Remis mit zwei Siegern
Schalke wankte, fiel aber nicht. Leverkusen drängte, siegte aber nicht. Am Ende konnten sich beide Teams als Gewinner fühlen. Zum Verlierer avancierte ausgerechnet ein Stürmer, der auf dem Spielfeld wieder einmal geglänzt hatte.
Wenn Spitzenspiele mit einem Unentschieden enden, ist das zumeist das Ergebnis des allzu großen Respekts voreinander. Am Samstagabend jedoch war das 2:2 zwischen Schalke 04 und Bayer Leverkusen keine 90-minütige Schachpartie, sondern ein spannender und hochklassiger Kick, an dessen Ende sich beide Mannschaften bestätigt fühlen konnten.
Die Leverkusener, weil sie das Spiel über weite Strecken beherrscht hatten. Und die Schalker, weil die Mannschaft erneut Charakter bewiesen und (wie beim 3:3 gegen den Hamburger SV am vergangenen Spieltag) nach einem 0:2-Rückstand einer Spitzenmannschaft noch einen Punkt abtrotzen konnte.
Dass die Leverkusener Spieler dennoch hinterher die eigene Leichtfertigkeit beklagten, mit der sie auf Schalke zwei Punkte liegen gelassen hatten, ehrt sie und zeigt die Reife einer Mannschaft, die in diesem Jahr an ihren Aufgaben zu wachsen scheint. "Wir sind hinten heraus eingebrochen, waren kaputt", monierte Nationaltorwart René Adler, vergaß aber zu erwähnen, wie ruhig und abgeklärt die Bayer-Elf vor allem in der ersten Halbzeit aufgespielt hatte, wie entschlossen sie in die Zweikämpfe ging und wie sie diese Überlegenheit auch in Tore durch Toni Kroos (29. Minute) und Stefan Kießling (44.) umgesetzt hatte.
In diesen 45 Minuten erinnerte so gar nichts mehr an die zaudernde, zweifelnde Truppe der vorigen Spielzeit, die sich stets mehr mit den eigenen Unzulänglichkeiten als mit dem Gegner auseinandersetzte. Trainer Jupp Heynckes ist offenbar das Kunststück gelungen, die Mannschaft nachhaltig zu stabilisieren. Durch kluge Transferpolitik (der 36-jährige Abwehrchef Sami Hyypiä kam aus Liverpool) und die tägliche Arbeit mit wankelmütigen Akteuren wie Tranquillo Barnetta und Kießling, aber auch mit Jungspunden wie Bayern-Leihgabe Kroos, dessen spielerische Wucht Heynckes endlich für die Mannschaft nutzbar gemacht hat.
Das 2:2, so wenig es die Mannschaft nun auch in der Tabelle nach vorne mitbringt, ist zugleich auch eine prompte Antwort an all die Kritiker, die die Leverkusener nach dem enttäuschenden 1:1 daheim gegen Borussia Dortmund vor einer Woche schon zum üblichen Sinkflug ins graue Mittelfeld abrutschen sahen. Das Unentschieden auf Schalke zeigte eine Mannschaft, die gewillt ist, oben zu bleiben. Was ihr auch gelingen dürfte, zumal die Konkurrenz aus München (0:0 in Stuttgart), Hamburg (2:3 gegen Mönchengladbach) und Bremen (2:2 in Nürnberg) offenbar die Tabellenspitze eher als mittel- bis langfristiges Ziel anzupeilen scheint.
Leverkusens mangelnde Konzentration in der letzten Viertelstunde
Allein, ein bisschen ärgern kann es die Leverkusener schon, dass sie am Samstagabend den FC Schalke nicht auf Distanz gehalten haben. Was einerseits tatsächlich der mangelnden Konzentration in der letzten Viertelstunde geschuldet war. Was andererseits aber auch Zeugnis ablegte, von der ungebrochenen Vitalität der Schalker Mannschaft.
Die hätte nämlich in den vergangenen Wochen allen Grund gehabt, ins Trudeln zu kommen. Doch trotz der Turbulenzen im Umfeld, der täglichen Bulletins über Millionenschulden und anstehende Notverkäufe von Stammspielern ist das Team erstaunlich ruhig geblieben. Das gilt exemplarisch für Keeper Manuel Neuer, der sich nicht vom Geschwätz um seinen angeblich schon beschlossenen Wechsel nach München irritieren ließ, aber auch für einstige Problemfälle wie Stürmer Kevin Kuranyi, der seit Wochen verlässlich trifft und so gar nicht mehr an den Chancentod der vorigen Saison erinnert.
Kuranyis Tor zum 1:2 in der 83. Minute gab die Initialzündung zur Aufholjagd. Das 2:2 durch den eingewechselten Vicente Sanchez (88.) bereitete Kuranyi vor. Trotz seiner konstant guten Leistungen muss der Stürmer jedoch eines akzeptieren: Das DFB-Team ist vorerst für ihn keine Option. "In meiner Zeit wird Kuranyi nicht in die Nationalmannschaft zurückkehren", stellte Bundestrainer Joachim Löw am Samstag fest, "ich hoffe, dass mir die Frage nach Kuranyi, die vierteljährlich wieder auftaucht, zum letzten Mal gestellt worden ist." Der 27-Jährige hatte im Oktober 2008 die Auswahl während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland in Dortmund verlassen, weil er auf der Tribüne sitzen musste.
Bei Schalke ist Kuranyi hingegen gesetzt. Wie in Leverkusen ist auch beim Revierclub der Einfluss des Trainers unübersehbar. So unaufgeregt wie nur möglich, beinahe meditativ hat Felix Magath in den letzten Wochen die Meldungen über immer neue Haushaltslöcher kommentiert. Und das, obwohl die Finanzkrise und daraus eventuell resultierende Spielerverkäufe Magaths Ziele beim FC Schalke nachhaltig beeinträchtigen könnten, nämlich nach Jahrzehnten endlich mal wieder die Meisterschale nach Gelsenkirchen zu holen. Die Mannschaft hat sich die Gelassenheit des Trainers angeeignet und fährt bislang gut damit.
Was nicht bedeutet, dass Magath besonders erfreut über die erste Halbzeit gegen Leverkusen gewesen sein dürfte. Erst später, als die Kräfte der Gäste nachließen, spielten die Schalker so, wie der Coach sich das vorstellt: schnell und druckvoll, körperlich und doch mit dem nötigen Spielwitz. Moderner Tempofußball ohne Zeitverschwendung im Spielaufbau. Gelingt es dem FC Schalke allerdings, sich künftig auch über 90 Minuten so zu präsentieren, wird er zum ernsthaften Konkurrenten. Für den Hamburger SV, für Werder Bremen. Und vor allem für Bayer Leverkusen, den anderen Gewinner des gestrigen Abends.
Quelle: [URL=http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,658557,00.html]Spiegel Online[/URL]