Monolog über Moral und Treue
Zum unerwarteten Einstieg in Leverkusen betont Trainer Heynckes ein paar antiquiert klingende Ansichten
Leverkusen - Links saß der Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, rechts der Sportdirektor Rudi Völler. Zwischen beiden saß der neue Trainer. Völler schwärmte. "Ich mag den Bruno Labbadia", sagte er, "er ist ein ehrlicher und aufrichtiger Typ, er ist schon jetzt ein sehr guter Trainer, er hat ein tolles Potential und wird mal ein ganz Großer!" Völler sparte nicht mit Lob. Es war die übliche Hymne. Das macht man so, wenn ein neuer Trainer präsentiert wird.
Doch hier war etwas anders. Denn Völler schwärmte vom Verflossenen. "Wir wollten mit Labbadia weitermachen", sagte er, trotz einer enttäuschend verlaufenen Rückrunde. Doch Labbadia wollte nicht. "Ich habe zu ihm gesagt: Bruno, lass" es uns noch einmal versuchen"." Doch Bruno wollte nicht. Also gab der Fußball-Bundesligist Bayer Leverkusen seinen Coach am Freitag frei, fand schnell einen neuen Trainer und überraschte die Branche mit Jupp Heynckes. Am Donnerstag hatte Völler ihn angerufen, am Freitag getroffen und am Samstag präsentiert: "Jupp Heynckes ist ein authentischer Mensch und ein erfolgreicher Trainer; er war unsere erste Wahl."
Heynckes hat über ein fußballerisches Resozialisierungsprojekt beim FC Bayern München zurück in die Szene gefunden. "Durch das Engagement in München bin ich in die Bundesliga zurückgekommen", sagte der 64-Jährige, der nach dem Abschied von Hans Meyer in Mönchengladbach der älteste Trainer der Liga sein wird. Nachdem Heynckes" Fünf-Spiele-Intermezzo beim FC Bayern von vornherein nur als Aushilfe geplant war, wird er in Leverkusen jetzt wieder zum Vollzeittrainer. Der in der Nähe von Mönchengladbach wohnende Fußballlehrer erhält einen Zweijahresvertrag sowie aus Nürnberg den Co-Trainer Peter Hermann und hat sich in Leverkusen ein Ziel gesetzt, an dem zuletzt die Übungsleiter Thomas Hörster, Klaus Augenthaler, Michael Skibbe und auch Bruno Labbadia gescheitert waren: "Das Potential, das hier brachliegt, muss wieder ausgeschöpft werden." In der Rückrunde war Leverkusen unter Labbadia die sechstschlechteste Mannschaft der Liga. Am Saisonende stand die von der Personal-Qualität deutlich höher einzuschätzende Mannschaft nur auf Platz neun.
In seinem vergeblichen Bemühen, Labbadia zum Bleiben zu überreden, bat Völler in seiner Not am Ende sogar den Bayer-Konzernchef Werner Wenning, doch noch einmal mit dem Trainer zu sprechen. Nun aber wechselt Labbadia trotz eines bis 2010 gültigen Vertrags und gegen eine geschätzte Ablöse von mehr als einer Million Euro zum Hamburger SV. Heynckes nutzte seinen ersten Auftritt als Bayer-Trainer aus diesem Anlass auch zu einem Monolog über Moral und Treue. "Ich habe in meiner Karriere noch nie einen Vertrag gebrochen", sagte er, schilderte ein ausgeschlagenes Angebot vom großen FC Barcelona während seines Engagements 1996 auf Teneriffa und räumte kokettierend ein, er besitze da womöglich antiquierte Ansichten in einer neuen und anderen Zeit.
Dass Heynckes so vehement Treue schwört, könnte den wie von einer großen Liebe enttäuscht wirkenden Bayer-Funktionären durchaus wichtig sein. Völler schien über den Fortgang Labbadias nicht leicht hinweggekommen zu sein, nicht einmal in den Vertragsgesprächen mit Heynckes konnten Völler und Holzhäuser ihre Wehmut über den verlorenen Trainer verbergen. "Sie haben sehr positiv über Bruno Labbadia gesprochen", erzählte Heynckes, wertete dies aber positiv, denn: "Es zeigt, wie seriös hier in Leverkusen gearbeitet wird." Er habe bei Bayer nicht zugesagt, weil es so schön nahe an seinem Wohnort liege. "Ich habe in München wieder Gefallen an diesem Job gefunden,", sagte Heynckes, "und einige Vereine haben sich durch meine Zeit dort wieder an mich erinnert." Noch einmal ins Ausland zu gehen, komme für ihn allerdings nicht in Frage, "obwohl die gesundheitlichen Probleme, die ich hatte, überstanden sind". Heynckes trainierte Athletic Bilbao, Teneriffa, Real Madrid und Benfica Lissabon, größter Erfolg war 1998 der Gewinn der Champions League mit Madrid. Mit dem FC Bayern gewann der einstige Stürmer (220 Tore für Borussia Mönchengladbach) als Trainer zwei Meistertitel (1989, 1990).
Fortan wird Heynckes also mit jener Mannschaft arbeiten, die Völler und Labbadia zusammengestellt haben. Er hält sie für sehr talentiert, als Ziel für die Saison 2009/2010 wird ein Startplatz im Europacup anvisiert. Der zuvor ebenfalls stark eingebundene Sportmanager Michael Reschke, dem Labbadia eine Intrige vorgeworfen hatte und der ein triftiger Grund für seinen Fortgang war, wird vom Klub zwar nicht entlassen, erhält laut Holzhäuser aber "eine modifizierte Aufgabe", die weniger Einfluss auf die Arbeit des Trainers haben dürfte. Ob der noch nicht benannte neue Assistent, der Völler zur Seite gestellt werden soll, künftig die Aufgabe erhält, negative Strömungen im Klub schneller zu orten, ist nicht bekannt. Völler jedenfalls dürfte noch einmal gelitten haben, als Labbadia am Sonntag als Trainer beim Hamburger SV präsentiert wurde.
Ulrich Hartmann