Bayer Leverkusens Höhenflug hat viele Gründe

  • Von S. Lüdeke und B. Lindert 30. August 2009, 18:16 Uhr


    Bayer Leverkusens Höhenflug lässt sich nicht nur auf die Treffsicherheit von Stefan Kießling reduzieren. Der Stürmer ist nur ein wichtiges Rädchen im System, bei dem derzeit vieles ineinander greift. Mit Jupp Heynckes ist ein Trainer da, der nach Bruno Labbadia nicht viel falsch machen konnte. Und der sogar alles richtig macht.


    Wahrscheinlich hat Stefan Kießling mittlerweile seine Zweifel daran, dass diese Ankündigung tatsächlich eine gute Idee war. Solange Leverkusen in der Bundesliga ungeschlagen bleibt, solange will er sich nicht mehr rasieren. Schon jetzt sprießen die Stoppeln recht unvorteilhaft in seinem Gesicht, die Länderspielpause beschert ihnen noch mindestens zwei weitere Wochen ungebremsten Wachstums.



    Kießling scheint dies nicht sonderlich zu stören. Er ließ sich am vierten Spieltag der Fußball-Bundesliga jedenfalls nicht davon abhalten, höchstselbst dafür zu sorgen, dass Bayer mit nun zehn Punkten weiter ganz vorn mitmischt und der Rasierer in der Schublade bleibt. Beim 2:1 (1:1) über den VfL Bochum war er in der 68. Minute zur Stelle und markierte nach einer Flanke von Toni Kroos den Siegtreffer. Ganz nebenbei machte der 25-Jährige auch noch Werbung in eigener Sache.


    Seine Nichtnominierung für die Länderspiele gegen Südafrika (5. September) und Aserbaidschan (9. September) hat in Leverkusen wenig Verständnis gefunden, immerhin hatte Kießling in der Bundesliga zuvor bereits in jedem Spiel getroffen. „Ich verstehe es einfach nicht“, hatte Kießling unter der Woche erklärt. Nach dem Spiel gegen Bochum verpasste er sich einen Maulkorb. „Dazu sage ich nichts mehr“, erklärte er; wohl auch im Bewusstsein, zuvor deutliche Zeichen gesetzt zu haben.



    Der Blondschopf war der beste Spieler auf dem Platz, nicht nur seines Tores wegen. Kießling war immer anspielbar, riss Lücken und spielte so überzeugend, dass Trainer Jupp Heynckes eine Ausnahme von seiner alten Maxime machte und den Stürmer in seiner Analyse mit einem Extralob bedachte: „Das war das Beste, was ich bislang von ihm gesehen habe.“


    Den Leverkusener Höhenflug auf die Treffsicherheit des Stürmers zu reduzieren, wäre aber verfehlt. Kießling ist nur ein wichtiges Rädchen im System Leverkusen, bei dem derzeit vieles ineinander greift. Heynckes hat von Bruno Labbadia einen Kader übernommen, dessen fußballerische Qualität in der Liga wohl nur von wenigen Klubs übertroffen wird. Schon in der Vorsaison wusste Bayer die Liga mit begeisterndem Fußball zu verzücken. Bis zum 21. Spieltag lag die Mannschaft auf Rang fünf, einen Champions-League-Platz in Sichtweite. Am 34. Spieltag betrug der Rückstand auf die Europa-League-Plätze dann aber zwölf Zähler – weil Trainer Labbadia es geschafft hatte, innerhalb kürzester Zeit alles und jeden in Leverkusen gegen sich aufzubringen. Insbesondere seine Spieler, die sich an seinem harten Training und der uncharmanten Art der Kommunikation störten.



    Mit Heynckes ist nun ein Trainer gefunden, der nach Labbadia nicht viel falsch machen konnte. Und der sogar alles richtig macht. Selten hat man in Leverkusen Mannschaft und Trainer so harmonisch gesehen, bei Bayer kommen viele Spieler schon eineinhalb Stunden vor dem Trainingsbeginn, um Stabilisationsübungen zu machen und in den Kraftraum zu gehen. „Die Mannschaft zieht voll mit“, lobte Heynckes seine Spieler, „ich spüre, wie sie versucht, das umzusetzen, was ich vorgebe.“


    Wichtig ist für Bayer auch, dass die Heimspiele wieder in Leverkusen ausgetragen werden. Im Düsseldorfer Exil ist der Mannschaft in der Rückrunde der vergangenen Saison nicht viel gelungen. Einen einzigen Heimsieg feierte man dort. Nun ist Bayer also in die Heimat zurückgekehrt, das Stadion wurde runderneuert, auf eine Kapazität von 30.500 Zuschauern vergrößert und soll für Bayer wieder zur Festung werden. „Für unsere Spieler“, sagt Heynckes, „ist es ganz wichtig, dass sie wieder Heimspiele austragen kann.“ Leverkusen hat also ein neues Stadion und einen neuen Trainer und eine neue Art, Fußball zu spielen. „Wir haben den Spielstil etwas geändert“, erklärte Heynckes, „es ist wichtig, dass man variabel und in der Lage ist, mal zu verlangsamen oder zu beschleunigen.“


    "Wir haben an unsere Stärke geglaubt"


    Dies kann Bayer nun, auch dank neuer Spieler. Schon in der Winterpause der vergangenen Saison kam mit Thomas Zdebel (36) aus Bochum ein erfahrener Bundesligaprofi. Zu dieser Spielzeit wurde mit dem Finnen Sami Hyypiä (35) aus Liverpool ein Stabilisator für die Defensive verpflichtet. Auch deswegen ist die Mannschaft gegen Bochum ruhig geblieben und war in der Lage, das Spiel noch zu drehen. „Wir haben an unsere Stärke geglaubt“, sagte Simon Rolfes, „das ist eine neue Qualität im Vergleich zum Vorjahr, wo wir es nie geschafft haben, nach einem Rückstand ein Spiel noch zu drehen.“


    Bei aller Euphorie wissen sie in Leverkusen, die bisherigen Ergebnisse richtig einzuschätzen. Mit Mainz, Hoffenheim, Freiburg und Bochum war das Auftaktprogramm ein vergleichsweise leichtes. „Es gibt in der Bundesliga bekanntlich keine leichten Gegner“, sagte Heynckes zwar. Ob die Mannschaft in der Lage ist, auch gegen die Schwergewichte der Liga mitzuhalten, erweist sich aber erst am fünften Spieltag – dann ist Bayer zu Gast bei Meister VfL Wolfsburg.



    http://www.welt.de/sport/fussb…ug-hat-viele-Gruende.html