Heynckes übernimmt Bayer
Warum tut er sich das an?
Text: Helmut Schümann
Es sind Junkies. Eine andere Erklärung kann es dafür nicht geben, dass sich Jupp Heynckes – gerade 64 geworden – den Tort antut, für die nächsten beiden Jahre Bayer Leverkusen als Trainer vorzustehen. Ein Kommentar von Helmut Schümann.
Warum tut er sich das an?
Hans Meyer, zuletzt in Mönchengladbach tätig, hat dem Verein nach der erfolgreichen Mission, die Klasse zu erhalten, mitgeteilt, er sei für den erforderlichen Neuaufbau mit seinen fast 67 Jahren wohl nicht mehr der Richtige. Das klingt logisch – aber wäre irgendjemand überrascht, wenn dieser ältere, weise Mann nicht doch wieder rückfällig würde, sollte ihn ein Klub in Not um seine Hilfe bitten? Und was würde wohl Udo Lattek machen, wenn ein Klub der Meinung verfiele, nur er, dieser Ältestmeister, könne ihm noch aus der Bredouille helfen? Es sind Junkies, diese Trainer; und Junkies sagen nicht nein.
Vor einigen Jahren hat Jupp Heynckes im privaten Gespräch erzählt, dass er abgeschlossen habe mit dem Fußball. Er habe sich komplett zurückgezogen aus dem Geschäft, schwer krank war er da gewesen, und dennoch sagte er, es gehe ihm gut so ganz ohne Fußball.
Er kehrte zurück, als der FC Bayern München ihn bat, kurz vor dem Ende der vergangenen Saison. Man hatte noch annehmen können, dass dies ein Freundschaftsdienst war, weil Heynckes eng verbunden ist mit Uli Hoeneß, dem Manager der Bayern. Und Heynckes konnte in dieser Situation gar nicht verlieren, als er die Bayern für die letzten fünf Spiele der Saison übernahm. Hätte er die Wende der darbenden Mannschaft nicht geschafft, so wäre sein Vorgänger Jürgen Klinsmann der Schuldige gewesen. Schafft er die Wende, ist er der Macher, nicht Jürgen Klinsmann. Jupp Heynckes schaffte die Wende. Und es gibt keinen in der Mannschaft, der nicht voll des Lobes ist über seine Arbeit.
Und gut wäre es gewesen.
Heynckes wäre zurückgekehrt in sein so geschätztes Privatleben, zu seiner Frau, der Tochter und zu Spaziergängen mit dem Schäferhund. Jupp Heynckes muss niemandem mehr etwas beweisen. Als aktiver Fußballer war er einer der größten, den dieses Land hervorgebracht hat. Sein umschwärmter, verklärter, begnadeter Mitspieler Günter Netzer sagt noch heute über ihn, er sei der viel bessere Spieler gewesen als er selbst, weil er in jeder Situation das Richtige getan habe. Später dann als Trainer ist er Meister geworden mit dem FC Bayern, er hat Real Madrid zum Gewinner der Champions League gemacht, hat den baskischen Klub Athletic Bilbao trotz aller ethnologischen Einschränkungen zum Spitzenteam geformt. Heynckes muss niemandem mehr nachweisen, was er kann, sich auch nicht.
Zurück in Deutschland, nach Stationen in Spanien und Portugal, ist Heynckes gescheitert, in Frankfurt, bei Schalke und in Mönchengladbach. Gescheitert? Oder an widrigen Umständen verzweifelt? In München hat er reüssiert.
Warum also? Ist es das Geld, das ihn lockt? Jupp Heynckes hat genug verdient in seinem Leben, dass es für mindestens zwei Leben reicht. Ist es der Ruhm? Davon hat er weit mehr, als die Viertelstunde, die Andy Warhol jedem Menschen zubilligt. Die Angst vor dem Alter und die Verzweiflung, es diesem Alter noch einmal zu zeigen? Hat er doch schon und ist sogar dem Tod von der Schippe gesprungen. Ob er beweisen will, dass er es als Erster und Einziger schafft, Bayer Leverkusen ganz nach oben zu bringen? Der Mann ist Idealist, keine Frage, er ist aber auch Realist, und er wird wissen, dass er im Grunde zu satt ist, zu aufgebraucht für mehr als fünf Spiele.
Zurzeit ist eigentlich der Trainer en vogue, der seine Ziele kalkuliert, der nach Istanbul geht, der vom VfL Wolfsburg zu Schalke 04 wechselt, vom Hamburger SV zu Ajax Amsterdam. Die Prophezeiung, dass Jupp Heynckes auch bei Bayer Leverkusen scheitern wird, ist nicht allzu gewagt. Na und? Es sind Junkies, die nicht lassen können vom Adrenalin, das ein volles Stadion bietet, vom Triumph des Sieges und der Tragik der Niederlage, von der Hoffnung auf das Glück, auf ein besseres Leben. Junkies, immer auf der Suche nach dem Glück, sind Romantiker.
Tagesspiegel@11Freunde