30.08.2009 13:23 Nationalmannschaft
Die magischen Momente bleiben
Einer der Großen auf dem Spielfeld: Bernd Schneider
Einen großen Titel hat er nie gewonnen, und trotzdem gehört Bernd Schneider zu den großen deutschen Fußball-Spielern. In Leverkusen wird der begnadete Techniker offiziell von der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet. „Das passt perfekt. Ich freue mich riesig“, sagt der 35-Jährige, der vor seinem Karriereende in der Bundesliga zehn Jahre für Bayer 04 spielte. Ein Porträt über den „weißen Brasilianer“ von Kerstin von Kalckreuth, Redakteurin der „Kölnischen Rundschau“.
Bernd Schneider ist nicht schwermütig geworden. Auch jetzt nicht, da in der Bundesliga der Ball wieder rollt und die Nationalmannschaft wieder um die WM-Qualifikation spielt. „Gesundheitlich geht es mir gut, und ich kann ganz gut damit umgehen, dass ich nicht mehr Fußball spielen darf“, sagt der 35-Jährige. Den Bundesliga-Start hat er vor Ort in Wolfsburg miterlebt, in zivil, als Zuschauer. „Ich habe das gefasster aufgenommen als ich mir das vorgestellt hatte“, erzählt Schneider, „aber ich kannte das Gefühl, auf der Tribüne zu sitzen, ja schon aus meiner Verletzungszeit.“
Bandscheibenvorfall im April 2008
Im April 2008 hatte Schneider beim UEFA-Cup-Spiel in St. Petersburg einen Schlag in den Rücken bekommen. Der daraus resultierende Bandscheiben vorfall im Bereich der Halswirbelsäule musste operiert werden. Es folgte ein 13-monatiger Kampf um das Comeback. Krafttraining, Extraschichten, Auf bau übungen. Eine schwere Zeit für Schneider, der am liebs ten immer nur spielen wollte. „Da ist schon die eine oder andere Träne geflossen“, erinnert er sich. Beigestanden haben ihm die Familie, Freunde, Kollegen. Und seine Fans.
All die Mühe, die Stunden im Fitnessraum, das Aufraffen nach Rückschlägen, die ersten vorsichtigen Spielversuche mit Bayers zweiter Mannschaft in der Regionalliga hatten sich gelohnt. Am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison, dem letzten Heimspiel der Leverkusener im „Ausweichquartier Düsseldorf“, kehrte der begnadete Techniker auf den Rasen zurück. „Ich habe viele grandi-ose Spiele erlebt, aber das war einer der schönsten Momente meiner Karriere.“ Eine Viertelstunde vor Schluss wurde „Schnix“ eingewechselt. Die anschließenden 15 Minuten wird er nie vergessen.
Die Fans, auch die des Rivalen aus Mönchengladbach, erhoben sich ehrfürchtig und sogar die Profis auf dem Feld applaudierten. „Ich war aufgeregt wie vor meinem ersten Bundesliga-Spiel und meinem ersten Einsatz in der Nationalmannschaft“, erinnert sich Schneider. Dann lächelt er: „Ich war so gerührt.“ Und mit ihm so ziemlich jeder, der diesen Augenblick miterleben durfte. Es sollte Schneiders letzter Auftritt sein, bevor er seine Karriere doch beenden musste, weil sich herausstellte, dass die Rückenmarkverletzung ein zu großes Risiko für die Fortsetzung seiner Karriere als Profifußballer sein würde. „Ich habe Verantwortung für meine Familie und habe mich deswegen dem Rat der behandelnden Fachärzte angeschlossen.“
Schluss, aus, Karriereende für einen außergewöhnlichen Spieler. Schneider war Vize-Weltmeister 2002. Er trieb im Finale seinen Gegenspieler Roberto Carlos mit seinen Finten und cleveren Pässen zur Verzweiflung. Emerson, sein einstiger Mitspieler in Leverkusen, verpasste ihm wegen seiner technischen Brillanz den Namen „weißer Brasilianer“. Ein Beispiel für die Bescheidenheit des gebürtigen Jenaers Schneider ist, dass er sich viel lieber „Schnix“ nennen lässt. „Schnixeln“ kommt aus dem Thüringischen und bedeutet so viel wie: mit dem Ball tricksen. Und das konnte Schneider wie kaum ein anderer Deutscher.
Jahr 2002 war das erfolgreichste in der Karriere
Das Jahr 2002 war das erfolgreichste des Familienvaters, aber gleichzeitig auch das tragischste. Viermal landete Schneider auf Rang zwei. Mit Bayer Leverkusen wurde er Deutscher Vize-Meister, Vize-Pokalsieger und unterlag in der Champions League erst im Finale Real Madrid. Dazu kam der zweite Platz bei der WM. „Vielleicht komme ich damit ja ins Guinness-Buch der Rekorde“, flüchtete sich Schneider damals in Galgenhumor. Heute kann er gut damit leben, dass er nie einen Titel gewann. „Natürlich hätte ich gerne einmal die Meisterschale in den Händen gehalten, aber trotzdem kann ich sagen: Ich bin stolz auf meine Karriere.“ Nach 81 Länderspielen, dem dritten Platz bei der WM 2006 im eigenen Land, nach 45 Einsätzen in der Champions League und nach 39 Toren in 296 Bundesliga-Begegnungen hat er allen Grund dazu. Schneider wurde nicht für Titel oder seine Tore geliebt.
Die Herzen der Fans eroberte er, weil er auf dem Feld für das Besondere zuständig war, weil er selbstlos für seine Mannschaft kämpfte, weil er nie aufgab. Und weil er dabei nie vergessen hat, wo seine Wurzeln liegen. So pendelt der zweifache Vater mit seiner Frau Carina derzeit zwischen Leverkusen und Jena. „Ich genieße es, dass ich jetzt mehr Zeit mit meiner Familie und mit Freunden in Jena verbringen kann, ohne im Hinterkopf zu haben, dass ich morgen aber wieder los muss, weil übermorgen Training ansteht.“ In Leverkusen wird Schneider in diesem Jahr alle Abteilungen durchlaufen um herauszufinden, was ihm liegt. „Keine Angst“, sagt er, „dem Fußball werde ich auf jeden Fall erhalten bleiben.“ Zwar kann er sich eine Trainertätigkeit derzeit nicht unbedingt vorstellen, „aber man soll ja niemals nie sagen“, erzählt Schneider, der neben seiner neuen Tätigkeit als Repräsentant von adidas die Trainer scheine machen will.
Auf der Internetseite des 35-Jährigen steht, dass er „nie mehr im Leben so viel rennen will“. Die laufintensive Vorbereitung der Profis hat er im Sommer tatsächlich nicht vermisst. Ganz ohne Dauerläufe geht es aber doch nicht. „Ich muss abtrainieren“, sagt Schneider, „aber dabei muss ich nicht immer auf meinen Puls achten, sondern kann die Natur genießen.“ Auch mit dem Fahrrad ist er viel unterwegs, „vor allem wenn die Sonne scheint“, schmunzelt Schneider: „Da kann ich dann auch mal im Biergarten halt machen.“ Nur aufs Kicken hat er bisher verzichtet: „Ich möchte erstmal Abstand gewinnen, sonst würde ich wahrscheinlich schnell wieder jeden Abend Fußball spielen.“
Neues Leben außerhalb des Platzes
Das neue Leben des Bernd Schneider spielt außerhalb des Platzes. Und dort hat er noch so vieles vor. Wenn sein kleiner Sohn Giovanni (1) erst mal „aus dem Gröbsten raus ist“, gibt es einiges nachzuholen, auf das er während seiner Zeit als Profi verzichten musste. „Ich war in so vielen europäischen Städten, die ich aber höchstens auf den Fahrten vom Flughafen zum Hotel und vom Hotel ins Stadion genießen konnte. Ich bin kein Kulturfanatiker, aber Städte wie Rom würden mich reizen“, sagt Schneider. Und Südafrika? Die Teilnahme an der WM 2010 in Südafrika war lange Schneiders sportlicher Ansporn. Für ihn war es immer eine Ehre, für Deutschland spielen zu dürfen. „Jetzt bin ich ein Fan der Nationalmannschaft. Das war ich schon bei der EURO 2008, bei der ich ja leider nicht dabei sein konnte, und das werde ich immer sein.“
Vor allem zu Michael Ballack, Clemens Fritz und René Adler hat er regelmäßig Kontakt, auf das Wiedersehen in Leverkusen hat er sich lange gefreut. Nach dem sportlichen Aus hatte er eigentlich mit seinen Skat-Freunden nach Südafrika fahren wollen. „Aber einige haben Angst bekommen“, erzählt Schneider: „Jetzt planen wird etwas anderes. Vielleicht plündern wir unsere Skat-Kasse und machen eine Bootstour in Schweden oder Norwegen. Vielleicht sammeln wir auch weiter und fahren zu einer anderen WM.“ Wenn er das sagt, klingt der ehemalige Fußball-Profi wie ein ganz normaler Fan.
Quelle: DFB.de