Kampf ja sehr offensiv. Wir sagen nicht, unsere Mannschaft ist zu jung oder wir sind im Nachteil, weil wir die Rückrunde wegen des Stadionumbaus in Düsseldorf spielen müssen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen in das internationale Geschäft. Bei allen Rückschlägen sieht man doch bei uns, was möglich ist. Der Glaube an die eigenen Stärken ist vorhanden. Einen weiteren Schub kann eine Partie auslösen wie die gegen die Bayern, in der wir den Gegner nicht nur niedergerannt, sondern auch niedergespielt haben. Wir können natürlich auch wie zuletzt gegen Hannover verlieren. An unserer Konstanz müssen wir arbeiten.
Einige sahen Ihre Mannschaft schon schnurstracks in die Krise abdriften.
Das hörte sich so an, als wäre bei uns vor dem Bayern-Spiel vieles schiefgelaufen. Das stimmt ja nicht. Wir hatten einzelne Schwächephasen – mehr nicht.
Torwart René Adler hatte nach der Hannover-Niederlage vergangenes Wochenende vor einem typischen Bayer-Phlegma gewarnt und ist dafür von Ihnen gerüffelt worden.
Wir können nicht plötzlich alles in Frage stellen, was vor vier Wochen noch bombig war. Wir müssen unserer Linie treu bleiben. In dem längst bereinigten Disput mit René ging es mir vor allem darum, dies darzustellen. Für mich wäre es doch einfach gewesen, ihm nach dem verlorenen Hannover-Spiel zuzustimmen. Nach dem Motto: Wir haben zu wenig gekämpft und die Ärmel nicht hochgekrempelt. Da hätten alle gesagt, der Völler und der Adler, das sind Kerle, die haben den Finger mal richtig in die Wunde gelegt. In diesem Fall hätte ich aber meinen Job verfehlt. Trotz Niederlage und schlechten Spiels konnte den Spielern nämlich nicht abgesprochen werden, dass sie gerannt sind wie die Hasen.
Trotzdem vermisste René Adler etwas. Fußball sei für ihn ein „Männersport“ und „Kampfsport“, sagte er vorwurfsvoll an die Adresse einiger Kollegen. Das sind doch Worte, die einem Rudi Völler gefallen müssten?
Es gab vor einigen Jahren Momente, in denen ich in die Kabine gegangen bin und geschrien habe, weil genau das gefehlt hat. Aber dann hat es wirklich gefehlt. Populistische Aussagen zu treffen, damit der Boulevard zufrieden ist, das bringt uns als Mannschaft nicht weiter. Ich habe das dem René erklärt. Er ist doch ein Supertorwart, der eine Traumkarriere vor sich hat. Aber er muss aufpassen, dass er nicht benutzt wird, um irgendwelche Klischees zu bedienen. Andererseits habe ich ihn ermuntert, Kritikpunkte offen in der Mannschaft anzusprechen. Ich habe ihm gesagt: „Wenn du dir den einen oder anderen ausgeguckt hast, der nicht den vollen Einsatz gibt für das Team, dann schnappe ihn dir in der Halbzeit in der Kabine und fordere ihn auf, mehr zu kämpfen.“ Zum Mannschaftssport gehört, sich ehrlich die Meinung zu sagen – intern.
Wollten Sie mit Ihrem Eingriff auch einem Autoritätsverlust Ihres jungen Trainers vorbeugen?
Nein. Bruno Labbadia verfolgt selbstbewusst und mit großer Leidenschaft seinen Weg. Natürlich sammelt er jetzt seine Erfahrungen, wenn Druck aufkommt und Kritik hereingetragen wird in die Mannschaft, weil es mal nicht so läuft. Das muss auch so sein, um sich weiterzuentwickeln. Aber Bruno hat starke Nerven.
Und wie ist das mit dem Bayer-Phlegma?
Völliger Blödsinn. Hier in Leverkusen geht es keinem zu gut, hier wird Tacheles geredet, und hier ist der Erfolgsdruck genauso groß wie in anderen Vereinen. Ich kann das nicht mehr hören. Gleiches gilt für die Debatte um das Siegergen oder den Führungsspieler. Die gibt es nur bei uns in Deutschland. Wenn ich das in England oder Italien jemandem erzähle, zeigt der mir einen Vogel. Erfolgreicher Fußball hängt ab vom effektiven Zusammenspiel verschiedener Positionen.
Sie haben für Ihr Team einen „kleinen Drecksack“ gefordert. Was meinen Sie damit?
Unsere Mannschaft ist sehr jung, es fehlt ihr die Erfahrung in Gestalt eines Van-Bommel-Typen. Einer, der provoziert und polarisiert. Aber den müssen Sie finden und dann auch noch bezahlen können. Mit Sergej Barbarez hatten wir das probiert, es war in Ordnung, aber wahrscheinlich war Sergej schon über seinen Zenit hinaus. Wir suchen weiterhin nach einem Spieler mit diesem Profil, der finanziell und sportlich zu uns passt.
Sie waren vergangene Woche zu Gesprächen in Chelsea. Was erhoffen Sie sich von diesem Kontakt?
Wir haben uns mit den Scouts dort ausgetauscht über Spieler mit großem Talent, die für Chelsea interessant sind und auch uns helfen könnten, wenn wir sie erst einmal ein oder zwei Jahre übernehmen würden. Mit Barcelona praktizieren wir das schon im Fall von Henrique, den wir bislang für ein Jahr ausgeliehen haben. Im Moment wäre er dort nur der vierte oder fünfte Innenverteidiger, bei uns kann er spielen. Wir sehen uns zwar nicht als Ausbildungsverein, aber es geht um Mittel und Wege, mit weniger Geld wettbewerbsfähig zu sein. Vielleicht kommen wir auch mit Chelsea bald ins Geschäft.
Ist damit die legendäre Leverkusener Südamerika-Connection passé?
Statt nach London wäre ich natürlich lieber nach Rio de Janeiro oder Buenos Aires geflogen, hätte eines dieser Talente neben mir auf dem Sitz festgeschnallt und wäre mit ihm zurückgekommen. Aber diese Leute kosten acht, zehn oder zwölf Millionen Euro. Das ist zu viel für uns. Also probieren wir es jetzt anders, auf dem indirekten Weg. Da hilft uns bei Bayer natürlich, dass Vereine wie Barcelona oder Chelsea wissen, dass hier schon einige Südamerikaner in jungen Jahren ihre Weltkarriere begonnen haben.
Und Sie bleiben in Leverkusen und werden nicht Nachfolger von Uli Hoeneß als Manager in München?
Es freut mich, dass auch mein Name genannt wird. Das ist eine schöne Anerkennung, aber sie haut mich nicht um. Für mich zählt Bayer Leverkusen. Wir kriegen ein tolles Stadion und haben eine junge, vielversprechende Mannschaft, die ausbaufähig ist.
Sie können dieses Jahr sogar deutscher Meister werden. Keines der Spitzenteams ist frei von Rückschlägen.
Die Bayern sind für mich weiterhin Topfavorit auf die Meisterschaft. Und Hertha sowie Hamburg spielen derzeit sehr effektiv.
Das Gespräch führte Michael Ashelm.