Der Frust sitzt tief: Nach der Pleite in Wolfsburg hat Bayer Leverkusen kaum noch Chancen auf die internationalen Wettbewerbe. Bei der Mannschaft machen sich Unerfahrenheit, Formkrisen und das Fehlen von Führungsspielern bemerkbar. Nun bleibt dem Club nur die Hoffnung auf den DFB-Pokal.
Sie hätten trotz der späten 1:2-Niederlage beim VfL Wolfsburg eigentlich ganz zufrieden sein können, die Verantwortlichen von Bayer Leverkusen. Stark gespielt, den Spitzenreiter an den Rande einer Niederlage gedrängt - es haben schon Mannschaften deutlich schlechter ausgesehen in Wolfsburg. Dass Bayer-Coach Trainer Bruno Labbadia in der Pressekonferenz nach dem Spiel dennoch grimmte, ("wir sind sehr enttäuscht, dass wir mit leeren Händen nach Hause fahren") lag eher an der unerfreulichen Gesamtsituation.
Mit sieben Punkten, am Sonntag vielleicht sogar neun Punkten Rückstand auf den fünften Platz hat sich Bayer 04 nämlich vorläufig von der Aussicht aufs europäische Geschäft verabschiedet. Allein der DFB-Pokal bleibt als letzte Hoffnung. Und das, obwohl die Werkself nach zwölf Spieltagen noch als Kandidat auf den Meistertitel galt und als Vorzeigemodell, wie mit deutschen Talenten attraktiver, temporeicher Fußball gespielt werden kann. Seither schwankt Bayer 04 zwischen wenigen Glanzlichtern und deprimierenden Vorstellungen wie beim 0:1 in Hannover und beim 1:2 in Bielefeld.
Natürlich hat man in Leverkusen seither fleißig Ursachenforschung für den sportlichen Tiefflug betrieben. Heraus kamen ein paar nachvollziehbare, aber auch einige hanebüchene Erklärungen. Zu letzteren gehört das Gejammer, der umbaubedingte Umzug nach Düsseldorf zum Rückrundenstart raube der Mannschaft den Heimvorteil. Zwar erinnerte die Atmosphäre in der Landeshauptstadt in den letzten Spielen tatsächlich an eine gut gelüfteten Aussegnungshalle, heimstark war die Mannschaft aber schon in der Hinrunde nicht. Gerade einmal 16 Punkten aus neun Spielen holte Bayer, als noch in Leverkusen gespielt wurde.
Und mindestens ebenso hilflos wirkte die Hobbypsychologie, die Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser kürzlich im Stadionmagazin vortrug: "Der Trainer und die Mannschaft können das Blatt durch harte Arbeit und die richtige Einstellung wieder ändern. Und wenn es nicht mit Traumfußball geht, dann mit dem unbedingten Willen, den Erfolg zu erzwingen". Dass Holzhäuser nicht auch noch das obligatorische Blut am Pfosten forderte, überraschte da beinahe.
Stattdessen kam bei Bayer 04 seit dem Herbst einiges zusammen und formierte sich am Ende zu einer unschönen Kausalkette. Es begann erwartbar damit, dass die junge Mannschaft den Hurra-Stil des ersten Saisondrittels nicht beibehalten konnte. Nun sind starke Formschwankungen bei jungen Spielern völlig normal, in der Regel werden schwächelnde Talente durch erfahrende Kräfte im Team aufgefangen. Von denen allerdings hat Bayer zu wenige im Kader. Ein Risiko, das die sportliche Leitung offenbar bewusst eingegangen ist, der Philosophie von jugendlichem Sturm und Drang folgend.
Der Mannschaft fehlt seither eine belastbare Hierarchie. Aber wie soll die auch entstehen? Als sich mit Nationalkeeper Rene Adler nach der 0:1-Pleite in Hannover einer der jungen Spieler zu Wort meldete und dabei nur ganz allgemein das "Bayer-Phlegma" kritisierte, faltete ihn Sportdirektor Rudi Völler gleich wieder auf die Größe eines Bundeswehr-Taschentuchs. Adler möge "sich mal an die eigene Nase fassen".
Gravierender aber: Ein funktionierendes Pressing, wie es Bayer 04 in den ersten Spielen praktizierte, verträgt allenfalls ein, zwei formschwache Spieler. Kämpft nahezu die halbe Mannschaft mehr mit sich als mit dem Gegner, gerät ein so aggressives System, das ja eigentlich Fehler des Gegners provozieren soll, schnell zu einem selbstmörderischen Unterfangen.
Nahezu zwangsläufig potenzierte sich anschließend von erfolglosem Spiel zu erfolglosem Spiel der Frust, die Verunsicherung, der Ärger über sich und die ebenfalls glücklosen Mannschaftskameraden. Was sich schließlich auch in der Gestik und Mimik der Spieler niederschlug. Nicht einmal in Karlsruhe und Cottbus heben die Spieler während der 90 Minuten so oft flehentlich bis hilflos die Arme und zeigen anklagend dorthin, wo der Pass eigentlich hingemusst hätte. Samy Molcho hätte genug Material für eine ganze DVD-Kollektion.
In solch kniffligen Situationen ist oft der Trainer als stabilisierender Faktor gefragt, an dem sich die Mannschaft aufrichten kann. Bruno Labbadia war damit in seiner ersten Saison als Erstliga-Coach offenbar überfordert. Schwer erklärbar ist vor allem, dass über weite Strecken der Saison der Konkurrenzkampf im Kader so gut wie zum Erliegen kam. Da mochte sich das Team noch so uninspiriert über den Rasen geschleppt haben, am nächsten Samstag lief dennoch oftmals die nahezu gleiche Startelf auf. Wenn Labbadia dann auch noch zaghaft zu Protokoll gab: "Wir packen die Mannschaft nicht nur mit Samthandschuhen an, wir müssen ihr gleichzeitig aber auch Vertrauen entgegenbringen", verstärkte das noch den Eindruck der allgemeinen Orientierungslosigkeit.
Dabei kann die Mannschaft ja, das Spiel in Wolfsburg hat es gezeigt ebenso wie die beinahe rauschhaften Partien im DFB-Pokal. Und wenn zur neuen Saison sowohl ein paar erfahrene Spieler geholt als auch Talente wie Kießling, Helmes, Rolfes gehalten werden, ist mit Leverkusen wieder zu rechnen. Diese Saison jedoch kann Bayer 04 getrost abhaken. Und nebenbei den DFB-Pokal gewinnen. Das Finale findet ja nicht in Düsseldorf statt.
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