Er war stets der Beste seines Alters, wurde von sämtlichen Top-Klubs gejagt und von Oliver Kahn und Mehmet Scholl geadelt. Mittlerweile ist die Karriere von Toni Kroos allerdings ins Stocken geraten. Mögliche Erklärungen gibt es zur Genüge.
Champions-League-Abende sind immer etwas ganz Besonderes im Jugendhaus des FC Bayern. Die größten Nachwuchstalente des Rekordmeisters dürfen dann immer etwas länger als gewohnt vor dem Fernseher sitzen und knapp zwei Stunden lang davon träumen, es selbst mal in die Königsklasse zu schaffen.
Ab und an gesellt sich auch Werner Kern zu dieser Runde. Bayerns Jugendchef schmunzelt dann, wenn seine Schützlinge lautstark über eine Schauspieleinlage von Cristiano Ronaldo schimpfen oder ein famoses Solo von Lionel Messi bejubeln.
"Lasst das mal den Toni Kroos machen"
Wenn es allerdings um den FC Bayern geht, erzählt Kern, dann ist meist Ruhe im Raum und alle hören ganz genau hin. An einen Abend von vor ein paar Jahren erinnert sich Kern heute noch. "Der Reporter erzählte etwas von einem Kreativitätsdefizit im Bayern-Mittelfeld. Da haben die Jungs gesagt: 'Herr Kern, in ein, zwei Jahren, da lasst ihr das mal den Toni Kroos machen, dann gibt es keine Defizite mehr."
Knapp drei Jahre sind seit diesem Abend vergangen. Die Defizite im Bayern-Mittelfeld sind schon wieder oder immer noch vorhanden, und Toni Kroos trägt längst nicht mehr das Trikot des Rekordmeisters.
Seit fast einem Jahr ist der 19-Jährige nun an Bayer Leverkusen ausgeliehen, dabei hatten nicht nur die Talente von damals in Kroos den künftigen Bayern-Spielmacher ausgemacht.
Kahn und Scholl schwärmen
Oliver Kahn schwärmte vom Besten, "was ich seit Jahren im Nachwuchsbereich gesehen habe". Mehmet Scholl war angetan von Kroos' Spielintelligenz, Ottmar Hitzfeld machte ihn mit 17 Jahren und 265 Tagen zum jüngsten Bayern-Spieler der Bundesliga-Geschichte und Manager Uli Hoeneß reservierte ihm sogleich das Trikot mit der prestigeträchtigen Nummer zehn.
Bis heute hat er es nicht getragen. Mittlerweile streift er gar den Dress eines anderen Klubs über. Doch warum? Ist Kroos etwa zu schlecht, zu faul oder gibt er sich mit zu wenig zufrieden? Haben die Münchner kein Gespür für Talente, oder ist ein Klub wie der FC Bayern einfach nicht die richtige Plattform, um im Profi-Fußball Fuß zu fassen?
Hoeneß bremst den Hype
Die ersten Schritte zum Profi macht Kroos allerdings bei den Bayern. Doch von Beginn an will man es langsam angehen lassen an der Säbener Straße. Manager Hoeneß bremst jeglichen öffentlichen Hype aus, Trainer Hitzfeld setzt den Youngster nur sporadisch ein. Er soll keinesfalls verheizt werden.
So bringt es Kroos in seiner ersten Bundesliga-Spielzeit auf zwölf Einsätze, steht dabei dreimal in der Startelf. Bastian Schweinsteiger durfte einige Jahre zuvor in seiner ersten Saison für die Bayern immerhin achtmal von Beginn an ran.
Kroos spürt kein Vertrauen
Kroos ist nicht glücklich über die begrenzte Spielzeit, doch im Sommer 2008 kommt Jürgen Klinsmann als neuer Coach zum Rekordmeister. Unter ihm soll alles besser werden. Auch für Kroos. Zum Saisonauftakt gegen den HSV steht der damals 18-Jährige gleich 90 Minuten auf dem Platz. Danach wird er in der Liga allerdings nur noch fünfmal eingesetzt, davon viermal als Einwechselspieler.
"Wenn ich weiß, dass ich auch dann spiele, wenn ich mal zwei nicht so gute Leistungen gezeigt habe, dann verspüre ich das Vertrauen, das ich brauche. Und dann kommt die Konstanz automatisch", sagte Kroos neulich. Bei Bayern hat er dieses Vertrauen nie gespürt.
Das hatte ihn immerhin stets zum Besten seines Alters gemacht. "Seitdem er das erste Mal bei einem Auswahlspiel dabei war, klingelte bei uns andauernd das Telefon", erzählt Vater Roland. Schon mit 13 Jahren hat Kroos Angebote von zahlreichen Vereinen aus dem In- und Ausland vorliegen.
"Defensiv-Schlampe" und "naiv"
Dass er dennoch weiter an sich arbeitet, dafür sorgt sein Vater. "Er ist besonders kritisch. Er hat es mir und meinem Bruder nie leicht gemacht, viel gefordert und uns von Anfang an klar gemacht, dass wir mehr tun müssen. Deshalb haben wir viel zusätzlich gemacht", sagt Kroos.
Zu bequem ist der Mittelfeldspieler also nicht. Doch was dann? Als "Defensiv-Schlampe" bezeichnete ihn der "Kölner-Stadt-Anzeiger" einst ob seiner Defizite in der Rückwärtsbewegung, als "bisweilen genial, viel zu oft aber auch etwas nachlässig und naiv", stufte ihn die "Süddeutsche Zeitung" ein.
Heynckes dämpft Euphorie
Und so schickte man Kroos von München nach Leverkusen "in die Lehre" (Franz Beckenbauer), um "einen fertigen Spieler zurückzubekommen", wie Hoeneß Anfang 2009 betonte. Bei Bayer tat sich Kroos bislang allerdings auch schwer, kam in der vergangenen Rückrunde trotz Verletzung zwar auf zehn Liga-Spiele, setzte dabei allerdings nur selten Akzente.
Erst jetzt beginnt Kroos zu überzeugen. So wie man sich das schon lange wünscht - beim FC Bayern, in Leverkusen und wohl quer durch die gesamte Fußball-Republik. Dreimal durfte er zuletzt von Beginn an ran, traf dabei zweimal und lieferte starke Leistungen ab.
Und schon wird Kroos wieder gefeiert. "Jetzt hat der Junge mal zwei halbwegs gute Spiele gemacht und gleich werden alle nervös", sagt Jupp Heynckes. Der Bayer-Coach tritt auf die Euphorie-Bremse, weil er weiß, dass es für Kroos auch schnell wieder ganz anders kommen kann, vor allem wenn Renato Augusto fit ist.
Holzhäuser: "Wir würden ihn kaufen"
Dennoch hat Heynckes einen Lernprozess bei seinem Schützling festgestellt. "Ich habe Toni vor einigen Wochen gesagt, was er besser machen muss. Er ist ein hervorragender Fußballer, aber es gehören auch andere Dinge dazu wie Physis oder Tempowechsel. Seitdem hat er intensiv gearbeitet. Das ist das Produkt."
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Und nicht zuletzt deshalb würde man Kroos auch gerne über den Sommer hinaus in Leverkusen behalten. "Wir würden ihn den Münchnern abkaufen oder ihn zumindest noch um ein Jahr länger ausleihen", sagt Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser.
Hoeneß allerdings stellt klar: "Wir können mit Bayer gerne über alles reden, aber sicher nicht über einen Wechsel von Toni Kroos." Er selbst will sich nicht zu seiner Zukunft äußern. Bayer oder Bayern? Es ist eine weitere Frage im Rätsel Toni Kroos.