kicker: Die Woche der Entscheidung

  • Bayer Leverkusen: 14 Punkte aus 14 Spielen


    Gestartet mit großen Ambitionen, ist Leverkusen hart auf dem Boden einer so nicht einkalkulierten Realität gelandet. Mittendrin: Bruno Labbadia (43), dessen Maßnahmen nicht zu fruchten scheinen.


    Es gibt sie doch, die Tabelle, die Bayer Leverkusen als Spitzenreiter ausweist. Und sie ist nicht einmal unerheblich. Es ist die aktuelle Auswärtstabelle, sie führt Bayer auf Rang eins, mit 23 Zählern vor Bayern München (22) und Borussia Dortmund (19), Gesamt-Spitzenreiter Wolfsburg liegt mit 17 Zählern deutlich hinter den Schützlingen von Trainer Bruno Labbadia (42).


    Dass man unterm Bayer-Kreuz aktuell trotzdem etwas gequält aus der Wäsche schaut, liegt an der Tabelle, die wirklich zählt: Rang neun, sechs Zähler Rückstand auf Platz fünf. Um den zu erreichen, müsste man so nebenbei gleich vier Teams (Schalke, Dortmund, Hoffenheim, Stuttgart) überholen - klingt eher unwahrscheinlich, vor allen Dingen bei der akuten Heimschwäche und einer Schreckensbilanz von 14 Punkten aus den vergangenen 14 Spielen.


    Rudi Völler, seit dem vergangenen Montag 49, gibt sich kämpferisch. Der Sportdirektor ist nicht bereit, die proklamierten Ziele aufzugeben: "Natürlich hängt alles von den Ergebnissen der anderen Klubs ab, ob wir gewinnen oder verlieren. Ich weiß auch, dass es immer schwieriger wird, aber selbst nach Wolfsburg sind noch 18 Punkte zu vergeben. Und als beste Auswärtsmannschaft fahren wir nicht hoffnungslos dorthin."


    Die letzten Spiele ließen bei Völler das Pflänzchen Hoffnung wieder sprießen: "In Köln und gegen Bremen habe ich Fortschritte gesehen. Das war ein Aufwärtstrend." Dies ist sicherlich eine optimistische Sichtweise. Doch zu dieser ist Völler verpflichtet. Denn Bayer steht vor der Woche der Wahrheit! Dem Gastspiel in Wolfsburg folgt am kommenden Dienstag in Düsseldorf das Pokalhalbfinale gegen den FSV Mainz. Nach Lage der Dinge ist dieses Spiel die einzige Möglichkeit, die Saison zu retten, denn hier öffnet sich womöglich die Hintertür zum internationalen Wettbewerb.


    Was sportlich einst gut begann, sich sogar steigerte und zu stabilisieren schien, ist mittlerweile in sich zusammengesackt wie ein missratenes Soufflé. Bayer Leverkusen ist die Stärke der Hinrunde abhanden gekommen und jeder fragt sich, wie dies passieren konnte. Die Probleme, die den Aufsteiger und Herbstmeister aus Hoffenheim umtreiben, die gibt es in Leverkusen nicht. Weder Neid noch Missgunst oder Grabenkämpfe innerhalb des Kaders kann der Beobachter ausmachen.


    Labbadias Maßnahmen zur Erhöhung der Trainingsintensität kamen zwar in der Öffentlichkeit gut an, zeitigten jedoch wenig Erfolge. Während die Spieler von den Inhalten durchaus angetan sind, schweigen sie sich über die Dauer der Einheiten ebenso vielsagend aus wie über die der Ansprachen. Des Trainers Intention, aus mehr Arbeit mehr Erfolg zu ziehen, ist gescheitert. Trotz guter Konditionswerte konnte Bayer in dieser Saison noch nicht einmal einen Rückstand in einen Sieg umwandeln. Das Problem ist angesichts erstklassiger Versorgung wohl nicht in den Beinen zu suchen, es scheint, als stimme zwischen den Ohren etwas nicht, als habe sich mentale Müdigkeit breitgemacht bei Rolfes und Co.


    Wie Jürgen Klinsmann in München muss auch der Leverkusener Trainer ständig nach neuen Erklärungen und Entschuldigungen suchen: Mal gab der kleine Kader nicht mehr her, mal war der Misserfolg der Jugend der Mannschaft geschuldet. Ein Argument, das die Spieler übrigens am meisten fuchst. Ständig, selbst nach Siegen, zu hören, wie jung man noch ist, wie unerfahren und lernbedürftig - das nervt die Profis, sie fühlen sich nicht ernstgenommen.


    Labbadia kann auch anders. So goutierte er René Adlers Ausbruch ("Wir müssen endlich den Arsch hochkriegen!") ebenso wie die Aktion der Mannschaft, sich vor dem Pokal-Viertelfinale gegen Bayern München ohne Trainerteam zu treffen und auf die Partie einzuschwören. Was als Angriff auf die Autorität des Trainers gewertet werden konnte, ließ Labbadia an sich abtropfen.


    Was letztlich bleibt, ist die Unsicherheit. Michael Skibbe musste gehen, weil er den internationalen Wettbewerb nicht erreichte. Labbadia stellte sich diesem Anspruch, kein Wunder bei einem deutlich besseren Kader und quasi ohne Verletzungsprobleme. Er kann die Kurve noch kriegen. In Wolfsburg muss er ein erstes, gegen Mainz ein entscheidendes Zeichen setzen. Damit verloren gegangenes Vertrauen endlich langsam erneuert werden kann.


    Frank Lußem


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