Ein Auslaufmodell hat wieder Konjunktur

  • Jupp Heynckes


    Ein Auslaufmodell hat wieder Konjunktur


    Von Richard Leipold, Leverkusen


    22. November 2009


    Jupp Heynckes ein Auslaufmodell? Diese Trainerdiskussion mag es einmal gegeben haben – als dieser hochdekorierte Fußball-Lehrer „auf“ Schalke gearbeitet hat oder in Mönchengladbach; bei Vereinen, die auf unterschiedlichem Niveau und aus unterschiedlichen Gründen über längere Zeit ihre Möglichkeiten nicht auszuschöpfen vermochten. Nach dem Karriereknick im Herbst seiner Laufbahn hat Heynckes in diesem Frühjahr aus dem (Ruhe-)Stand noch einmal zu großen Würfen ausgeholt.


    Erst führte er die angeschlagenen Bayern in einem fünfwöchigen Crash-Kurs auf den zweiten Platz der Bundesligatabelle und damit geradewegs in die Champions League. Wenige Wochen später heuerte er, ebenso unverhofft, in Leverkusen an. Dort bildet er ein junges Ensemble zu einer Spitzenmannschaft fort, was er schon immer als seine Lieblingsaufgabe, geradezu als Passion betrachtet hat.


    An diesem Sonntag begegnet Heynckes im Dienste seines neues Arbeitgebers Bayer seiner großen Liebe Bayern. Drei Vereine hätten unabhängig vom Tagesgeschäft einen festen Platz in seinem Herzen, sagt er: Mönchengladbach, Bilbao und Bayern.


    Mit offenen Armen in München empfangen


    Wäre Heynckes nicht in festen Händen, würde sich vielleicht bald wieder die Frage stellen, ob er seinem alten Fußballfreund Uli Hoeneß nicht einen allerletzten Freundschaftsdienst erweisen und abermals in München einspringen könnte. Aber da er nun mal in Leverkusen engagiert ist, könnte der Trainersenior der Liga die Bayern und seinen Kollegen Louis van Gaal nun noch mehr in Verlegenheit bringen.


    „Es ist ein freudiger Anlass, nach München zurückzukommen“, sagt der 64 Jahre alte Fußball-Lehrer, „aber ich fahre nicht dorthin, um alle Menschen zu umarmen, sondern um zu gewinnen.“ Mit offenen Armen dürfte Heynckes in der Allianz-Arena dennoch empfangen werden. Im Mai war er von den Fans für den zweiten Platz fast noch mehr gefeiert worden als vor zwei Jahrzehnten für seine beiden Meisterschaften.


    Starke Offensive, starke Defensive


    Heynckes reist in der Position an, die Bayern München wie ein Gewohnheitsrecht beansprucht: als Spitzenreiter. Nach zwölf Ligaspielen ist Leverkusen als einzige Bundesligamannschaft ungeschlagen. In Leverkusen hat der gelassen, aber nicht alt gewordene Heynckes vieles richtig gemacht im Umgang mit einer jungen Mannschaft. Heynckes hat sie von unkontrollierter auf kontrollierte Offensive umgeschult, mit einem Ergebnis, das ähnlich überzeugt wie der Tabellenplatz.


    Vor der dreizehnten Runde hat Bayer in der Liga die zweitmeisten Tore erzielt und die wenigsten Gegentreffer hinnehmen müssen. „Die Art, wie wir spielen, spricht für uns“, sagt Heynckes. Die Spieler wüssten, dass es richtig sei, was das Trainerteam vorgebe. Heynckes’ Hauptaufgabe liegt darin, den Kontrast zwischen Hin- und Rückrunde in Konstanz umzuwandeln. Derzeit überwiegen die Anzeichen, dass es ihm gelingt.


    Mit Prinzipienreiterei ist nicht viel zu holen


    Aber auch ein Bundesliga-Vormann der Spitzenklasse kann sich irren, auch darauf deutet einiges hin, nicht bei Bayer, sondern bei Bayern. Im Frühjahr hatte Heynckes den Münchnern nach dem fehlgeschlagenen Versuch mit Jürgen Klinsmann den Niederländer van Gaal empfohlen. „Ihr braucht einen Trainer, der Fußball wieder lehrt, ihr müsst den Louis holen“, hatte er gesagt. Nach den ersten Lektionen steht der Rekordmeister schlechter da als vor einem Jahr. Nun könnte Heynckes zu einem Meilenstolperstein für den geschwächten starken Mann auf der Bayern-Bank werden.


    Seit zwanzig Jahren hat Bayer nicht in München gewonnen. Sollte diese Serie enden, wird mancher Bajuware dem Fußball-Altersweisen Heynckes noch mehr nachtrauern als ohnehin schon. So oder so scheint Heynckes gegenüber van Gaal auf eine Art im Vorteil: Er ist lockerer geworden, hat manche Verspannung im Umgang mit Profis, die seine Enkel sein könnten, gelöst. Kurzum: Heynckes hat gelernt, dass mit Prinzipienreiterei allein im modernen Fußball wie überhaupt im Arbeitsleben nicht viel zu gewinnen ist. Schon deshalb ist er kein Auslaufmodell.



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