Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht er über die Generation Klinsmann, die Vorzüge der alten Garde und die Spuren, die er nun bei seinem neuen Arbeitgeber hinterlassen will.
Herr Heynckes, nach einem Noteinsatz beim FC Bayern sind Sie in Leverkusen gelandet. Hätte Rudi Völler Sie auch ohne das Münchner Fünf-Wochen-Intermezzo als neuen Bayer-Trainer engagiert?
Um ganz ehrlich zu sein: Das glaube ich nicht. Auch ohne ein zweites Mal bei Bayern München gewesen zu sein, wäre ich natürlich der gleiche Mensch und der gleiche Trainer. Aber die fünf Wochen in München waren die Initialzündung. So ist das nun mal in diesem Geschäft, in dem alles vom Moment abhängig ist. Wenn ein Klub wie Bayern so kurz vor dem Saisonende die Reißleine zieht und einen jungen Trainer durch einen erfahrenen ersetzt, ist das ein Novum, aber kein Zufall. Dann werden auch andere Klubs aufmerksam.
Was reizt Sie mit 64 Jahren noch an Ihrem Beruf?
Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, wieder einzusteigen und einen neuen Job anzugehen. Der Anruf von Rudi Völler kam überraschend. Aber in München habe ich gemerkt, dass es mir ungemein Spaß macht, mit einer guten Mannschaft zu arbeiten, und umgekehrt, kann ich wohl sagen, war es genauso der Fall. Ich will nicht sagen, dass mir das gefehlt hat, aber es war schon richtig gut, sehr harmonisch und auch erfolgreich. Ich habe die Spieler in einer schwierigen Situation ja nicht nur motiviert, sondern auch auf dem Trainingsplatz einiges mit ihnen erarbeitet. Beim FC Bayern kamen am Schluss nicht nur Führungsspieler zu mir, um sich zu bedanken, sondern auch Reservisten. Dann kann man als Trainer nicht viel falsch gemacht haben.
Geht es Ihnen nicht auch darum, zu zeigen, dass die alte Garde der Trainer sich gegen die als innovativ geltende Generation Klinsmann behaupten kann?
Die Innovation, auf die Sie anspielen, das sind doch Trends in den Medien. Einer sagt etwas, und alle springen auf, aber keiner schaut mal genauer hin, was dahintersteckt, was an Substanz da ist. Die jungen Leute sind gute Verkäufer ihres Jobs. Sie erklären den Medien rhetorisch geschliffen ihre Philosophie, wie sie immer sagen, und das wird dann rauf und runter geschrieben. Irgendwann glauben die Leute, es sei das Ei des Kolumbus - bis der ganze Hype ins Gegenteil umschlägt wie in München, dann bildet sich wieder ein anderer Trend.
Das klingt, als ziele Ihre Kritik nicht nur auf die Medien, sondern auch auf den früheren Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der beim FC Bayern Ihr Vorgänger war.
Jürgen hat sicher gute Ansätze, sehr gute Ideen, und er ist wahnsinnig engagiert. Natürlich muss ein Trainer innovativ sein. Aber der Fußball kann nicht neu erfunden werden. Erfahrung ist letztlich unbezahlbar. Bei Jürgen Klinsmann war für mich klar: Sie können nicht am offenen Herzen operieren, wenn Sie noch nie an einem Operationstisch gestanden haben, das geht einfach nicht. Den Trainerberuf muss man genauso lernen wie andere Berufe. Große Trainer wie Fabio Capello, Marcello Lippi oder Rafael Benitez haben sich langsam hochgearbeitet. Benitez zum Beispiel war einige Jahre in der Jugendabteilung von Real Madrid tätig, später hat er Extremadura und Teneriffa aus der zweiten Liga in die Primera División geführt und mit dem FC Valencia die spanische Meisterschaft gewonnen. Aber auch Valencia ist nicht zu vergleichen mit dem FC Barcelona und Real Madrid. Erst dann ist Benitez nach Liverpool gegangen. Auch wer Bayern München trainieren will, muss schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben.
Demnach hat der FC Bayern bei der Verpflichtung Ihres Nachfolgers die richtige Wahl getroffen?
Ja. Ich habe Uli Hoeneß schon nach der ersten Woche empfohlen, Louis van Gaal anzusprechen. Der arbeitet richtig auf dem Trainingsplatz mit den Spielern, der hat Autorität dank seiner Persönlichkeit, seines Charakters und seiner Erfolge, nicht bloß seines Amtes wegen. Ich habe Uli gesagt: Ihr braucht einen Trainer, der Fußball wieder lehrt.
Was macht so einen Trainer aus?
Die Art, wie er argumentiert, wie er kommuniziert, nach außen wie nach innen. Spieler sind oft sensibel. Es ist ungemein wichtig, viel mit ihnen zu sprechen, sie zu überzeugen, manchmal auch mit einem gewissen Druck dazu zu bringen, dass sie mehr arbeiten, über das normale Training hinaus. Dafür braucht man vor allem Fingerspitzengefühl und Sensibilität. Toni Kroos ist in Leverkusen so ein Beispiel. Ich habe ihm gesagt, er ist ein großes Talent, aber das genügt heute nicht mehr. Er muss nicht nur in seiner Spielposition zusätzliche Aufgaben wahrnehmen, sondern auch viel intensiver an seiner ganzen Konstitution arbeiten: Bauch, Rücken, Rumpf. Der Junge nimmt das an und nimmt das auf, was ich ihm gesagt habe.
Unabhängig von Kriterien wie Alter und Erfahrung: Gehen die Vereine bei der Trainersuche sorgfältig genug vor?
Nein. Es ist nicht damit getan, nur Spieler zu scouten. Ich habe Christian Nerlinger, dem Sportdirektor des FC Bayern, gesagt: Ihr müsst jetzt dazu übergehen, neben Spielern auch Trainer zu sichten, sie genau zu durchleuchten, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen und genau zu prüfen, wer irgendwann für Bayern München in Frage kommt. Damit der Verein, wenn er mal reagieren muss, genau weiß: Wie arbeitet dieser oder jener, wie tickt er, wie geht er mit der Mannschaft, mit den Medien um? Dann erlebt man weniger böse Überraschungen. Das ist auch im Sinne der Spieler.
Inwiefern?
Ich finde es schwierig für die Spieler, wenn jedes Jahr oder jedes zweite Jahr der Trainer gewechselt wird. Sie müssen sich ständig umgewöhnen, sich auf eine ganz neue Arbeitsweise einstellen, auf neue Ideen, ein neues taktisches Schema, eine neue Art der Kommunikation. Deshalb bedauere ich die Spieler manchmal. Die Vereine sollten darauf achten, einen Trainer langfristig zu etablieren. Natürlich muss es der richtige sein. Wie Arsene Wenger bei Arsenal London oder Alex Ferguson bei Manchester United, die sind übrigens auch nicht mehr ganz jung.
Haben Sie Ihren Arbeitsstil in den vergangenen dreißig Jahren geändert?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Aber auch ich war am Anfang ungeduldig, wollte die Welt einreißen und alles auf einmal erreichen. Der Unterschied zu heute ist: Wir durften noch Fehler machen. Heute dürfen die jungen Trainer sich überhaupt keine Fehler erlauben, weil die Medien alles sezieren. Das ist schade. Ich bin gelassener geworden, geduldiger als früher. Und ich berücksichtige die moderne Trainingslehre. In Leverkusen haben wir einen hervorragenden Sportwissenschaftler, der ist wirklich gut.
Leverkusen ist aber nicht München, sondern eine Mannschaft aus dem Mittelfeld. Ist das nicht ein Abstieg?
Nein. Mir hat imponiert, wie Bayer 04 in der vergangenen Saison gelegentlich Fußball gespielt hat, besonders in der Hinrunde. Da habe ich gesehen: Das ist eine junge, talentierte Mannschaft, die das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht hat. Ich möchte, dass man hier nach zwei Jahren sagt: Der Mann hat Spuren hinterlassen. Dafür müssen wir noch einiges verändern, verbessern.
Was zum Beispiel?
Die Mannschaft hat es nicht verstanden, ihr Spiel ökonomisch zu gestalten. Sie muss lernen, das Tempo zu wechseln und Rückstände aufzuholen. Dafür muss sie eine andere Mentalität entwickeln. Wenn man wie ich im Mönchengladbach der siebziger Jahre und später als Trainer beim FC Bayern aufgewachsen ist, hat man eins mitbekommen: dass man nicht verlieren kann, dass man nie aufgeben und eine Niederlage akzeptieren darf. Das will ich den Leverkusener Spielern einimpfen.
Hätten Sie gern so viel Macht wie Ihr Kollege Felix Magath neuerdings in Schalke oder zuvor in Wolfsburg?
Felix Magath arbeiten doch viele Leute zu, gerade im Management. Das macht es ihm leichter, nach außen Trainer und Manager sein. Oder glauben Sie, der kümmert sich auch um die Lohnbuchhaltung? Magath macht seinen Job geschickt, ja, sehr elegant. Ich halte das für gut. Aber ich denke, dass ich mit meiner Tätigkeit als Trainer, so wie ich sie ausübe, mehr als genug zu tun habe. Letztlich geht es jedoch nur um den Erfolg. Wer den hat, der kann machen, was er will: Aquajogging, Kopfstände, Wasserballeinheiten und was weiß ich.
Und die Spieler mit Medizinbällen triezen?
Felix Magath hat Erfolg damit. Meine beiden Fitnesstrainer machen Zirkeltraining mit anderen Geräten, aber sicher genauso effektiv. Wir arbeiten da nach den neuesten Erkenntnissen. Damit will ich nicht sagen, dass Medizinbälle nichts taugen. Es kann nicht schaden, sie manchmal auszupacken oder wieder mal ein Kopfballpendel einzusetzen, das werde ich demnächst tun.
Ist Bayer Leverkusen Ihre letzte Trainerstation?
Fragen Sie mich doch nicht so etwas. Vielleicht kann ich eines Tages von Otto Rehhagel die griechische Nationalmannschaft übernehmen. Wir beide verstehen uns gut, und vom Alter würde es passen. Andererseits weiß ich: Der Otto wird das nicht zulassen.