„Das einzige Problem hat der Trainer“

  • INTERVIEW DER WOCHE
    STEFAN KIESSLING
    Bayer Leverkusen

    Er ist mit Leverkusen Tabellenführer und der Toptorjäger der Liga. STEFAN KIESSLING (25) hat einen Lauf. Hier spricht er über Hintergründe, die Meisterschaft, die Torjägerkanone des kicker und die WM.


    kicker: Herr Kießling, Sie sind einer von nur acht Deutschen in den vergangenen 20 Jahren, die nach 14 Bundesligaspieltagen zweistellig getroffen haben. Hätten Sie vor der Saison gedacht, dass solche Statistiken mit Ihnen in Zusammenhang gebracht würden?


    Stefan Kießling: Nein, eher nicht. Ich wusste zwar, dass ich der Mannschaft gut helfen kann mit meiner Einsatzbereitschaft, dass ich mannschaftsdienlich bin. Vor dem Tor hat aber das Quäntchen gefehlt. Jetzt läuft es. Aber davon kann man sich noch nichts kaufen.


    kicker: Wann hätten Ihre Tore einen Wert?


    Kießling: Wenn wir als Mannschaft zusammen etwas erreicht haben. Wir wollen nächste Saison international spielen. Wenn wir das erreicht haben, können wir zufrieden auf etwas zurückblicken. Jetzt nehmen wir alles mit, aber wir wissen, dass im Fußball auch alles nach hinten losgehen kann. Deswegen halte ich auch nichts davon zu sagen, wie viele Tore ich schießen will.


    kicker: Sie wandeln auf den Spuren von Vedad Ibisevic, der vergangene Saison nach 14 Spielen der Konkurrenz enteilt war. Was empfinden Sie beim Blick auf die Torjägerliste?


    Kießling: Ich nehme das gerne mit. Das ist ein gutes Gefühl. Das haben wir uns als Mannschaft und auch ich mir erarbeitet. Aber man hat es an Ibisevic ja gesehen, der sich schwer verletzt hat: Es kann schnell in die andere Richtung gehen.


    kicker: Wie wertvoll wäre für Sie die kicker-Torjägerkanone?


    Kießling: Wenn ich zwischen Torjägerkanone und Meistertitel wählen müsste, würde ich den Meistertitel nehmen. Ich hätte nichts von der Kanone, wenn wir es nicht schaffen, international dabei zu sein.


    kicker: Vor Ihrem 4:0 per Strafstoß gegen Stuttgart wollten Sie den Ball weitergeben. Warum reißen Sie sich nicht wie andere Torjäger darum?


    Kießling: Schwer zu sagen. Es war abgesprochen, wer schießt, und ich bin nicht eingeteilt, weil ich noch nie einen geschossen hatte. Dass alle gesagt haben: Komm, schieß du! Das war eine Riesengeste von der Mannschaft. Richtig gut. Auf der anderen Seite: Bei einem 0:0 hätten sie mich sicher nicht schießen lassen …


    kicker: Ihre beste Quote liegt bei zwölf Treffern vergangene Saison. Jetzt haben Sie schon genauso viele Treffer. Sogar Schwieriges sieht bei Ihnen im Moment einfach aus. Liegt das nur an Ihrem Lauf oder ist das eine Entwicklung?


    Kießling: Ich mache gar nicht so viel anders. Ich arbeite viel vor und nach dem Training. Schnappe mir unseren Co-Trainer Peter Hermann und lasse ihn Flanken für mich schlagen. Ich glaube, dass ich an Erfahrung gewonnen habe. Ich spiele, seit ich 18 bin, als Profi . Im Januar werde ich 26. Da wird man ruhiger vor dem Tor. Doch ich glaube nicht so ganz, dass es nur der Lauf ist. Ich glaube vielmehr, dass es harte Arbeit ist. Diese Ruhe. In der Ballannahme bin ich schon sicherer geworden. Da habe ich schon an mir gearbeitet.


    kicker: Mit Ihren Treffern gibt es Meldungen von interessierten Klubs. Wechseln Sie im Sommer?


    Kießling: Nein, daran verschwende ich keinen Gedanken. Ich fühle mich hier pudelwohl und will mit Leverkusen international spielen. Alles andere ist Spekulation.


    kicker: Wird Bayer Herbstmeister?


    Kießling: Natürlich ist das ein Ziel. Das wollen wir erreichen. Aber erst konzentrieren wir uns auf Hannover und wollen da drei Punkte holen. Dann in Berlin. Jeder sagt: Diese Spiele musst du gewinnen. Wenn wir unser Spiel aufziehen, werden wir sie auch gewinnen.


    kicker: Rolfes und Renato Augusto sind, Kadlec und Helmes waren lange verletzt. Ist Bayer 04 unschlagbar, wenn die vier voll da sind?


    Kießling: Nein, aber es ist schön zu wissen, dass man dann noch solche Spieler hat. Das zeigt die Stärke und Breite unseres Kaders. Das einzige Problem hat dann der Trainer. Aber er weiß hundertprozentig, wie er es angeht. Denn bei uns passt es. Wir haben eine Super-Harmonie, wir unternehmen auch so viel gemeinsam – das ist unser kleines Erfolgsgeheimnis.


    kicker: Wie wird sich Ihre Rolle ändern, wenn Helmes, der Toptorjäger der vergangenen Saison, wieder in der Elf steht?


    Kießling: Eren Derdiyok spielt auch eine richtig gute Saison. Dann haben wir drei Super-Stürmer und der Trainer die Qual der Wahl. Ich habe gezeigt, dass ich mich mit beiden gut verstehe. Vergangene Saison mit Patrick war ich noch der Vorbereiter. Dagegen habe ich nichts. Es tut mir aber gut, der Mannschaft mit Toren zu helfen. Ich werde mich auch nicht verstecken, wenn Patrick wieder da ist.


    kicker: Nationalelf-Comeback, Tabellenführer, bester Bundesliga-Torschütze. Noch Wünsche offen?


    Kießling: Na gut, ich möchte zur WM. Darauf arbeite ich hin. Und den Erfolg mit der Mannschaft. Ich will international spielen. Wer weiß, was diese Saison noch möglich ist …


    kicker: Muss man nach jetzigem Stand nicht zumindest die Champions League als Ziel anpeilen?


    Kießling: Klar, als Fußballer hast du immer das Ziel, das Größte zu erreichen. Natürlich will von uns jeder Meister werden. Aber im Moment müssen wir nicht sagen: Wir spielen um die Meisterschaft. Wir wollen oben bleiben, aber wir haben vergangene Saison gesehen, das es anders laufen kann. Doch ich bin überzeugt, dass wir nicht einbrechen. Aber es ist ein ganz hartes Stück Arbeit, 34 Spieltage oben zu bleiben.
    INTERVIEW: STEPHAN VON NOCKS





    Quelle: kicker-Printausgabe vom 03.12.09