Von Lars Gartenschläger 7. Oktober 2009, 08:40 Uhr
Seit Dienstag bereitet Bundestrainer Joachim Löw die Nationalmannschaft auf das Spiel gegen Russland vor. Das Duell am Samstag in Moskau wird darüber entscheiden, ob sich die DFB-Auswahl vorzeitig für die WM 2010 qualifiziert. WELT ONLINE sprach mit Rene Adler über das Spiel und seine Karriere.
WELT ONLINE: Zur Einstimmung auf besondere Spiele hat sich „Toni“ Schumacher früher vor den Spiegel gestellt und gesagt: „Ich bin der Größte!“ Was tun Sie?
Rene Adler (24´): Ich bereite mich so vor wie immer. Es wäre falsch, wenn ich meinen Tagesablauf extra umstellen würde. Was soll das bringen? Zusätzlichen Druck brauche ich nicht.
WELT ONLINE: Spielt Mentaltraining eine Rolle für Sie?
Adler: Ja. Ich lese viel darüber und baue diverse Übungen auch in mein Training ein. Ich glaube, dass ich dadurch die gewissen Prozentpunkte herausholen kann, die den Unterschied ausmachen könnten. Ich denke, es wäre unprofessionell von mir, im mentalen Bereich nicht zu arbeiten und das Angebot des DFB nicht zu nutzen, mit einem Sportpsychologen zu sprechen.
WELT ONLINE: Wie gehen Sie mit der besonderen Verantwortung des Torwarts um?
Adler: Ein Torwart hat zwar eine Sonderrolle, aber er ist auch nur Teil der Mannschaft. Ich mache mir generell keine Gedanken über negative Erlebnisse – auch vor dem Russland-Spiel nicht. Jeder Spieler wird eine spezielle Aufgabe in dieser Partie haben. Und wenn jeder seine gut erledigt, gewinnen wir das Spiel auch.
WELT ONLINE: Eine Sache könnte zum Problem werden: Sie müssen auf Kunstrasen antreten.
Adler: Einerseits haben wir eine Woche Zeit, uns darauf vorzubereiten. Andererseits beschäftige ich mich nicht mit Sachen, die ich nicht beeinflussen kann. Denn es nutzt nichts, unnötig Energie zu verschwenden. Ich nehme die Herausforderung, dass dort ein Kunstrasen liegt, ganz einfach an. Eines weiß ich aber: Ich falle auf diesem Rasen weicher.
WELT ONLINE: Wie schon im Hinspiel, als Sie Ihr Debüt feierten, profitieren Sie diesmal wieder von einer Verletzung Ihres Rivalen Robert Enke.
Adler: Es ist – so komisch es klingt – irgendwie auch das Schicksal eines Torhüters. Du bekommst nur auf wenige Arten die Möglichkeit zu spielen. Entweder bekommt die Nummer eins eine Rote Karte, oder sie hat eine Formschwäche, oder sie verletzt sich. Es ist blöd, dass es wieder so gelaufen ist. Aber ich freue mich zu spielen.
WELT ONLINE: Gibt es so etwas wie Mitleid?
Adler: Ich denke schon, wobei ich eher von Mitgefühl sprechen würde. Es ist hart für Robert, und ich kann mich gut in ihn hinein versetzen.
WELT ONLINE: Fühlen Sie sich jetzt als vorübergehende Nummer eins?
Adler: Ich betrachte mich als ein Teil der Mannschaft – mehr nicht. Ich bin einer von 25, 30 Spielern, die zum engen Kreis des Bundestrainers gehören. Mir wird da sicherlich eine bestimmte Rolle zuteil – wie jetzt in Russland, wo ich dazu beitragen muss, dass wir Erfolg in der Qualifikation haben. Das ist für mich wichtig – und nicht etwa Gedanken darüber, wie die Rangordnung der deutschen Torhüter aussieht. Ich bin zwar noch jung, aber ich habe in diesem schnelllebigen Geschäft schon gelernt, dass es die große Kunst ist, sich als Spieler auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Das hat auch einen Spitzentorwart wie Oliver Kahn ausgezeichnet.
WELT ONLINE: Sie klingen etwas demütig. Gehört das auch zum Geschäft?
Adler: Mag sein. Für mich ist das aber auch ein Teil meiner Lebensauffassung. So bin ich erzogen worden. Zwei große D haben mein bisheriges Leben geprägt: das eine für Demut, das eine für Dankbarkeit. Wenn ich heute spielen darf, dann bin ich bei aller Routine immer noch dankbar dafür, dass ich diesen Beruf ausüben darf. Jedes Spiel ist für mich immer noch etwas Besonderes.
WELT ONLINE: Sie stammen aus Leipzig, aus der Stadt, in der 1989 die friedliche Revolution in der DDR begann. Was bedeutet es für Sie, den Bundesadler auf der Brust zu tragen?
Adler: Jedes Länderspiel ist grandios. Denn es ist das Größte für mich, für mein Land aufzulaufen. Ich freue mich, dass ich es so weit gebracht habe. Und was Leipzig betrifft, freue ich mich, dass die Menschen dort sagen können: „Hey, da hat es einer aus unserer Stadt in die deutsche Nationalmannschaft geschafft!“
WELT ONLINE: Der frühere Nationaltorhüter Kahn sieht Sie und Ihre deutschen Kollegen derzeit nicht auf Weltklasseniveau und begründet es damit, dass niemand auf Dauer in der Champions League und zudem auch nicht konstant spielt.
Adler: Es nicht meine Aufgabe zu beurteilen, ob er Recht hat oder nicht. Es ist seine Meinung. Aber niemand sollte natürlich vergessen, dass wir hier über junge Torleute reden. Und für die Kategorie „Weltklasse“ bedarf es eines gewissen Alters und einer gewissen Erfahrung. Die wenigsten Torhüter hatten mit 23, 24 die Klasse, die sie mit 30 hatten. Ich denke, jeder sollte uns noch Zeit für die Entwicklung geben. Aber wir sind alle auf einem guten Weg, mal an die Weltspitze zu kommen.
WELT ONLINE: In der vergangenen Saison hatten Sie erstmals eine Schwächephase. Wie war diese Erfahrung?
Adler: Es war sicher keine leichte Phase. Ich musste als junger Spieler erst einmal lernen, damit umzugehen. Aber es war für meine Entwicklung enorm wichtig. Es gehört eben zu unserem Geschäft: Mal stehst du im Fokus, weil du gut bist, und mal wirst du öffentlich an den Pranger gestellt, weil du weniger gut bist. So ist das.
WELT ONLINE: Als es nicht so gut lief, gab es auch Berichte über Ihr Privatleben.
Adler: Aber ich habe noch keine Paranoia und vermute hinter jeder Ecke einen Heckenschützen. Ich weiß, dass durch unsere Stellung in der Gesellschaft für einige nicht nur unser Wirken auf dem Platz von Interesse ist, sondern auch das Privatleben. Das kann ich teilweise sogar ein bisschen nachvollziehen. Allerdings bin ich ein sehr familiärer Typ. Weshalb ich meine Familie als einen Teil betrachte, der niemanden etwas angeht. Ich will sie schützen, weil sie mir auch einen Raum bietet, wo ich so sein kann, wie ich wirklich will.
WELT ONLINE: Wie Sie gegen Russland spielen, wird von großem Interesse sein. Wie beurteilen Sie die Chancen?
Adler: Wir sind Gruppenerster – eine optimale Voraussetzung. Wir haben es sicher mit einem starken Gegner zu tun. Aber ich bin guter Dinge, dass wir taktisch gut eingestellt sein und gut spielen werden. Ich habe keine Bedenken.
WELT ONLINE: Herr Adler, Ihrer Mannschaft droht die Relegation. Als Deutschland vor der WM 2002 gegen die Ukraine in die Relegation musste, waren Sie gerade 16 Jahre alt. Können Sie sich an die Spiele noch erinnern?
Adler: Ich habe vor dem Fernseher mitgezittert. Ich weiß noch, wie Michael Ballack damals im zweiten Spiel in Dortmund für die Führung gesorgt hat. Das waren zwei sehr emotionale Spiele, die selbst den Fans an die Nerven gingen. Ich denke, für einen Spieler bedeutet so eine Relegation enormer Druck. Ich hoffe, uns bleibt das diesmal erspart.