Der Leverkusener Kapitän SIMON ROLFES (27) ist zum wichtigen Teil der Nationalelf geworden. Hier verrät er seine Pläne für die WM und sagt, warum mit der deutschen Mannschaft zu rechnen sein wird.
kicker: In Moskau 90 Minuten im Einsatz, gegen Finnland nicht mal auf der Bank. Schmeckt die Belohnung für die vorzeitige WM-Qualifikation bitter, Herr Rolfes?
Simon Rolfes: Natürlich freut man sich über jedes Länderspiel. Aber nach dem Sieg in Russland war klar, dass es Veränderungen geben wird. Insofern bin ich nicht enttäuscht, dass ich nicht zum Einsatz kam.
kicker: Welchen Stellenwert hat für Sie die Partie in Moskau?
Rolfes: Sie gehört zu den drei emotionalsten Spielen, die ich je bestritten habe neben dem Viertelfinale gegen Portugal und dem Halbfinale gegen die Türkei bei der EURO im vergangenen Jahr. Ein Jahr lang lag der Fokus auf diesem Spiel, der Druck war enorm. Denn wir hätten zweifelhaften Ruhm erlangt, wenn wir als die Ersten in der deutschen WM-Geschichte ein Qualifikationsspiel auswärts verloren hätten.
kicker: Was bedeutet dies im Hinblick auf die WM?
Rolfes: In solchen Momenten wie in Moskau wächst eine Mannschaft zusammen. Man ruft eine besonders gute Leistung ab, man erlebt besondere Emotionen, man feiert einen besonderen Sieg. Das kann schon eine Signalwirkung für die Zukunft haben.
kicker: Haben Sie in Moskau auch Ihr persönliches WM-Ticket gelöst?
Rolfes: Ich denke, mit der Leistung habe ich einen großen Schritt nach vorn gemacht. Aber ich will in Südafrika nicht nur dabei sein, sondern dort auch eine wichtige Rolle spielen. Mein Ziel ist es, Stammspieler zu sein, auf dem Platz zu stehen und nicht auf der Bank zu sitzen. Und ich bin davon überzeugt, dass ich meine Ansprüche in den nächsten Monaten weiterhin durch Leistung bestätigen werde.
kicker: Mit zwei Einsätzen wie bei der EURO geben Sie sich also nicht zufrieden?
Rolfes: Das habe ich damals als großen Erfolg für mich verbucht. Aber nun möchte ich den nächsten Schritt machen.
kicker: In Leverkusen haben Sie Freiheiten nach vorn, in der Nationalmannschaft müssen Sie Ballack den Rücken frei halten. Wie behagt Ihnen die Rolle des Wasserträgers?
Rolfes: Zwei Dinge sind wichtig: Dass wir gewinnen, und dass ich spiele. Da kann meine Rolle auch eine defensivere sein als in Leverkusen, das ist kein Problem für mich.
kicker: Ist die Nationalmannschaft heute stärker als 2008?
Rolfes: Sie ist mit Sicherheit reifer geworden und taktisch flexibler. Wir wissen, dass wir auch richtig starke Gegner schlagen können. Und dieses Wissen verleiht uns Stabilität, gerade im Blick auf die WM.
kicker: Ist der WM-Titel ein realistisches Ziel?
Rolfes: Wir sind nicht die Mannschaft, die die Gegner an die Wand spielt. Aber wenn’s drauf ankommt, sind wir da. Das zeichnet die Deutschen seit mehr als 50 Jahren aus, deshalb reist sie immer als Mitfavorit zum Turnier, auch wenn es vielleicht stärkere Mannschaften gibt. Deshalb können wir auch in Südafrika um den Titel spielen.
kicker: Bundestrainer Joachim Löw meint, Ihre Ernennung zum Kapitän vor gut einem Jahr bei Bayer Leverkusen habe wesentlich zu Ihrer Persönlichkeitsentwicklung beigetragen.
Rolfes: Das stimmt. Als Kapitän steht man viel mehr in der Pflicht, gerade wenn es nicht so gut läuft wie bei uns in der vergangenen Rückrunde. In der Krise steht auch der Kapitän in der Kritik, da ist man gleich in doppelter Hinsicht gefordert.
kicker: Wie meinen Sie das?
Rolfes: Punkt eins: Die eigene Leistung muss stimmen, auch wenn es in der Mannschaft nicht so stimmt. Und zum anderen ist man gefordert, auf die Mannschaft einzuwirken, dass sie ein Team bleibt, dass sie in die richtige Richtung geht, dass einzelne Spieler wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. Das war ein wahnsinnig intensiver und guter Lernprozess, der für meine Weiterentwicklung extrem wichtig war. Insofern hatte die vergangene Saison auch etwas Gutes.
kicker: Was hat der Trainerwechsel im Sommer bewirkt?
Rolfes: Mit Jupp Heynckes haben wir einen Trainer, der alles erlebt hat. Das Vertrauen der Spieler ist groß, dass er das richtige Händchen für die jeweilige Situation hat.
kicker: War das Vertrauen in Labbadia nicht in diesem Maße da?
Rolfes: Der Vergleich ist nicht ganz gerechtfertigt. Jupp Heynckes hat mit Real die Champions League gewonnen und den FC Bayern zum Meister gemacht. Das Vertrauen in diesen Erfahrungsschatz konnte in der vergangenen Saison gar nicht da sein, weil Leverkusen für Bruno Labbadia die erste Trainerstation in der Bundesliga war.
kicker: Spielen Sie bei Jupp Heynckes als Kapitän eine wichtigere Rolle?
Rolfes: Ich denke schon, dass sich meine Rolle verändert hat. Jupp Heynckes verlangt viel mehr, dass wir Dinge untereinander regeln. Er will, dass gewisse Sachen funktionieren. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass es umgesetzt wird.
kicker: In der vergangenen Saison waren Sie meist einziger Abräumer hinter fünf Offensivkräften. Hat Heynckes erkannt, wo Sie am stärksten sind.
Rolfes: Sicher. Wir pflegen unter ihm einen Stil, der mir entgegenkommt, weil ich auch meine Offensivstärken einbringen kann. Und ich denke, dass es für Leverkusen sehr wichtig ist, dass ich torgefährlich bin.
kicker: Nun kommt es zum Wiedersehen mit Labbadia. Wie groß sind die Revanchegelüste?
Rolfes: Keiner von uns fährt nach Hamburg, um irgendjemandem irgendetwas zu beweisen.
kicker: Sagen Sie jetzt nicht, es sei ein Spiel wie jedes andere.
Rolfes: Sag ich nicht: Erster gegen Zweiter ist nie etwas Normales, auf solche Spiele freut man sich besonders. Die Hamburger haben sich im Sommer verstärkt wie keine andere Mannschaft in Deutschland, nicht mal die Bayern haben in dem Maß eingekauft. Es würde mich überraschen, wenn der HSV mit diesem Kader am Ende der Saison nicht mit Bayern um die Meisterschaft spielen würde.
kicker: Und wo landet Leverkusen?
Rolfes: Wir haben die Qualität für den internationalen Wettbewerb, und der ist nach den beiden letzten enttäuschenden Jahren auch Pflicht.
INTERVIEW: OLIVER HARTMANN
Quelle: kicker-Printausgabe vom 15.10.09