„Tore sind doch der Sinn des Fußballs, oder?“

  • Sie sind die drei besten deutschen Torjäger dieser Hinrunde:
    MARIO GOMEZ (24), KEVIN KURANYI (27) und STEFAN KIESSLING (25).
    Mit dem FC Bayern, Schalke 04 und Bayer Leverkusen liefern sie sich ein heißes Rennen um die kicker-Torjägerkanone – um den Meistertitel und um die Gunst von Bundestrainer Löw.


    kicker: Herr Kießling, was bedeutet es Ihnen, Herbstmeister geworden zu sein?
    Stefan Kießling: Im Endeffekt nichts. Man ist nach 17 Spieltagen die beste deutsche Mannschaft. Aber abgerechnet wird eben erst nach 34 Spielen.
    kicker: Hätte Ihnen der Halbzeit-Titel mehr bedeutet, Herr Gomez, Herr Kuranyi?
    Mario Gomez: Auf Platz 1 zu überwintern wäre schön gewesen, ist aber nicht wichtig. Entscheidend ist doch nur, wer nach dem letzten Spieltag oben steht.
    Kevin Kuranyi: Für uns ist eigentlich nur wichtig, dass wir in der Hinrunde sehr viele Punkte gesammelt haben.
    kicker: Wie fällt Ihre ganz persönliche Bilanz dieser Hinrunde 2009/10 aus?
    Kießling: Für mich ist die Saison bisher überragend gelaufen. Ich habe so viele Tore erzielt wie noch nie zuvor, wir stehen mit dem Team oben, ich bin in die Nationalmannschaft berufen worden und habe
    ganz ordentlich gespielt. Alles in allem war es eine richtig gute Hinrunde.

    Gomez: Meine Bilanz ist durchwachsen. Nach schwierigen Monaten am Anfang der Saison endete die Hinrunde für mich sehr positiv – ich hoffe, dass ich in der Rückrunde daran anknüpfen kann.
    kicker: Welche Erfahrung als Torjäger war die wichtigste?
    Kuranyi: Dieselbe Erfahrung, die ich und viele Torjäger schon oft gemacht haben: Wenn es mal nicht läuft, muss man ruhig bleiben und Geduld haben. Irgendwann platzt der Knoten immer.
    Gomez: Harte Arbeit wird halt immer belohnt.
    Kießling: Man darf sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen. Zwar sollte man alle Lobeshymnen mitnehmen und die schöne Zeit genießen – aber das Wichtigste ist, sich in jedem Spiel wieder neu zu beweisen.
    kicker: Wie viel Egoismus braucht ein Stürmer?
    Gomez: Viel! Allerdings muss man auch unterscheiden: es gibt Stürmer, die denken egoistisch, spielen aber nicht so.
    kicker: Und Sie . . . ?
    Gomez: . . . ich spiele manchmal lieber egoistisch – denke aber nicht so.
    Kuranyi: Die Kunst besteht doch darin, die richtige Mischung zu finden. Einerseits benötigen wir Stürmer einen Tick Egoismus, um Erfolg zu haben. Andererseits müssen auch wir mannschaftsdienlich spielen.
    Kießling: Ich gelte seit Jahren als Teamplayer, dessen Quote darunter leidet, dass er zu viel arbeitet. In dieser Saison spiele ich auch nicht anders. Allerdings bin ich vor dem Tor ruhiger geworden. Ich denke weniger nach und treffe wie nie. Das geht auch ohne jeden Egoismus.
    kicker: Sind Sie heiß auf die kicker-Torjägerkanone?
    Kießling: Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass sich diese Auszeichnung sehr gut auf dem Kaminsims macht. Jeder Stürmer will möglichst viele Tore schießen. Aber was helfen diese Tore, wenn das Ziel mit der Mannschaft am Ende doch verpasst wird?
    Gomez: Natürlich will ich irgendwann in meiner Karriere mal die Kanone gewinnen, aber das ist nicht mein primäres Ziel. Titel mit der Mannschaft sind viel wichtiger als persönliche Erfolge.
    Kuranyi: Ich bin heiß darauf, mit Schalke Erfolg zu haben. Wenn wir eine gute Saison spielen und am Ende zusätzlich noch die Torjägerkanone für mich dabei herausspringt, ist das sicher schön. Aber es ist kein konkretes Ziel.
    kicker: Welcher Treffer war Ihr wichtigster in dieser Saison?
    Kuranyi: Jedes Tor war wichtig. Vielleicht war mein 100. Bundesligatreffer sogar noch einen Tick wichtiger als alle anderen. Allerdings nicht für mich persönlich – sondern weil danach der Druck von außen weg war.
    Kießling: Für mich war kein einzelner Treffer wichtig, sondern jeder, der die Führung brachte.
    Gomez: Oder eine Vorentscheidung, wie mein 3:1 bei Juventus Turin im letzten Vorrundenspiel der Champions League. Damit waren wir eigentlich schon im Achtelfinale der Königsklasse.
    kicker: Über welche vergebene Chance haben Sie sich am meisten geärgert?
    Gomez: Ich ärgere mich über jede Chance, die ich vergebe. Ich denke, das gehört zum Ehrgeiz eines guten Stürmers dazu. Aber genauso schnell muss man die Situation auch wieder abhaken und sich auf die nächste Möglichkeit konzentrieren.
    Kuranyi: Ich versuche aus vergebenen Chancen zu lernen, hake sie schnell ab und blicke wieder nach vorn. Aber natürlich ärgere ich mich immer, wenn ich eine Chance vergebe.
    Kießling: Tore sind doch der Sinn des Fußballs, oder? Als mich der Linienrichter in München (1:1, Anm. d. Red.) fälschlicherweise im Abseits sah, habe ich mich wirklich geärgert. In derart knappen Situationen sollte für den Angreifer entschieden werden.
    kicker: Welcher Gegenspieler hat Sie am meisten geärgert? Wer war der unangenehmste in der Liga?
    Gomez: Mein Mitspieler beim FC Bayern, Breno. Ich habe in fast jedem Training „das Vergnügen“, gegen ihn zu spielen.
    Kießling: Ich tue mich gegen Pedro Geromel aus Köln schwer. Er ist giftig im Zweikampf, sehr gut im Kopfballspiel, einfach ein guter Abwehrspieler.
    Kuranyi: Ein Top-Abwehrspieler ist auch Josip Simunic, technisch gut, immer eng am Mann, groß, kopfballstark.
    kicker: Wer ist der beste Stürmer der Welt?
    Gomez: Lionel Messi vom FC Barcelona.
    Kießling: Absolut. Er ist überragend schnell, wendig, listig, torgefährlich, und seit dem Finale in der Champions League weiß die ganze Welt, dass er sogar Kopfballtore erzielen kann. Lionel Messi ist die Nummer 1.
    Kuranyi: Wenn ich einen wählen muss, der derzeit noch aktiv ist, dann nehme ich Ronaldo.
    kicker: Ronaldo?
    Kuranyi: Er ist vermutlich nicht der derzeit Beste, aber über seine gesamte Karriere gesehen ist er ein absoluter Weltklassespieler.
    kicker: Die Weltklasse trifft sich im kommenden Sommer bei der WM 2010. Werden wir Sie in Südafrika als Stammspieler der deutschen Nationalmannschaft sehen, Herr Kießling, Herr Gomez?
    Kießling: Das entscheidet der Bundestrainer. Ich kann nur zusehen, dass ich alles dafür tue – und das werde ich.
    Gomez: Das gilt natürlich auch für mich in München. Ein Stammplatz ist mein absolutes Ziel.
    kicker: Sollte Joachim Löw Kevin Kuranyi die Chance einräumen, sich für die WM am Kap aufzudrängen?
    Kießling: Auch das entscheidet der Trainer. Und wenn es so kommt, dann wird Kevin das sicher verdienthaben.
    Gomez: Diese Entscheidung kann wirklich nur der Bundestrainer treffen. Aber Kevin ist ein Freund von mir, deshalb fände ich es natürlich sehr schön, wenn es so käme.
    kicker: Herr Kuranyi, wenn Sie sich etwas aussuchen dürften: Was hätten Sie gerne von Mario und Stefan?
    Kuranyi: Ich schaue lieber auf mich und arbeite an meinen Schwächen.
    kicker: Was hätten die anderen beiden gerne von Kevin?
    Kießling: Ganz ehrlich? Die Anzahl der Länderspiele. Am besten von beiden zusammen.
    kicker: Und Sie, Mario?
    Gomez: Ich bin ganz zufrieden, wie ich bin.
    kicker: Vor der WM steht noch die Bundesliga an. Wer wird Meister?
    Gomez: Keine Frage: der FC Bayern.
    Kießling: Ich hätte auch nichts gegen den Titel. Aber dafür müssten wir als Mannschaft 17 Spiele lang perfekt funktionieren. Realistischer und ohne Zweifel wichtiger als jeder Traum ist die Konzentration auf einen Platz unter den ersten fünf Teams der Tabelle.
    kicker: Erfolgreiche Stürmer sind auf dem Markt gefragt. Wann folgt der nächste Schritt in Ihrer Karriere, ein Wechsel ins Ausland?
    Gomez: Ich bin doch erst vor ein paar Monaten nach München gekommen und habe hier einen Vertrag bis Ende Juni 2013. Ich verschwende keine Gedanken an einen erneuten Wechsel.
    Kießling: Ich auch nicht. Ich denke nur an Bayer.
    AUFGEZEICHNET VON FRANK LUßEM, THIEMO MÜLLER UND KARLHEINZ WILD


    Wussten Sie schon, dass Stefan Kießling . . .
    . . . jetzt schon die beste Trefferzahl seiner Karriere erreicht hat? 12 Tore waren es auch letzte Saison – aber nach 34 Spielen.
    . . . für seine bisherigen Länderspiele nicht viel reisen musste? Gespielt wurde in Duisburg, Düsseldorf und Gelsenkirchen. Folgt jetzt Südafrika?
    . . . bei seinem ersten Länderspiel für Kuranyi, bei seinem zweiten für Gomez eingewechselt wurde? Bei seinem dritten und bislang letzten Einsatz stand er in der Startelf und wurde für Gomez ausgewechselt.
    . . . am 2. Spieltag die Spitze in der Torjägerliste übernahm und diese bis heute nicht mehr abgab?
    . . . an jedem der ersten fünf Spieltage traf und damit einen Bundesligarekord einstellte? Am 6. Spieltag ging er leer aus und darf sich deswegen nicht alleiniger Rekordhalter nennen.




    Quelle: kicker-Printausgabe vom 28.12.09