Die freien Radikalen

  • Fußball-Trainer
    Die freien Radikalen


    Von Michael Ashelm


    08. Juni 2009 Mit der Bayer AG kann Werner Wenning zufrieden sein. Trotz globaler Wirtschaftskrise steht der Konzern, der in den vergangenen Jahren von ihm als Vorstandsvorsitzendem radikal umgebaut worden ist, auf stabilen Säulen. Mitte der Woche bestätigte ein Analystentag die positiven Aussichten für die Aktie. Ganz anders verhält sich die Situation bei der sportlich enttäuschenden Werkself aus Leverkusen. Hier geht es derzeit drunter und drüber. Und so schaltete sich Wenning dieser Tage in die Belange der kriselnden Fußball-Tochter ein.


    Wie aus Bayer-Kreisen zu vernehmen war, hatte der Konzernchef noch persönlich versucht, Trainer Bruno Labbadia intern zu stärken und zum Verbleib zu bewegen. Zwischen dem Fußballlehrer und Teilen der Mannschaft sowie des Vereinsmanagements war es über die erfolglosen Monate zu einem Zerwürfnis gekommen. Ein kritisches Zeitungsinterview ausgerechnet zum Tag des DFB-Pokalfinales, in dem Labbadia vor der Partie gegen den späteren Sieger Werder Bremen die Fürsorgementalität der Werkskicker anprangerte, hatte zwar nochmals für eine Zuspitzung gesorgt, stieß aber erstaunlicherweise bei einigen wichtigen Leuten unter dem Bayer-Kreuz auch auf offene Ohren (siehe auch: Bayer Leverkusen: Auf Abstand zum eigenen Trainer).


    Plötzlich stand der Trainer nicht mehr vor dem Rausschmiss, sondern sollte mit der Rückendeckung des Gesellschafterausschusses weitere Kompetenzen erhalten. Am Ende aber vermochte selbst Wennings langer Arm die Trennung nicht zu verhindern, weil Labbadia keine Zukunft mehr sah und den Abgang zum Hamburger SV trotz laufenden Vertrags in Leverkusen bis zum Freitag forcierte. Flott haben die Bayer-Leute für Ersatz gesorgt: Jetzt kommt der 64 Jahre alte Jupp Heynckes (siehe auch: Jupp Heynckes: Feuer und Flamme in Leverkusen).


    Ottmar HItzfeld: „Diese Entwicklung stört mich sehr“


    Noch nie hat die Bundesliga eine solche Kündigungswelle erfasst. Magath, Jol, Meyer, Daum und jetzt noch Labbadia - die einen nutzen Ausstiegsklauseln für ihren vorzeitigen Abgang, die anderen gehen einfach so und lassen sich vom neuen Arbeitgeber ablösen. Vielleicht folgen ja in den kommenden Tagen noch Favre und Koller. Während die Trainer sonst wie Kletten an ihren Jobs hingen und so lange blieben, bis sie am Ende des gemeinsamen Wegs meist unter unwürdigen Begleiterscheinungen den Entlassungsbrief von den Klubs in Empfang nehmen mussten, gehen sie nun in die Offensive.


    Wohl hat Magath mit seinem spektakulären Abgang in Wolfsburg die Bresche geschlagen für seine Kollegen (siehe auch: Felix Magath zu Schalke: Der Allmächtige zieht gen Westen). Sie stellen nun ebenfalls Forderungen, machen sich frei von vertraglichen Vereinbarungen, verfolgen konsequent, für manche zu radikal und rücksichtslos, ihren persönlichen Karriereplan. Bisher wurde diese Form von Egotrip meist nur mit Spielern in Verbindung gebracht, die den Vereinen bei Verdienst- und Wechselfragen gerne die Pistole auf die Brust setzen. Nun weicht das unverrückbare Branchengesetz vom Trainer als dem „schwächsten Glied in der Kette“ auf. Der neue Typus zeigt sich selbstbestimmend. Das sorgt für Diskussionen. „Zwischen Macht und Moral“ titelte in dieser Woche das Fachblatt „Kicker“ und konstatierte einen Sittenverfall unter den Fußball-Lehrern.


    Auch in der Trainerzunft wird über die Entwicklung debattiert. Der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer, Ottmar Hitzfeld, sieht durch immer mehr Vertragsbrüche die „Vorbildfunktion“ seiner Kollegen in Gefahr. „Diese Entwicklung stört mich sehr und beschädigt unseren Berufsstand. Nur weil einige Klubs unmoralisch vorgehen, muss ich nicht selbst als Trainer auch unmoralisch handeln“, sagt der frühere Bayern-Coach und heutige Schweizer Nationaltrainer. „Ich bin gespannt, was Felix Magath auf Schalke einem Spieler antworten wird, der sagt, er habe einen Vertrag, wolle aber trotzdem weg.“


    „Man wird hier jede Woche durch die Arena getrieben“


    Fünf Vereine haben in dieser Woche gleichzeitig nach einem neuen Cheftrainer gesucht, nachdem ihnen der alte abhandengekommen war. Ein Durcheinander auf den Trainerbänken, das auch Matthias Sammer nicht gefällt. Der Fußballlehrer, einst Meistertrainer von Borussia Dortmund und heute Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes, nimmt eine ähnliche Position ein wie Hitzfeld. „Sicherlich ist eine Konstellation entstanden, die der Rolle der Trainer nicht gerecht wurde. Jahrelang waren sie immer das schwächste Glied in der Kette. Von Seiten der Vereine, Spieler, des Publikums und der Medien wurden sie oft nicht fair und korrekt behandelt. Aber das kann kein Grund dafür sein, um das zu rechtfertigen, was wir jetzt erleben.“ Dies sei äußerst fragwürdig, sagt Sammer.


    Andere in der Liga glauben, die erhöhte Fluktuation sei nur die logische Reaktion auf die negativen Seiten des Fußball-Hypes - überbordende Erwartungen an die Trainer, Respektlosigkeiten der Spieler, Sensationslust des Publikums. „Man wird hier jede Woche durch die Arena getrieben“, sagt ein Fußballlehrer. Nicht nur auf den Stadionrängen, sondern mittlerweile auch in den Internetforen der Vereine machen Fangruppen Druck auf die Vereinsführung, wenn ihnen der Trainer nicht mehr gefällt und ihre Erwartungen an die Mannschaft nicht erfüllt werden.


    „Ich bin verärgert über die Situation im deutschen Fußball“


    Bei Eintracht Frankfurt legten Unbekannte in den VIP-Räumen Anstecker aus mit der Aufschrift: „Die Luft ist raus! FF. Es reicht!!!“ Die Botschaft galt Friedhelm Funkel. Kurz danach war er weg und ist jetzt durch Michael Skibbe ersetzt worden. „Die Trainer können ihre Mannschaft realistisch einschätzen und spüren, dass sie nicht mehr den Erwartungen des Umfelds gerecht werden können. Dann kommt es eben dazu, dass Trainer ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen“, sagt der Frankfurter Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen (siehe auch: Fußball-Bundesliga: Trainer Funkel erklärt seinen Abschied).


    Für die Fußballklubs ist das Job-Hopping eine wahre Herausforderung. Nicht mehr sie allein senken oder heben den Daumen bei Trainerentscheidungen - starke Trainer sorgen dafür, dass ganz vielen auf dem Karussell jetzt schwindelig wird. Seinen Frust über den eigenwilligen Labbadia ließ der Leverkusener Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser am Freitag dann auch ab. Es zeigt vor allem die Ohnmacht der Klubbosse. „Ich bin verärgert über die Situation im deutschen Fußball, dass Trainer Verträge eingehen, sie dann kurzfristig beenden. Es ist mir zuwider.“ Dass Labbadia wohl schon eine Einigung mit den Hamburgern erzielt hatte, bevor der Vertrag mit Leverkusen aufgelöst wurde, „verstörte“ Holzhäuser, obwohl zu erwähnen wäre, dass der Geschäftsführer den Trennungsprozess mit vorangetrieben hatte.


    „Der Trainer ist der wichtigste Mann im Verein“


    Auch weil derzeit auf dem Markt die Nachfrage nach qualifizierten und starken Trainerpersönlichkeiten das Angebot offenbar übersteigt, befinden sich die Fußballlehrer in einer ausgesprochen guten Position. Einige von ihnen werden inzwischen von Medienprofis, Mentaltrainern oder Sportpsychologen beraten und sind von ihrem Erscheinungsbild her mehr moderne Feldherren als einfache Übungsleiter in Ballonseide. „In Deutschland fehlte den Trainern lange die Wertschätzung. Heute nehmen sie das nicht mehr so hin und positionieren sich viel selbstbewusster“, sagt der Hoffenheimer Trainer Ralf Rangnick.


    Kürzlich übte er öffentlich Kritik an den eigenen Leuten und riskierte einen Krach mit Klubbesitzer Dietmar Hopp, als der Verein es nicht fertigbrachte, die sicher geglaubte Verpflichtung eines jungen Talents zu regeln. Der Spieler wurde im letzten Moment von Schalke weggeschnappt. Für Rangnick war dies eine herbe Enttäuschung, denn er sieht sich in der Hauptverantwortung für ein gutes Gelingen. „Der Trainer ist der wichtigste Mann im Verein. Er sorgt dafür, dass eine Truppe mit 25 Mann funktioniert und der Klub eine gute Grundlage für den Gesamterfolg hat.“ So klar denken immer mehr seiner Kollegen.


    Quelle

    Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorbei, in der man kann.