INTERVIEW DER WOCHE
JUPP HEYNCKES
Trainer von Bayer Leverkusen
Als Nothelfer führte JUPP HEYNCKES (64) die Bayern im Endspurt der vergangenen Saison auf Rang zwei. Nun kehrt er mit Leverkusen als Tabellenführer nach München zurück. Der kicker sprach mit ihm.
kicker: Herr Heynckes, Sie haben in vielen Interviews immer wieder betont, ohne die fünf Wochen München hätte es Ihr Comeback in der Liga nie gegeben. Mit welchen Gefühlen fahren Sie als Trainer des Tabellenführers in die alte Heimat?
Jupp Heynckes: Momentan spüre ich noch gar nichts, dazu ist das Spiel zu weit weg. Aber es stimmt, diese fünf Wochen waren ausschlaggebend für mein Engagement in Leverkusen. Was am Sonntag sein wird? Ich denke, als gelassener und nüchterner Mensch werde ich so ins Stadion gehen wie sonst auch. Was dann aber während der 90 Minuten passieren wird, das vermag ich nicht zu sagen. Vor allen Dingen aber wird es ein wundervolles Wiedersehen mit den Spielern und den Fans, die mich sehr freundlich verabschiedet haben.
kicker: Ihnen ist aber bewusst, dass ausgerechnet Sie mit einem Sieg in München einen Flächenbrand entfachen können?
Heynckes: Damit das klar ist: Wir fahren nach München, um dort zu gewinnen. Wie meine Mannschaft in den vergangenen Wochen aufgetreten ist, das untermauert diese Intention. Wir haben an Stabilität in der Defensive gewonnen, die zweitmeisten Tore geschossen, all dies macht mich zuversichtlich. Aber wir wissen, dass die Bayern ein Top-Team stellen mit großer individueller Klasse.
kicker: Sie haben den Bayern Louis van Gaal als Ihren Nachfolger empfohlen. Haben Sie mit dessen Problemen gerechnet?
Heynckes: Sören Lerby und ich haben ihn den Bayern ans Herz gelegt. Er ist ein international erfahrener und renommierter Trainer, feierte große Erfolge in Holland und Spanien. Aber auch er braucht die Zeit, Ideen und Philosophie umzusetzen.
kicker: Zeit, die Sie in Leverkusen nicht benötigten. Wieso klappte es mit Ihnen schneller bei Ihrem neuen Verein?
Heynckes: Ach, was hier momentan passiert, das ist doch nicht mein Verdienst. Das ist ein Verdienst von Rudi Völler, Michael Reschke, Jonas Boldt und der Scouting-Abteilung um Norbert Ziegler. Die haben mir einen tollen Kader zusammengestellt. Und die Trainer, die vor mir hier waren, haben genauso ihren Anteil.
kicker: Diese Bescheidenheit ehrt Sie, keine Frage. Ein wenig Anteil werden Sie aber auch schon haben, oder?
Heynckes: Die Art und Weise, wie wir spielen, spricht für uns. Ich denke, ich habe der Mannschaft vermitteln können, dass wir jedes Spiel gewinnen wollen. Die Jungs verinnerlichen das immer mehr. Wie groß war die Skepsis in der Öffentlichkeit am Anfang? Der Truppe ist nicht zugetraut worden, Rückstände umzubiegen. Das haben wir geschafft. Seit dem fünften Spieltag wird gefragt, wann wir einbrechen. Sind wir eingebrochen? Nein!
kicker: Wird Bayer einbrechen?
Heynckes: Ich sehe die Anzeichen nicht. Die Mannschaft hat sich stabilisiert, mit Sami Hyypiä ist ein Weltklasse-Manndecker dazugekommen. Und ganz wichtig: Der ganze Kader kommt sehr gut miteinander aus. Da sind Spieler dabei, die sich schon Jahre kennen. Da verzeiht man dem anderen viel eher mal einen Fehler. Sie unternehmen außerhalb des Platzes viel miteinander, das wirkt sich auf die Harmonie aus. Sie wissen: Es geht nur über das Kollektiv. Und über Kommunikation. Die meisten Spieler sprechen Deutsch. Wir hatten gegen Frankfurt vier deutsche Torschützen! Und gegen Schalke standen am Ende neun deutsche Profis auf dem Platz. Als ich hier anfing, habe ich gesagt, dass sich die Spieler wohl fühlen müssen, um Erfolg zu haben. Ich wollte eine Atmosphäre schaffen, die es einfacher macht, Leistung abzurufen. Für jeden. In Leverkusen harmonieren alle Abteilungen.
kicker: Warum klappt das in München nicht?
Heynckes: Noch mal: Bayern München hat mit van Gaal einen sehr guten Fachmann geholt. Er benötigt Zeit. Aber er benötigt auch Erfolge. Das Anspruchsniveau ist extrem in München, der Druck immens. Die Häme, die die Bayern jetzt erreicht, finde ich komplett überzogen. Das ist typisch deutsch. Aber mein Freund Uli Hoeneß und die anderen können sich trösten: Neid muss man sich erarbeiten. Und das haben die Bayern ohne jeden Zweifel geschafft. Sie sind der erfolgreichste Klub aller Zeiten in Deutschland. Das werden sie auch bleiben, wenn der Erfolg mal ein Jahr ausbleibt.
kicker: Seit exakt 20 Jahren bleibt für Leverkusen der Erfolg in München aus. Warum ist das so?
Heynckes: Das kann ich nicht beantworten. Was die Aktualität angeht, kann ich nur sagen, dass die Art und Weise, wie wir spielen, ganz einfach für uns spricht. Die Mannschaft will gewinnen.
kicker: Es fehlen eine Handvoll verletzter Stammspieler. Haben Sie keine Sorgen, dass den jungen Spielern wie Schwaab, Kroos, Reinartz oder Derdiyok bei den großen Bayern das Herz in die Hose rutscht?
Heynckes: Natürlich sind das junge Spieler, die lernen müssen. Aber die haben auf Schalke auch einen Hexenkessel erlebt und eine Stunde lang exzellenten Fußball gespielt. Nein, wegen der Jungs habe ich absolut keine Bedenken.
INTERVIEW: FRANK LUßEM
Quelle: kicker-Printausgabe vom 19.11.09