Der Leverkusener nutzt Enkes Ausfall erneut glänzend und gilt nun wieder selbst als Nummer 1
Ganz am Ende geriet René Adler dann doch noch in Erklärungsnotstand. Wo denn seine Emotion geblieben sei, fragte ein Reporter mit fast schon vorwurfsvollem Unterton, schließlich habe Adler direkt nach Abpfiff in Moskau gar nicht gejubelt. Doch auch darauf hatte der Mann des Abends eine Antwort zur Hand, die ähnlich verblüffte wie seine exzellenten Paraden auf dem Feld: „Ich habe gar nicht registriert, dass es schon der Schlusspfiff war“, erklärte Adler, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich dachte, es gebe noch einmal Freistoß für Russland. Da wollte ich unbedingt konzentriert bleiben
und den Ball auf keinen Fall eine Sekunde aus den Augen lassen.“
Einige Momente später feierte der Leverkusener dann natürlich doch mit den Kollegen. Schließlich hatte er gerade „eines meiner emotionalsten Spiele“ hinter sich. Doch diese Emotion zeigt sich eben nicht in Temperamentsausbrüchen oder spektakulären Posen wie einst bei Oliver Kahn. „Ich habe das Spiel richtig genossen, einfach Spaß gehabt“, schildert Adler sein Empfinden der 90 Minuten. Das wirkt, als wäre der Schlussmann allen äußeren Einflüssen entrückt. Möglicherweise das Ergebnis der gezielten „Kopfarbeit“ mit dem Teampsychologen Hans-Dieter Hermann. „Darauf“, so Adler, „greife ich immer wieder gerne zurück.“
Und wo ein Oliver Kahn die Gegner durch sein furchterregendes Auftreten einschüchterte, vermag Adler seine Widersacher offenbar gerade durch die Aura der Unnahbarkeit erstarren zu lassen. Sogar einen internationalen Top-Mann wie Andrej Arshavin. „Nach den ersten beiden Bällen hatte ich die Überzeugung: Heute kriege ich keinen rein“, sagt Adler – und strahlte eben das auch aus: „Es war unser Pech, dass wie im Hinspiel dieser Keeper im Tor stand“, klagt der russische Ex-Torhüter Stanislav Cherchessov (46), „das bekamen unsere Spieler irgendwann nicht mehr aus dem Kopf.“
Diesmal wie beim 2:1 im Oktober 2008 profitierte der 24-Jährige vom Ausfall des als Nummer 1 vorgesehenen Robert Enke (32). Und wird nun wieder selbst als Top-Favorit auf den Stammplatz in Südafrika gehandelt. Doch auch davon will sich der zum „Bundes-Adler“ Auserkorene nicht berühren lassen: „Die Frage nach der Nummer 1 beschäftigt mich nicht. In dem Punkt lasse ich mich auch nicht aus dem Konzept bringen.“ Nicht mal von eigenen Klasse-Leistungen.
Quelle: kicker-Printausgabe vom 12.10.09