„Besser als jetzt kann ich nicht spielen“

  • INTERVIEW DER WOCHE
    Seit Wochen präsentiert sich GONZALO CASTRO (22) in toller Verfassung. Als Rechtsverteidiger auf der linken Seite. Im kicker spricht der Leverkusener über alte Fehler, neue Chancen, Kritiker und Ziele.


    kicker: Sie spielen seit Wochen in Topform. Hatten Sie mit einer Nominierung für die Nationalmannschaft gerechnet?


    Castro: Nein, ich hatte mir keine großen Hoffnungen gemacht, nominiert zu werden. Ich bin zwei Jahre weg von der Nationalmannschaft.


    kicker: Wieso eigentlich? Rudi Völler sagte am vergangenen Wochenende nach dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt, außer Nationalspieler Philipp Lahm könne Ihnen fußballerisch keiner der Konkurrenten um den Außenverteidigerposten bei Joachim Löw das Wasser reichen.


    Castro: Das ist natürlich eine große Ehre, wenn er so etwas sagt. Aber ich darf das nicht nur hinnehmen, ich muss Rudi Völler bestätigen.


    kicker: Klappt das?


    Castro: Ich hatte eigentlich häufiger in den vergangenen zwei Jahren das Gefühl, dass ich eine Berufung verdient gehabt hätte. Aber der negative Eindruck war wohl zu nachhaltig.


    kicker: Woran lag das?


    Castro: Ich habe Fehler gemacht, leichte, vermeidbare Fehler. Die Konzentration war nicht immer ganz oben. Aber das habe ich abgestellt.


    kicker: Auch weil Sie jetzt links spielen?


    Castro: Kann sein. Das gefällt mir auf jeden Fall. Aber für den Erfolg würde ich überall spielen.


    kicker: Glauben Sie, dass Ihnen diese Vielseitigkeit in Sachen Nationalelf-Perspektive hilft?


    Castro: Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß nicht, wie und was der Bundestrainer denkt. Ich kann nur durch Leistung auf mich aufmerksam machen.


    kicker: In der U 21 waren sie einer der Führungsspieler beim EM-Sieg im Sommer. Zuletzt wurden Sie bei Joachim Löw von Ihren damaligen Mannschaftskameraden Mesut Özil und Jerome Boateng überholt. Sauer?


    Castro: Ich freue mich für die Jungs. Ihre Berufung war nur eine Frage der Zeit. Genau wie bei mir.


    kicker: Das klingt nach jeder Menge Selbstbewusstsein. Werden Sie unterschätzt?


    Castro: Sagen wir so: Viele Beobachter sehen mich anders, als ich mich sehe.


    kicker: Schlechter?


    Castro: Ja, vielleicht.


    kicker: Warum ist das so?


    Castro: Vielleicht weil sie mehr von mir erwarten. Ich bin zwar erst 22, aber schon fünfeinhalb Jahre dabei. Ich bin dienstältester Profi bei Bayer, habe über 130 Bundesligaspiele. Da wird man wohl anders wahrgenommen als ein Spieler, bei dem es langsamer ging.


    kicker: Reiner Calmund, der Sie seit vielen Jahren kennt, sagte einmal, Sie würden spielen wie ein Spielertrainer. Ruhig und abgeklärt, aber ohne Pep. Trifft Sie das?


    Castro: Nein, weil er mich kritisieren darf. Er kennt mich lange, verfügt über große Erfahrung. Diese Kritik nehme ich an. Weil ich weiß, dass ich viel mehr Dynamik und Torgefahr zeigen kann, als ich dies oft getan habe. Zuletzt hat Herr Calmund mich gelobt, weil ich es verbessert habe. Ich habe mich gegenüber der vergangenen Saison entwickelt.


    kicker: Welche Rolle spielt Jupp Heynckes in diesem Prozess?


    Castro: Eine überragende Rolle! Seine Aura, die Ausstrahlung, die Erfahrung – wenn er etwas sagt, dann nimmt ihm das jeder Spieler ab. Er ist glaubhaft und authentisch. Wenn er Geschichten erzählt von Real, dann wissen wir: Er war da, wo jeder von uns liebend gern mal wäre. Ganz wichtig ist, dass er jeden von uns so lässt, wie er ist. Er arbeitet an unseren Stärken, mahnt viel und hilft viel.


    kicker: Wie äußert sich das auf dem Platz?


    Castro: Enge Spiele wie gegen Bochum (2:1, d. Red), in Köln (1:0) oder gegen Bremen (0:0) hätten wir mit ziemlicher Sicherheit im vergangenen Jahr vergeigt. Der Trainer hat uns vermittelt, dass man im Zweifelsfall auch mal mit einem Punkt zufrieden sein muss und dass man nicht verlieren kann, wenn die Null steht. Auf dem Platz ergänzt ihn Sami Hyypiä, die beiden spielen eine große Rolle.


    kicker: Jetzt wartet Bayern München. Holt Bayer sich wieder die obligatorische Klatsche ab?


    Castro: Die Bayern stecken in der Krise. Da ist richtig Druck. Die wollen sicherlich vermeiden, dass es noch mehr Theater gibt. Aber die Zeiten sind vorbei, dass wir da ehrfürchtig hinfahren und sagen, wir freuen uns über einen Punkt.


    kicker: Das haben natürlich schon Generationen von Bayer-Profis gesagt und alle sind sie frustriert zurückgefahren …

    Castro:
    Wie lange haben wir da nicht mehr gewonnen? 20 Jahre? Okay, dann wollen wir eben den ersten Sieg dort nach langer Zeit schaffen. Wir haben erfahrene Spieler und uns als Mannschaft weiterentwickelt, jeder ist ein Jahr älter und reifer als vergangene Saison. Wir wollen uns oben festsetzen. Und das geht aktuell am besten mit einem Sieg in München.

    kicker:
    Auffällig ist Ihr Spielverständnis mit Toni Kroos, Ihrem Partner auf der linken Seite. Haben sich da zwei gesucht und gefunden?


    Castro: Toni ist ein Toptalent. Es macht Spaß, mit ihm zu kicken. Er sieht Dinge voraus, da verstehen wir uns in vielen Situationen blind.


    kicker: Hoffen Sie noch auf die WM in Südafrika?


    Castro: Ich sehe die Sache realistisch. Wenn ich meine derzeitige Form halte, dann habe ich auch eine Chance. Besser als jetzt kann ich nicht spielen.
    INTERVIEW: FRANK LUßEM




    PERSONALIEN
    BAYER LEVERKUSEN
    Renato Augusto (21) hat nach der Operation am Wadenbein seine Reha in Rio de Janeiro begonnen und wird nach heutigem Stand Mitte bis Ende der kommenden Woche nach Leverkusen zurückkehren.




    Quelle: kicker-Printausgabe vom 12.11.09