OTTMAR HITZFELD (60) zieht für den kicker eine Bilanz zur Vorrunde 2009/10. Der Erfolgstrainer analysiert die wichtigen Entwicklungen und Trends. Und er äußert sich zu Kollegen wie Heynckes, van Gaal, Babbel, Favre oder Koller. Zu Talenten wie Badstuber, Müller, Kroos. Und zu wenig mutigen Vereinsbossen.
kicker: Herr Hitzfeld, mit welchen Entwicklungen in der Vorrunde haben Sie gar nicht gerechnet?
Ottmar Hitzfeld: Es gab einige Überraschungen: Dass Leverkusen seit dem achten Spieltag oben steht;
dass Schalke trotz des Umbruchs eine so imponierende Serie hinlegte. Zu erwarten war, dass der
FC Bayern oben wieder angreift.
kicker: Warum lief es für Bayer und Schalke so gut?
Hitzfeld: Jupp Heynckes bringt seine ganze Erfahrung ein, er schenkt der jungen Truppe viel Vertrauen und gibt ihr so Sicherheit. Das macht er fantastisch. Mit seiner Ernsthaftigkeit verdeutlichte er den Spielern die Bedeutung der Defensive.
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kicker: 1982/83 legte der HSV eine Hinserie ohne Niederlage hin, 1988/89 der FC Bayern. Beide Teams
wurden Meister. Was sagt diese Statistik über Leverkusen aus?
Hitzfeld: Die Herbstmeisterschaft ist psychologisch von Vorteil, sie gibt Selbstbewusstsein für die Rückserie. Bei Bayern geht der Trend nach oben, während Bayer zuletzt etwas strauchelte. Und Leverkusen hat nicht diese Spielerdecke wie Bayern. Die Rückrunde wird lang.
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kicker: Welcher Torhüter hat Sie am meisten überzeugt?
Hitzfeld: Wiese hielt stark. Von Adler halte ich sowieso viel. Neuer zählt zu den besten Torhütern, Butt
spielte souverän, auch Weidenfeller war ganz gut. Und Hildebrand.
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kicker: Welche Talente haben Sie noch begeistert?
Hitzfeld: Kießling spielte eine großartige Saison, er führt die Torschützenliste an. Auch Derdiyok war gut. Beide sind jung, lauf- und einsatzfreudig, physisch stark. Wenn Helmes zurückkommt, hat Heynckes ein Luxusproblem. Großer Konkurrenzkampf kann auch hemmen.
kicker: Hat Toni Kroos nun den Durchbruch geschafft?
Hitzfeld: Er hat überzeugt, seit Renato Augusto ausfiel. Es führt kein Weg daran vorbei, dass er irgendwann in die Nationalelf kommt. Dazu muss er regelmäßig spielen und möglichst in Leverkusen bleiben.
kicker: Dazu würden Sie ihm raten?
Hitzfeld: Ja. Die Gefahr, dass er nicht spielt, ist größer, wenn er zu Bayern zurückgeht. Die Chance liegt bei dieser Konkurrenz bei 50:50. Er sollte lieber ein weiteres Jahr warten, für seine Entwicklung wäre das sinnvoller. Auch wenn die Bayern schlau sind, lassen sie ihn weiter bei Bayer spielen. Wenn Kroos in Leverkusen Leistungsträger ist, ist der Weg zurück nach München kurz.
kicker: Wer war der Spieler der Vorrunde?
Hitzfeld: Schwierig. Kießling wegen seiner Tore. Seine Bilanz ist super. Hyypiä war für die wenigen Gegentreffer entscheidend mitverantwortlich. Özil schlug in Bremen super ein. Carlos Eduardo in Hoffenheim ist ein grandioser Spieler. Ivanschitz sorgte in Mainz wesentlich dafür, dass der Aufsteiger so gut steht.
kicker: Welcher Schweizer Nationalspieler hat am meisten überzeugt?
Hitzfeld: Jeder, der Stammspieler in der Bundesliga war, spielte eine Supersaison. Derdiyok
schlug groß ein, mit 21. Er muss sich nur im Kombinationsspiel verbessern. Barnetta ist Leistungsträger, Benaglio hielt gut. Schwegler enwickelte sich gut [...]
kicker: Was bleibt sportlich von der Vorrunde?
Hitzfeld: Die Topstars, die in erster Linie in München angestellt sind, waren nicht so zu sehen, junge Spieler wie Özil oder Carlos Eduardo rückten nach. In den Vordergrund gelangt man auf Platz eins, siehe Kießling, Derdiyok, Barnetta, Hyypiä oder Adler. Früher war Leverkusen Achtung, fertig, los, ab nach vorne! Mittlerweile wird dort gut verteidigt. Das ist auch Völlers Verdienst, dass Hyypiä verpflichtet wurde. Es war ein Risiko, einen damals 35-Jährigen zu holen, aber genau die richtige Entscheidung.
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Quelle: Kicker Printausgabe 21.12.09