Leverkusen (RPO). Er galt bereits als Auslaufmodell, als Relikt vergangener Tage - und irgendwie war für Jupp Heynckes das Kapitel Profifußball abgeschlossen. Nach über 30 Jahren im Trainergeschäft, nach zuletzt einigen Krankheiten und Operationen hatte sich der 64-Jährige mit dem Rentnerdasein längst angefreundet - bis sich plötzlich im April dieses Jahres sein alter Freund Uli Hoeneß meldete und ihm für fünf Spiele den Trainerjob bei Bayern München anbot.
Die Karriere des Jupp Heynckes "Da ist plötzlich mein Motor wieder auf Temperatur gekommen. Ich habe wieder Gefallen am Trainerjob gefunden. Das Bundesliga-Feeling hat mir wieder große Freude bereitet", erinnert sich Heynckes. An ein langfristiges Engagement dachten die Bayern damals noch nicht, wohl aber Bayer Leverkusen, und plötzlich war Heynckes wieder mittendrin im Geschäft.
Für Bayer bislang ein Glücksfall, wie sich herausstellte. In wenigen Wochen führte "Don Jupp" die launische Werkself, die am Freitagabend im Westderby auf Borussia Dortmund traf, an die Tabellenspitze. "Unter Jupp Heynckes haben wir die Stabilität, die uns früher fehlte", lobt Sportchef Rudi Völler den Trainer-Oldie.
Wohl wahr: Wo früher die junge Bayer-Elf im Hurra-Stil nach vorne stürmte, bestimmt heutzutage eine klare Ordnung das Leverkusener Spiel. "Das Defensivspiel ist besser geworden. Die Mannschaft lernt zu null zu spielen", sagt Heynckes und erklärt sein Konzept: "Schönspielerei reicht nicht. Die taktische Disziplin ist der Weg, der nach oben führt."
Bei den Spielern stößt Heynckes dabei auf offene Ohren. Nach der Ära Bruno Labbadia, die nach dem verlorenen Pokalfinale gegen Werder Bremen (0:1) und einigen Querelen im Unfrieden endete, sind die Spieler von ihrem neuen Chef überzeugt. "Wir spielen ganz anders Fußball. Wo uns früher die Kraft gefehlt hat, können wir diesmal sogar noch zulegen", sagt Kapitän Simon Rolfes und Torjäger Stefan Kießling ergänzt: "Wir stehen hinten sicher und vorne bekommen wir immer unsere Chancen. Das ist schon ein Unterschied."
Die neue Harmonie zwischen Heynckes und den Spielern war in der Vergangenheit nicht immer so. Insbesondere auf Schalke war dem Coach, der 1998 Real Madrid zum Champions-League-Sieg geführt hatte, seine antiquierte Art vorgeworfen worden. Der 39-malige Nationalspieler hat sich nach eigener Aussage geändert. "Ich bin nicht mehr so verbissen", sagt der einstige Meistertrainer: Ich bin auch ein bisschen geprägt von den letzten Jahren, als es mir nicht so gut ging. Da habe ich viel nachgedacht. Jeder Mensch macht Prozesse durch, die einen Dinge anders sehen lassen."
Man lerne mit fortschreitendem Alter, dass es nicht nur Fußball gibt, dass man in einer Welt lebe, die furchtbar sein kann. "Wir haben in diesem Land Soldaten, die kommen mit den Füßen voran aus Afghanistan zurück. Dabei befinden wir uns dort doch angeblich nicht im Krieg. Versetzen sie sich mal in die Lage der Eltern. Verglichen damit hat der Fußball eine viel zu große Bedeutung. Und das sage ich, der nie mit Niederlagen leben konnte", meinte Heynckes in einem Interview mit der WAZ und berichtet nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre von einer Bewusstseinsänderung: "Ich ärgere mich nicht mehr."
Bis 2011 läuft in Leverkusen sein Vertrag, wo ihm die Arbeit mit den Spielern "viel Spaß macht". An einen Absturz in der Rückrunde wie im Vorjahr glaubt Heynckes nicht, primäres Ziel sei in dieser Saison die Qualifikation für das internationale Geschäft. Von mehr will Heynckes (noch) nicht reden.
quelle: rp-online.de