Verbissen wie einst der Altmeister

  • Von Jan Christian Müller


    Die Frage ist etwas umständlich formuliert und dauert ein bisschen länger. Zeit genug für Bruno Labbadia, seine Gesichtszüge vereisen zu lassen. "Herr Labbadia, haben Sie nach den Erfahrungen bei Bayer Leverkusen Ihre Arbeitsweise verändert? Sind Sie milder im Umgang mit den Spielern geworden, sind Sie jetzt rücksichtsvoller oder ist alles genauso wie vorher? "Wie vorher."


    Kürzer kann eine Antwort auf eine solche Frage nicht ausfallen, aber wahrscheinlich geben diese zwei Worte mehr über Labbadia preis als ein ellenlanger Satz. Labbadia, in Darmstadt geborenes jüngstes von neun Kindern einer italienischen Gastarbeiterfamilie der ersten Generation, war ein furchtloser Mittelstürmer. Er schoss sowohl in Erster als auch Zweiter Bundesliga mehr als hundert Tore, was vor ihm und nach ihm niemand schaffte. Er war immer schon fleißig und ehrgeizig, und weil der Meisterspieler des 1. FC Kaiserslautern und des FC Bayern als Trainer noch nichts Zählbares erreicht hat, ist er jetzt nur noch fleißiger und noch ehrgeiziger und noch verbissener.


    An diesem Samstag trifft Labbadia als Trainer des Hamburger SV auf seinen vorherigen Arbeitgeber Bayer Leverkusen. Der Zweite spielt gegen den Ersten, und Labbadia spielt gegen seine Vergangenheit. Denn der Abschied beim Werksklub misslang gründlich. Labbadia hatte ausgerechnet am Tag vor dem Pokalfinale ein kritisches Interview in einer großen Tageszeitung gegeben und dabei mitgeteilt, dass es den Bayer-Spielern zu gut gehe, der Klub müsse "raus aus der Komfortzone". Inhalt und Zeitpunkt der Veröffentlichung sind dem Trainer, keine 24 Stunden vor der letzten Chance um den Einzug in den Uefa-Cup, furchtbar übel genommen worden.


    Nach dem Spiel, als Labbadia trotz 0:1-Rückstandes viel zu spät ausgewechselt hatte, herrschte eisige Kälte zwischen vielen Spielern und ihrem Vorgesetzten. Der wurde bald darauf für eine Million Euro vom HSV eingekauft, worüber bei Bayer allenfalls die Vorstandsebene traurig war. "Labbadia", sagt Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser rückblickend, habe "Sensibilität" vermissen lassen. "Fingerspitzengefühl für Situationen entwickelt sich aber erst im Laufe eines langen Berufslebens. Das fehlt ihm noch."


    In Hamburg wird von Labbadia mehr Durchsetzungsvermögen als Fingerspitzengefühl erwartet. In Leverkusen hatte er in Sportdirektor Rudi Völler einen Mann an seiner Seite, der den Profis gerne Komfortzonen einrichtet, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass die Spieler persönliche Zuneigung und ein behagliches Umfeld mit Leistung zurückzahlen. In Hamburg vertritt HSV-Boss Bernd Hoffmann eine andere Philosophie: Hoch bezahlte Fußballprofis müssten mehr gefordert werden, ihre Potenziale und die des Vereins durch mehr Training, mehr Öffentlichkeitsarbeit und mehr Professionalität ausschöpfen. Labbadia hat in Hoffmann einen Bruder im Geiste angetroffen.


    Hoffmann findet, der HSV habe sich viel zu lange als "Mittelmaß-Akzeptierer" zufrieden gegeben. Hoffmann will den Verein raus aus der Komfortzone bringen, er ist ehrgeizig und unduldsam. Wie Labbadia. Am Dienstag haben die beiden Männer im Haus des Chefs im Stadtteil Winterhude zwei Stunden lang die Köpfe zusammengesteckt. Es gab einiges zu besprechen. Hoffmann hat dieser Tage das 13-Millionen-Euro-Projekt einer Erlebniswelt am Stadion im Volkspark auf Wiedervorlage Mai 2010 verschieben müssen. Dafür ist derzeit kein Geld da. Labbadia fehlen bis zur Winterpause die beiden Top-Stürmer Paolo Guerrero und Mladen Petric wegen schwerwiegender Verletzungen. Hoffmann und Labbadia sind die Masterpläne durchkreuzt worden. So was mögen sie nicht.


    Heynckes als Gegenentwurf


    In Leverkusen trainiert jetzt Jupp Heynckes die Mannschaft. Rudi Völler formuliert es einfühlsam: "Der HSV ist total happy, Labbadia als Trainer zu haben. Wir sind total happy, Heynckes als Trainer zu haben." Heynckes ist der Gegenentwurf zu Labbadia. Einerseits. Aber Heynckes war, andererseits, früher ganz ähnlich wie Labbadia heute ist. Heynckes sagt: "Als junger Trainer will man viel zu schnell das Optimum erreichen. Hast du keine Geduld, machst du zwangsläufig auch Fehler - besonders in der Mannschafts- und Menschenführung. Das ist mir genauso passiert."


    Ein Beispiel: Als Bayer-Mittelfeldspieler Renato Augusto Labbadia bat, zwei Tage länger beim Winterurlaub in Brasilien bleiben zu dürfen, lehnte der Trainer ab. Als derselbe Renato Augusto einen Tag zu spät aus dem Sommerurlaub zurückkehrte, hat Heynckes den sensiblen Star in den Arm genommen. Heynckes ist 64, er sagt leichthin: "Was ist schon ein Tag?" Labbadia ist 43, er sagt trotzig: "Ich muss es keinem Recht machen." Aber das macht er doch schon längst: Die Hamburger Spieler werden von ihm in langen Trainingseinheiten zwar genauso intensiv gefordert, aber er gewährt ihnen auch mehr Freiräume als zuvor den Bayer-Profis. Wahrscheinlich wird es noch ein paar Jahre dauern, bis Bruno Labbadia das zugeben kann. In mehr als nur zwei Worten.


    http://www.fr-online.de/in_und…einst-der-Altmeister.html