HEYNCKES - „Gut, gut, gut!“ Alles gut?

  • ÜBER BAYER BERICHTET STEPHAN VON NOCKS


    Er macht viele Dinge anders als seine Vorgänger: JUPP HEYNCKES (64). Wie arbeitet der Nachfolger von Bruno Labbadia? Kriegt Bayer mit Heynckes nach dem schwachen Jahr die Kurve nach oben?


    Und dann läuft die Kugel. Klack, klack, klack, klack. Wie bei einem Flipperautomaten – allerdings total kontrolliert. Über vier Stationen. Direkte, scharfe Pässe, ehe Toni Kroos die Kugel Vollspann im Tor versenkt. Die Trainingskiebitze an der Bay-Arena jauchzen: „Was war das denn? – Weltklasse!“ Und auch Jupp Heynckes ist begeistert, obwohl diese blitzschnelle Traumkombination von Renato Augusto und Co. beim Spiel auf vier Tore in einer Spielfeldhälfte einen kleinen Haken hat: Stefan Kießling stand beim vorletzten Pass im Abseits. Doch das ist Heynckes angesichts der sensationellen Ballpassage egal: „Wenn ihr so spielt, zählt das Tor!“, ruft er euphorisch über den Platz.


    Das ist Fußball, wie ihn sich der neue Bayer-Trainer vorstellt: Präzise, flache Pässe, ideal für den Mitspieler. Darauf legt der 64-Jährige durchweg größten Wert. Wenn die Profis wie zuvor in selbiger Einheit das Fußball-Einmaleins in verschiedenen Passformen üben, kommentiert Heynckes jede Ausführung. „Gut, gut, gut“, lobt er da stakkatoähnlich. „Nicht aufs Standbein spielen!“, korrigiert er. Pass für Pass. Tag für Tag.


    „Es kommt auf die Details an“, sagt Heynckes, der trotz seines fortgeschrittenen Alters und eines künstlichen Kniegelenks auf dem Platz fast alles selbst in die Hand nimmt, Spielfelder markiert, Bälle verteilt. Für Co-Trainer Peter Herrmann bleibt kaum mehr als das Aufwärmen. Die Übungs- und Spielformen leitet Heynckes selbst.


    Heynckes, der Boss, aber auch Heynckes, der Teamplayer. Als Konditionstrainer Zvonko Komes in einer Einheit neue, noch eingeschweißte Gymnastikrollen verteilt, sammelt Heynckes persönlich die Plastikhüllen ein und entsorgt sie in der Mülltonne des Geräteraums, als wäre er ein Youngster im Kader und nicht der 64-jährige Cheftrainer.


    Die Spieler fressen ihm aus der Hand. „Sie sind sehr aufnahmebereit“, lobt der Fußballlehrer, der mit Real Madrid 1998 die Champions League gewann. Routinier Thomas Zdebel (36) bringt es auf den Punkt: „Er hat unheimlich viel Erfahrung. Da gehen die Ohren auf, man nimmt so einem Trainer alles ab. Er ist glaubwürdig.“


    Und trifft wohl anders als zuletzt Bruno Labbadia beim Team den richtigen Ton. „Der eine ist ein bisschen lockerer, der andere sagt die Dinge mit ernsterer Miene“, deutet Stürmer Stefan Kießling (25) den Unterschied an. „Der Trainer hat eine gute Mischung und einen guten Draht zu den Spielern. Er ist sehr locker, macht mal einen Spaß, redet viel mit uns.“ Gerade atmosphärisch empfinden viele Bayer-Profis Heynckes als angenehmes Kontrastprogramm.


    Doch nicht nur das. Auch taktisch geht der Neue den Auftrag, Bayer 04 wieder in den internationalen Fußball zu führen, anders an. Forderte Labbadia in seinem 4-1-3-2-System, den Gegner durchweg unter Druck zu setzen, so wünscht sich Heynckes in einem 4-4-2 mit einer auf drei Positionen offensiv besetzten Raute, „dass wir lernen, ökonomischer zu spielen. Man kann nicht 90 Minuten Pressing spielen.“ Heynckes will Balance. Mal frühes Stören, aber sonst nach Verlust des Spielgerätes schnelles Zurückziehen hinter den Ball, kompaktes Abwehrverhalten.


    Im Test gegen Galatasaray (1:0) sah vielversprechend aus, was zuvor in der Woche erarbeitet worden war. Immer wieder hatte Heynckes das Verschieben üben lassen, dabei oft unterbrochen, mal Außenspieler Sascha Dum ermahnt, den Ballführenden schneller zu attackieren, mal das Stellungsspiel von Innenverteidiger Stefan Reinartz, mal die Abstimmung der Mittelfeldspieler Zdebel und Kroos korrigiert.


    „Es ist wichtig für junge Spieler, von so einem erfahrenen Trainer zu lernen“, erklärt Kroos. Der 19-Jährige spielt bei Heynckes – anders als unter Labbadia, der ihn meist links offensiv einsetzte – eine im wahrsten Sinne des Wortes zentrale Rolle. Wie überhaupt auffällt, wie der 64-Jährige die Jungen fördert: Auf sein Drängen erhielt Burak Kaplan (19) vorzeitig einen Lizenzspielervertrag. Der U-19-Akteur trainiert so schon diese Saison unter Heynckes’ Aufsicht.


    Dabei erlebt der Türke viel Taktiktraining schon in der frühen Phase der Vorbereitung, wobei sich ein weiterer Unterschied zeigt: Packte Labbadia oft bis zu vier verschiedene Spielformen in eine Einheit, so kommt Heynckes manchmal mit nur einer aus. Frei nach dem Motto: Weniger ist mehr. So bekommen einzelne Spieler auch nach einer Partie wie gegen Galatasaray per Video-Zusammenschnitt gute und schlechte Szenen analysiert. „Manchmal fällt einem gar nicht auf, dass man falsch gelaufen ist“, stellt Kießling fest.


    Lob gibt es von allen Seiten, wie es auch nicht anders zu erwarten ist bei einem neuen Trainer. „Natürlich, wenn es einen Umbruch gibt, wittert jeder seine Chance“, weiß Kießling um das begeisternde Phänomen des Neuen, „aber der Trainer hat von Anfang an diese positive Ausstrahlung.“


    Heynckes rennt bei den Kickern der Werkself offene Türen ein. Wie schon zum Ende der vergangenen Saison, als er in München die Nachfolge von Jürgen Klinsmann antrat, dessen die Profis des FC Bayern überdrüssig geworden waren, so hat der „Alte“ auch unter dem Bayer-Kreuz erst mal leichtes Spiel als Nachfolger des Jung-Trainers Labbadia (43). Auch wenn Heynckes zu bedenken gibt: „Heute ist gar nichts leicht. Mit jungen Menschen bedarf es einer gewissen Sensibilität. Die Spieler müssen nicht nur vor dem Trainer Respekt haben, sondern auch umgekehrt.“ So arbeitet Heynckes, der auch sagt: „Ich gehe nie von meinem Stil ab.“


    In Leverkusen will er, anders als zuletzt in Gladbach, längerfristig mit seiner Philosophie Erfolg haben. Konstanz will er erarbeiten. Rückschläge erwartet er, doch müssen diese zeitlich überschaubar bleiben, weiß Heynckes: „Ein Tief darf keine ganze Halbserie dauern.“ Wie unter seinem Vorgänger. „Nachhaltigkeit“ ist ein Schlagwort, das auch Bruno Labbadia gerne anbringt. Genau diese soll jetzt Heynckes bei Bayer auf den Rasen zaubern – gerne auch mit Kombinationen wie am Flipperautomaten




    Quelle: kicker-Printausgabe vom 16.07.09