Bayer spielte schon oft schön - Meister wurden sie nie. Vielleicht hat ihnen ein SAMI HYYPIÄ (36) gefehlt. An dessen Seite glänzt auch MANUEL FRIEDRICH (30).
Wie man eine Meisterelf baut, konnte Jupp Heynckes bereits vor 40 Jahren in Gladbach beobachten. Die Borussia zelebrierte erfrischenden Angriffsfußball. Allein der zählbare Erfolg am Saisonende fehlte. Schön gespielt, aber nichts gewonnen, lautete das Motto, das den Klub vor der Saison 1969/70 handeln ließ. Günter Netzer habe damals gefordert, „wir brauchen hinten einen, der den Laden zusammenhält“, erinnert sich Stürmer Herbert Laumen (66). Also verpflichtete Borussia die Nationalspieler Klaus-Peter Sieloff und Luggi Müller für die zentrale Abwehr – und wurde Meister. „Durch Sieloff und Müller war die Basis stabil“, erinnert sich Heynckes, „das waren Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Klasse Gewicht in der Mannschaft hatten.“
Heute ist Heynckes Trainer bei Bayer 04. Wie einst die Fohlen galt auch die Werkself in den vergangenen Jahren als spielerisch begnadetes Ensemble, dem eine gute Abwehr abging. Bis zu dieser Saison: Jetzt bilden Manuel Friedrich und Sami Hyypiä die beste Innenverteidigung der Liga. Nur neun Gegentreffer und 44 gegnerische Chancen ließ man zu, zwei Liga-Bestmarken. Der kicker-Notenschnitt Friedrichs, der am Samstag beim 0:0 in Hannover wegen einer Wadenprellung nur auf der Bank saß, liegt bei starken 2,83, der Hyypiäs gar bei überragenden 2,67!
Der Finne, ablösefrei aus England gekommen, gilt als Schlüsselspieler. „Sami hat auf sehr hohem Niveau beim FC Liverpool gespielt. Das ist Top-Klasse“, lobt Heynckes. Physisch präsent, beeindruckt der Blondschopf im Zweikampf. Seine Antizipationsfähigkeit lässt auch Torjäger Stefan Kießling schwärmen: „Sami hat das Auge, hält die Abwehr zusammen. Sein Stellungsspiel ist sensationell. Der Ball kann ja überall hinkommen, aber Sami ist immer da.“ Hyypiä ist die Führungsfigur bei Bayer. Kießling: „Ein Weltklasse-Spieler.“ Mit dem Hünen wandelte sich Bayers Wackelabwehr zur Mauer, auf Englisch „The Wall“, übrigens der Titel eines legendären Albums von Pink Floyd, das vor 30 Jahren auf den Markt kam.
Hyypiä, in seiner Heimat zum achten Mal zum Fußballer des Jahres gewählt, scheint unersetzbar. Als der 1,95-Meter-Mann, der mit beidfüßiger Spieleröffnung glänzt, beim 2:2 auf Schalke ausgewechselt werden musste, brach das Chaos aus, Leverkusen verspielte die Führung. „Mit ihm hätten wir gewonnen“, stellte Torhüter René Adler fest. Bei der einzigen Saisonniederlage, dem 1:2 im Pokal in Kaiserslautern, schonte Heynckes den Routinier, der sich unter dem 64-Jährigen Trainingspausen nach eigenem Ermessen nehmen darf. Heynckes vertraut ihm. Schließlich steht Hyypiä für Verlässlichkeit. Auch privat: Seinen Ehering hat er sich in den Ringfinger der rechten Hand tätowieren lassen … Doch wie kann ein 36-Jähriger, der alles andere als ein Sprinter ist, neben einem zuvor eher durchschnittlichen Innenverteidiger der große Stabilisator sein? Dafür, dass die Schnelligkeitsdefizite nicht ins Gewicht fallen, sorgt Heynckes’ Defensivkonzept. Die Viererkette steht weit weg vom eigenen Tor, die Mannschaftsteile sind eng beieinander. Bayer schafft fast durchweg Überzahlsituationen im Mittelfeld, setzt den Ballführenden unter Druck, gewährt ihm keine Zeit, einen öffnenden Pass in die Spitze zu spielen. Das funktioniert nur, „weil alle rechtzeitig umschalten und dribbelstarke Spieler konsequent gedoppelt werden“, erklärt Heynckes. Ob es gelingt, Laufduelle, in denen Schnelligkeitsdefizite ins Gewicht fallen würden, zu vermeiden, hänge davon ab, „wie der Gegner gepresst wird, so dass freie Eins-gegen-eins-Situationen für die Abwehrspieler fast nie entstehen“.
So kann Hyypiä („Vor zehn Jahren war ich auch nicht schneller“) glänzen. Ebenso wie Friedrich, der klar seine stärkste Saison spielt. Weil auch ihm mit seinem guten Antizipationsvermögen diese Defensivstrategie entgegenkommt. Weil er die Rollenverteilung akzeptiert. „Was Sami sagt, ist Gesetz. Da habe ich kein Problem, mich unterzuordnen“, so der 30-Jährige, der es eine „Ehre“ nennt, an dessen Seite verteidigen zu dürfen, „wir profitieren sehr von ihm“. Auch er selbst: „Sami hält durch sein Stellungsspiel einiges weg, wie auch die Jungs im defensiven Mittelfeld. Dadurch ist es für mich einfacher.“ Und weil die Abstimmung klappt. „Sie reden viel, harmonieren gut“, weiß Kießling. Doch Friedrich glänzt auch durch individuelle Stärke: Sein Offensiv-Kopfball ist überragend, zwei Treffer erzielte er so in dieser Saison. Einen seiner zwei Assists steuerte er mit dem Kopf bei. Damit überflügelt er sogar seinen Chef. Hyypiä, der gegen Stuttgart seine erste Vorlage verbuchte, wartet noch auf sein Tor.
Jupp Heynckes attestiert Friedrich, der zu Beginn seiner Karriere offen zugab, diverse Bundesliga-Kollegen gar nicht richtig einordnen zu können, eine Entwicklung: „Manuel hat gemerkt, dass ich mehr von den Spielern verlange. Er hat sich wunderbar in das Leistungsdenken integriert.“ Friedrich glänzt also nicht nur dank Hyypiä. Dennoch könnte der Finne zum „Meister-Faktor“ werden, wie der Kölner Express ihn jüngst nannte.
Als die Borussia 1969/70 den perfekten Coup mit Sieloff und Müller landete, war Heynckes selbst gar kein Fohlen, er spielte bei Hannover 96. Erst 1970 kehrte er zurück, um 1971 die Borussia zur erneuten Meisterschaft zu schießen. Auch als Bayer Anfang Mai 2009 Hyypiä verpflichtete, war Heynckes, damals Bayern-Trainer, noch kein Thema bei der Werkself, die er nun mit dem neuen Abwehr-Boss zum Titel führen könnte. Wiederholt sich Geschichte? Heynckes: „Gladbach wurde damals Meister, wir sind momentan Erster. Bisher ist das richtig, aber wir müssen die Saison erst mal zu Ende spielen“.
Steht „The Wall“ weiterhin so stabil, könnte man auch bei Bayer die Titelmixtur endlich gefunden haben.
STEPHAN VON NOCKS
Mit schlappen 620 PS zum Training
HYYPIÄ: Tränen, Katzen und Campino
Seine Herkunft
Sami Tuomas Hyypiä (1,95 m, 88 kg) erblickte im Oktober 1973 in Porvoo, der nach Turku zweitältesten Stadt Finnlands, das Licht der Welt. Verheiratet mit Susanna, ein Sohn, eine Tochter.
Seine Karriere
101 Länderspiele für Finnland, über 700 Pflichtspiele als Profi. Sami Hyypiä ist eine Legende. Besonders in Liverpool, wo er zwischenzeitlich als Kapitän fungierte. 2009 zum Abschied nach mehr als 460 Partien für die Reds bildete die Fankurve „The Kop“ mit Pappschildern rot auf weiß seinen Vornamen und die finnische Flagge. Hyypiä weinte. „Die Fans waren großartig. Liverpool ist immer noch mein Verein. Ich liebe diesen Klub und die Fans.“
Seine Schwachstelle
Hyypiä hat eine Schwäche für Pferdestärken, die er auch bei seinem Amtsantritt nicht verbarg. Zu seinem ersten Training fuhr der Hüne in einem 620 PS starken Ferrari vor. Doch es geht auch „kleiner“: Hyypiä besitzt drei Katzen und sechs Springpferde.
Das Spezielle
Hyypiä ist mit Campino, dem Sänger der Rockband „Die Toten Hosen“ befreundet. Dieser gab auf der Hochzeit des Finnen den Fan-Klassiker „You’ll never walk alone“ zum Besten. Hyypiäs Wechsel zu Bayer 04 konnte das Verhältnis zu Campino, bekennender Anhänger Fortuna Düsseldorfs, nicht trüben. „Campino hat gesagt, dass wir Freunde bleiben“, flachst Hyypiä.
Fußball im Fernsehen sieht er nicht
FRIEDRICH: Am liebsten auch kein Handy
Seine Herkunft
Friedrich (189 m, 83 kg) wurde im September 1979 in Bad Kreuznach geboren. Sein Vater Hubert brachte ihn 1995 von der SG Guldental 07 zum 1. FSV Mainz 05, wo er anfangs nur für die B-II-Junioren gut genug war. Friedrich ist ledig, und sein Vater heute noch Jugendleiter in Mainz.
Seine Karriere
Nach neun Länderspielen (das letzte Anfang 2008) nennt er sich selbst „Ex-Nationalspieler“ trotz seiner bislang stärksten Saison. Von seinem Bremen-Gastspiel (2002 bis 2004) blieb verletzungsbedingt sportlich nichts in Erinnerung. Nach der Rückkehr nach Mainz fand er wieder seine Form. 2007 holte ihn Bayer, dort ist er Leistungsträger.
Seine Schwachstelle
Das vordere Kreuzband. Gleich zweimal riss er sich dieses im rechten Knie. Innerhalb von nur fünf Monaten. Selbst diese lange Pause blieb ohne Auswirkungen auf sein TV-Verhalten: Friedrich schaut nach eigener Aussage keine Fußballspiele im Fernsehen an.
Das Spezielle
Während andere Profi s stets mit dem neuesten Handy-Modell am Ohr zu sehen sind, pflegt Friedrich einen distanzierten Kontakt zum Mobiltelefon. „Ich bin auch für Freunde kaum erreichbar. Mein Handy ist auf lautlos in der Jacke.“ Die Reaktion der Kollegen: Zum 30. Geburtstag bekam er ein iPhone geschenkt. Ohne Erfolg: Wie oft er dieses bedient? Friedrich: „Ab und zu …“
Quelle: kicker-Printausgabe vom 07.12.09