Der alte Mann und das Werk
Von Sascha Fligge am 22. Oktober 2009 22:00 Uhr
DORTMUND Es ist der 11. Dezember 1985, von dem Jupp Heynckes chronisch heimgesucht wird wie Goethes Zauberlehrling durch jenen bösen Geist, der partout nicht verschwinden wollte. „An diesem Tag“, sagt der heute 64-Jährige, „wollte ich kein Fußball-Trainer mehr sein.“
Jupp Heynckes sitzt auch mit 64 Jahren noch auf der Trainerbank.
Heynckes, als Spieler Mitglied der legendären Mönchengladbacher Fohlenelf und Lieblingsschüler des großen Hennes Weisweiler, saß am 11. Dezember 1985 im Madrider Estadio Bernabeu und musste gequält verfolgen, wie Real im UEFA-Cup-Vergleich mit der Borussia eine 1:5-Hinspielpleite vergessen machte und Gladbach durch ein 4:0 aus dem Wettbewerb schmiss. „Das“, sagt er heute, „war der schlimmste Moment meiner Karriere.“
Im Frustrausch der Niederlage schrieb Heynckes einen Brief an seinen damaligen Co-Trainer Wolf Werner. Inhalt: die wohlformulierte Kündigung nebst Begründung. „Werner hat diesen Brief nie bekommen“, sagt Jupp Heynckes: „Ich habe ihn immer noch.“ Fast 24 Jahre sind die traurigen Tage nun her, und Heynckes, der sich Zeit seiner Laufbahn geschworen hatte „mit 60 nicht mehr auf der Bank zu sitzen“, ist immer noch oder gerade wieder Fußballtrainer.
Arbeit in München löste Impuls aus
Je nachdem, wie man es nehmen will. Am 28. April dieses Jahres war der Champions League-Sieger von 1998 (als Trainer von Real Madrid) nach langer Krankheit wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Heynckes übernahm den sportlich angeschlagenen FC Bayern, der sich seines Zauberlehrlings Jürgen Klinsmann gerade entledigt hatte. Er verstand die Rückkehr für fünf Spiele – begleitet von außerordentlichem Erfolg – als Dienst an seiner Freundschaft zu Münchens Manager Uli Hoeneß.
„Aber dann“, so sagt er, „ist etwas mit mir passiert. Die Arbeit in München hat einen Impuls in mir ausgelöst, der mich selbst überrascht hat.” Jupp Heynckes, dieser als knochig, verbissen und ordnungsverliebt geltende Trainer-Rentner, wollte seinen Job zurück. Weil er ohne zwar zufrieden war, aber mit ihm offenbar zufriedener. Seit dem Sommer leitet er nun die Trainingsarbeit in Leverkusen und ist mit dem Werksklub vor dem Duell mit Borussia Dortmund (Freitag, 20.30 Uhr/live bei Sky) Spitzenreiter.
Heynckes ist gelassener geworden
9 Spiele, 6 Siege, 0 Niederlagen, 18:5 Tore, 21 Punkte – ein Zahlenwerk, das die Bayer-Profis jubilieren lässt. „Wir sind ein ganz anderes Team als im Vorjahr. Vor allem, weil Heynckes ein Fachmann ist und seine Linie hat“, sagt Simon Rolfes. Ob die Aussage des verletzten Mittelfeldspielers den Umkehrschluss zulässt, Heynckes Vorgänger Bruno Labbadia habe es an Kompetenz gefehlt – Rolfes blieb die Antwort schuldig.
Jupp Heynckes – so behauptet er selbst – hat sich in den vergangenen Jahren massiv gewandelt. „Ich bin gelassener geworden“, sagt der weise Mann: „Und ich bin heute auch darauf bedacht, ein gutes Klima zu schaffen, in dem sich meine Spieler wohlfühlen.“ Wenn ein Profi vor zehn Jahren zu spät zum Training kam, griff Heynckes zur verbalen Sense. „Heute“, meint er, „nehme ich ihn in den Arm und frage, was denn los ist.“ Ein Autoritätsfreak, wie ihn der Spiegel nannte, will der Trainer in seinem Selbstverständnis nicht mehr sein.
Fußballkunst auf Sterne-Niveau
Was Heynckes denn nun genau ist? Zurzeit vor allem der Chef einer Mannschaft, in der die Qualität zu Hause ist. Adler, Hyppiä, Rolfes, Barnetta, Kroos, Renato Augusto, Kießling – Namen, die für Fußballkunst auf Sterne-Niveau stehen. Heynckes behauptet nach wie vor, es sei „schwierig, in der Bundesliga Spaß zu haben“. Beim Blick auf seinen Kader könnte man annehmen, nichts sei leichter als das.