Von Frank Nägele, 11.10.09, 21:57h
Überragende Leistung: Mit starken Paraden und einer Präsenz, die an Oliver Kahn erinnert, rettet Rene Adler seiner Mannschaft den Sieg in Moskau. Der Leverkusener ist zu Deutschlands bestem Torwart aufgestiegen.
MOSKAU - Im Fußball verkleiden sich große Momente manchmal als kleine, und dann wissen selbst die Helden nicht, was sie damit anfangen sollen. Als der Schweizer Schiedsrichter Massimo Busacca am Samstagabend im Moskauer Luschniki-Stadion in seine Pfeife blies, blieben dramatischen Emotionen erst einmal aus.
Die Spieler in den roten Trikots sanken ein wenig in sich zusammen und begannen, vom Kunstrasen zu schleichen. Die in den weißen, die Deutschen, blickten sich ungläubig an. „Ich verstand überhaupt nicht, dass das Spiel vorbei war, ich habe mich auf einen Freistoß vorbereitet“, sagte René Adler später. Erst als sich die anderen vorsichtig freuten, so, als sei das frische Glück noch ganz zerbrechlich, drang die Tatsache in den schmalen Tunnel seiner Konzentration. 1:0 in Russland gewonnen. Deutschland ist qualifiziert, wie immer. Die Tickets für die Weltmeisterschaft in Südafrika 2010 können gebucht werden.
Dieser erstaunliche Sieg hatte viel zu tun mit der Leistung des 24-jährigen Torhüters, der mit Verzögerung seinen persönlichen Freudenlauf über den ganzen Platz begann. Als erster begegnete ihm Kapitän Michael Ballack, von dem es einen freundlichen Klaps gab. Dann, schon fast im anderen Strafraum, wartete Simon Rolfes, der Kollege von Bayer 04 Leverkusen. Es folgte eine Umarmung zweier Männer, die geholfen haben, ein großes ge meinsames Ziel zu erreichen und dabei an ihrem eigenen angekommen waren. Im Kern der Nationalmannschaft, im Bereich der Unverzichtbarkeit.
Im Fall von Adler wird dieser Zustand durch eine ominöse Nummer ausgedrückt. Die Nummer eins. Der Blonde aus Leverkusen, der in der Tradition von Größen wie Turek, Maier, Schumacher und Kahn steht, hat im entscheidenden Moment die bestmögliche Leistung gezeigt. Das ist es, was eine deutsche Nummer eins können muss. Unter kompliziertesten Bedingungen und größtem Druck war Adler in der düster-wilden Atmosphäre des Luschniki-Stadions monströs in seiner Fehlerlosigkeit. Das neueste Modell deutscher Torhüter-Produktion. Leistungsstark und zuverlässig wie die Fabrikate deutscher Automobilkunst, mit denen Moskaus Oberschicht durch ihre Metropole brettert.
Da kam auch der Bundestrainer, der sich in der Nummer-eins-Frage eigentlich gar nicht festlegen wollte, um grundlegendes Lob nicht umhin. „Man muss ihm ein Kompliment machen, René hat in zwei, drei Situationen hervorragend gehalten, er macht einen stabilen Eindruck“, sagte Joachim Löw. Andreas Köpke, der Torwart-Coach des Nationalteams, ging weiter: „René hat überragend gehalten.“
Die Szene, die allen im Gedächtnis haften blieb als Vorentscheidung in diesem Spiel, ereignete sich in der 30. Minute. Nach einem Konter tauchte der raketenschnelle russische Angreifer Wladimir Bystrow frei vor Adler auf. Aber der deutsche Torhüter hatte ihm in einer geschwinden Bewegung schon alle Winkel genommen und sich zu einem Koloss von gefühlt etwa vier mal vier Meter Größe aufgebaut, an dem der Schuss abprallen musste. „Da hat er uns mit einer sensationellen Parade im Spiel gehalten“, lobte Michael Ballack.
Hervorragende Reflexe
Es wurde Adlers Abend. Nachdem Klose in der 35. Minute das 1:0 erzielt hatte, arbeitete der Torhüter weiter an der Konsolidierung seines nicht mehr nur vorübergehenden Status' als Nummer eins. Drei hervorragende Reflexe musste er noch zeigen, um seinem Team den Sieg zu sichern. Aber der Sachse, der seit seinem 15. Lebensjahr in Leverkusen lebt und trainiert, hat solche magischen Momente noch nie mit Veitstänzen und Siegesgebrüll zelebriert. Wenige Minuten nach Schlusspfiff war er wieder die totale Selbstkontrolle und gab druckreife Statements für das diplomatische Protokoll zum Besten. „Es gibt sicherlich Tage, in denen man als Torhüter weniger im Fokus steht“, so Adler, „es war das emotionalste Spiel in meiner noch jungen Karriere.“
Von außen war das gar nicht so einfach zu erkennen. Nur einmal, so nach 75 Minuten, als sein Team in Unterzahl und schwer unter Druck geraten war, brachen diese Emotionen hervor, nach einem banalen Abschlag, den Adler an den gegnerischen Sechzehnmeterraum geschossen hatte, weil er glaubte, Miroslav Klose würde sich da freilaufen. Tat er aber nicht. Darauf erlitt der Torhüter am eigenen Sechzehnmeterraum einen mittleren Tobsuchtsanfall, denn solche Kleinigkeiten sind ihm für sein Spiel ebenso wichtig wie der Hechtsprung unters Lattenkreuz, den man einst Robinsonade nannte.
Aber kaum jemand hatte das bemerkt. Und dann war der Panzer der Konzentration wieder da. So dick, dass nicht einmal der Schlusspfiff ihn auf Anhieb durchdrang.