Diese Rolle des Anführers ist auch eine Frage des Charakters. Kann man das einfach so einfordern?
René Adler hat vor Kurzem im Training einen Spieler, einen unantastbaren Stammspieler, aber richtig zusammen gefaltet. Das war wunderschön. Früher haben wir uns auch selbst diszipliniert und motiviert. So ein Element braucht man, aber es muss das Ziel dahinter stehen, der Mannschaft weiterzuhelfen.
Das Team wirkt in der Tat gereift, muss trotzdem mit dem für Leverkusen so typischen Einbruch gerechnet werden?
Ich glaube nicht, dass der Einbruch kommt. Es haben sich einige Dinge verbessert, defensiv haben wir jetzt Sami Hyypiä, davon profitiert das Team enorm. Die Mannschaft ist gewachsen, wir können schon an Details arbeiten. Zum Beispiel glaube ich, dass wir zu meiner Zeit als Spieler die besseren Laufwege gefunden haben. Richtig guter Kollektivfußball ist wahnsinnig schwierig, da braucht man ein sehr hohes fußballerisches Vermögen.
Stefan Kießling scheint wunderbar mit Ihrem Ansatz zurechtzukommen. Dabei wirkte er früher oft etwas hölzern. Wie haben Sie das hinbekommen?
Ich sprach schon vom Entschleunigen. Stefan Kießling verliert ja keinen Ball, wie einst Marco van Basten. Ich sage immer: Du machst das Spiel schnell durch deine Ruhe, das ist viel effektiver, als wenn du da vorne rumzappelst. Seine ganzen Aktionen sind zurzeit von innerer Ruhe getragen.
Sie propagieren den Kurzpassfußball der Spanier, der nicht darauf setzt, einen unsortierten Gegner überfallartig zu überrumpeln, sondern mit langen Ballstafetten Lücken zu öffnen. Das ist der anspruchsvollere Weg.
Ja, und das geht nur mit sehr guten Fußballern. Ich glaube, das ist ein Trend in der Bundesliga, der Fußball wird insgesamt wieder etwas besser. Voraussetzung für diese Spielweise ist aber, dass es keine Animositäten zwischen den Spielern gibt, deswegen ist das Zwischenmenschliche so wichtig. In Barcelona funktioniert das perfekt. Iniesta ist der beste Mittelfeldspieler der Welt, Xavi, Messi, großartige Fußballer, aber sehr bescheidene Leute. Diese Spieler verhalten sich nicht wie Superstars. Das ist der Unterschied zu Cristiano Ronaldo, der ist ein Superstar, und er verhält sich oft auch so.
Vermissen Sie den internationalen Fußball?
Ja, es schmerzt, mittwochs dort zuzusehen. Aber das kann ja kommen, Bayer 04 hat den Anspruch, im internationalen Wettbewerb dabei zu sein. Das muss das Ziel sein.
Vielleicht erobert die Bundesliga in dieser Saison den dritten Rang in der Fünfjahreswertung und damit weitere Startplätze im Europapokal. Holt die Bundesliga derzeit auf?
Wir können auf jeden Fall die Italiener überflügeln. In England gibt es nur fünf Mannschaften, die Fußball spielen, die anderen rennen Fußball. Der spanische Fußball ist überschuldet, der englische Fußball auch, da steht die Bundesliga sehr gut da, irgendwann wird sich das auszahlen. Fußballerisch nähern wir uns auch den Spitzenklubs in Spanien und England. Die Entwicklung ist sehr erfreulich, der deutsche Fußball bekommt zurzeit einen riesigen Schub.
Interview: Daniel Theweleit
Berliner Zeitung vom Wochenende