Bernd Schneider: "Ich bedaure, dass ich nicht im Ausland war"

  • Wenn in einer Woche die Bundesliga beginnt, wird es schwer für Bernd Schneider. Im Interview erzählt der Ex-Nationalspieler, was er im Leben bereut und warum er sauer auf Bruno Labbadia ist.


    ZEIT ONLINE: Herr Schneider, obwohl Sie Ihre Profikarriere beenden mussten, ist es nicht einfacher geworden, einen Interviewtermin zu bekommen.


    Bernd Schneider: Es ist momentan schwierig, weil ich oft zwischen Leverkusen und Jena hin- und herpendle. Jetzt gönne ich mir das endlich mal, Freunde, meine Eltern, Schwester und Schwiegereltern zu besuchen. Dafür war die Zeit bislang immer begrenzt.


    ZEIT ONLINE: Die Enttäuschung in Jena wird groß sein: Der beste deutsche Techniker wollte dort seine Karriere ausklingen lassen. Jetzt ist er Sportinvalide.


    Schneider: Viele bedauern, dass ich nicht mehr Fußball spielen kann, gerade in Jena. Das ist schon ärgerlich, ich hatte das in meinem Kopf schon geplant. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir mal so eine Verletzung zuziehe wie beim Spiel in St. Petersburg im April 2008. Da habe ich einen Schlag in den Rücken bekommen und musste an der Bandscheibe operiert werden.


    ZEIT ONLINE: Merken Sie diese Verletzung im Alltag?


    Schneider: Ich habe keine Schmerzen, aber damit Profifußball zu spielen, wäre zu gefährlich, da auch das Rückenmark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich habe auch Verantwortung meiner Familie gegenüber. Mal ehrlich: Es ist doch niemand gestorben. Ich darf nicht mehr auf den Rasen. Aber es gibt auch ein Leben nach dem Fußball.


    ZEIT ONLINE: Das bezweifeln alle, die Sie kennen.


    Schneider: Okay, mir fehlt jetzt ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Aber es kann ja jetzt nicht aufhören, ohne Fußball.


    ZEIT ONLINE: Der Augenblick muss schlimm gewesen sein, als die Ärzte bei einer Nachuntersuchung festgestellt haben, dass Sie sofort aufhören müssen.


    Schneider: Ich wollte es erst nicht so richtig wahr haben. Obwohl ich 13 Monate verletzt war und mich darauf einstellen konnte. Die Ärzte haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass es Komplikationen geben könnte.


    ZEIT ONLINE: Müssen wir befürchten, dass Sie in ein mentales Loch gleiten?


    Schneider: Bis jetzt kann ich ganz gut damit umgehen, weil noch kein Ball rollt. Wenn die Saison wieder losgeht, wird es schwieriger.


    ZEIT ONLINE: Betrachten Sie die Welt nach diesem Schock mit anderen Augen?


    Schneider: Nein. Jetzt beginnt einfach eine andere Lebensphase, in der ich mich erst mal orientieren muss. Ich kann mich bei Bayer umschauen, im Scouting, Marketing und im Jugendbereich. In ein bis zwei Jahren will ich wissen, was zu mir passt.


    ZEIT ONLINE: Sie haben nach der langen Verletzungspause noch ein Comeback in der Bundesliga gefeiert: 13 Minuten gegen Mönchengladbach.


    Schneider: Ja, das war am 16. Mai 2009. Daran haben nicht alle Neurochirurgen geglaubt. Was ich da erlebt habe, kann ich nicht in Worte fassen, das war so großartig. Wie mich die Fans gegen Gladbach unterstützt und gefeiert haben, das war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben. Das werde ich nie vergessen.


    ZEIT ONLINE: Sie wirkten sehr gerührt. Hätten Sie sich als abgehärteter Profi noch solche Emotionen zugetraut?


    Schneider: Nein, ich war völlig überrascht von mir. Auf einmal liefen die ganzen Monate ab in meinem Kopf, in denen ich mich gequält hatte. Ich war so nervös, wie vor meinem ersten Bundesliga- und Länderspiel. Es war als hätte ich eine 20-Kilo-Bleiweste auf dem Rücken. Alles war schwer, ich konnte meine Beine kaum gerade nach vorne bewegen.


    ZEIT ONLINE: Dass Sie kurz darauf im Pokalfinale nicht mehr zum Einsatz gekommen sind, hat Sie geärgert.


    Schneider: Nicht nur ein bisschen. Es ist nicht meine Art, nachzutreten, aber das hat mir persönlich besonders wehgetan. Wir lagen 0:1 zurück und Trainer Bruno Labbadia hat erst in der 85. Minute gewechselt. Da war mehr drin. Da war ich sauer.


    ZEIT ONLINE: Solche Situationen bleiben Ihnen jetzt erspart. Wie die anstrengenden Läufe in der Saison-Vorbereitung.


    Schneider: Die werde ich nicht vermissen. Trotzdem darf ich nicht von heute auf morgen aufhören mit dem Sport, ich muss ja langsam abtrainieren. Ich war in Jena viel mit dem Mountainbike unterwegs. Und ich laufe regelmäßig. Nur muss ich nicht mehr auf die Uhr schauen und kann nebenbei die Natur genießen. Ich möchte bald eine Kreuzfahrt machen, die Mittelmeerrouten geben viel her. Da kann ich mir in kurzer Zeit viele Städte anschauen. Als Profi sieht man von den Städten immer nur den Flughafen, das Hotel und das Stadion. Ich bin kein Kulturverrückter, aber ich möchte mir das mal in Ruhe anschauen.


    ZEIT ONLINE: Sie sind also der Typ für Pauschalreisen?


    Schneider: Nein, es entspricht eher meinem Naturell, ohne große Ausrüstung in die Natur zu gehen. Ich habe eine Skatrunde mit Freunden in Jena, da haben wir beschlossen, bald eine Abenteuerreise zu machen. In Norwegen oder Schweden eine Hütte mieten und paddeln.


    ZEIT ONLINE: Lassen Sie uns von schönen Momenten im Fußball reden. Sie haben bei der WM 2002 mit Ihrer Technik selbst die Südamerikaner begeistert: Weißer Brasilianer wurden Sie genannt. Sie haben Thüringen näher an Brasilien gerückt, das hat vorher keiner geschafft.


    Schneider: Es war eine Auszeichnung von Spielern wie Emerson so genannt zu werden. Aber wichtiger war mir mein Spitzname Schnix, das kommt von schnixeln, das bedeutet in Thüringen tricksen.


    ZEIT ONLINE: Gibt es nach Ihnen noch überragende Techniker in der Bundesliga?


    Schneider: Bastian Schweinsteiger. Hervorragend sind auch Marko Marin, Mezut Özil und Gonzalo Castro. Aber eine tolle Technik allein reicht nicht für ganz oben. Ich habe mich in jungen Jahren auch viel zu sehr darauf verlassen. Aber zum Fußball gehört mehr dazu, das habe ich erst im Laufe der Jahre begriffen. Für mich war es ganz gut, dass ich eine Zeitlang rechter Verteidiger gespielt habe. Da habe ich gelernt, meine Qualitäten für die Mannschaft einzusetzen.


    ZEIT ONLINE: Sie sind heute recht gesprächig. Dabei sind Sie als Interviewmuffel gefürchtet.


    Schneider: Das ist schon richtig, dass ich lieber Fußball gespielt habe als zu reden. Für mich war das einfach nervig zu erklären, warum ich den Ball da hin gespielt habe und nicht dort. Ich habe selten Interviews gegeben und deswegen nicht schlechter gelebt.


    ZEIT ONLINE: Sie waren immer der Anti-Star.


    Schneider: Ich wollte nie im Mittelpunkt stehen, deswegen habe ich mich auf die Arbeit konzentriert. Ein Star, das wollte ich nie sein. Der Bundesliga-Rummel wird mir nicht fehlen.


    ZEIT ONLINE: Fußballer sagen oft: Ich würde alles wieder genau so machen.


    Schneider: Ich nicht. Ich bedaure, dass ich nicht ins Ausland gegangen bin, als ich gute Angebote aus Spanien hatte. Wie es dort gelaufen wäre, weiß man nicht, aber ich hätte es versuchen sollen.


    ZEIT ONLINE: Sie waren zu passiv, zu bodenständig?


    Schneider: Ja, aber ich habe mich immer heimisch gefühlt in Leverkusen, vielleicht war ich deshalb so zurückhaltend.


    ZEIT ONLINE: Sie waren bei der WM 2006 dabei, als Jürgen Klinsmann eine kleine Revolution im deutschen Fußball anzettelte.


    Schneider: Das mag jetzt blöd klingen: Für mich waren die Fitness-Übungen am wichtigsten, mit und ohne Gummiband. Ich habe mit 32 Jahren gelernt, mich so gezielt auf ein Spiel vorzubereiten, dass ich die optimale Leistung abrufen kann. Fitness, Vorbereitung, Regeneration da konnte ich viel dazulernen. Unter Klinsmann habe ich einige neue Muskelgruppen persönlich kennengelernt. Im physischen Bereich war ich da auf einem absolut guten Niveau.


    ZEIT ONLINE: Sie haben immer davon geträumt, noch 2010 in Südafrika anzutreten.


    Schneider: Das war mein Ansporn, da wollte ich unbedingt hin. Dafür habe ich mich gequält. Ich habe überlegt, mit meiner Skatgruppe zur WM zu fahren, aber jetzt haben alle ein wenig Angst wegen der Sicherheitslage. Vielleicht fahre ich da als Fan hin. Ich war schon immer Deutschland-Fan und das wird auch so bleiben.


    ZEIT ONLINE: Schon immer, auch zu DDR-Zeiten?


    Schneider: Ganz am Anfang war ich für Argentinien, auch wegen Maradona. Aber bei der WM 2006 ist auch der letzte Rest Sympathie für Argentinien verflogen, weil die Spieler so rüpelhaft aufgetreten sind.


    ZEIT ONLINE: Wenn Sie mal dabei sind, haben Sie viel zu erzählen. Sie könnten ein Buch damit füllen.


    Schneider: Das bräuchte ich nicht unbedingt. Lieber ein Kinderbuch mit dem Helden Schnix, der mit dem Ball sogar Brasilianer verzaubern kann. Das wäre mir zumindest nicht unangenehm.


    http://www.zeit.de/online/2009/32/bernd-schneider-interview