„Für eine erneute Talfahrt sind wir zu stabil“

  • Er ist der Sportdirektor des Herbstmeisters, sieht sich selbst als „ein Stück Bayer“.
    Im großen Interview spricht RUDI VÖLLER (49) über den Glücksgriff mit Jupp Heynckes, das junge Team, die Ambitionen der Leverkusener und die verkürzte Winterpause.


    kicker: Herr Völler, wie häufig mussten Sie in den vergangenen Wochen die Frage beantworten, wann und ob Bayer Leverkusen in dieser Saison den sportlichen Einbruch erlebt?


    Rudi Völler (49): Oft, sehr oft. Aber das haben wir uns ja auch redlich verdient in der letzten Saison. Mit dieser Frage müssen wir leben nach dem Einbruch damals. Wobei ich dann schon Wert darauf lege, dass es ein Sonderfall war, vorher ist uns das so ja nie passiert. Der Hauptgrund war sicherlich der Umzug nach Düsseldorf, dazu gesellte sich die zunehmende Verunsicherung der Spieler, letztlich trugen viele Komponenten zu dieser Negativserie bei.


    kicker: Besteht die Gefahr einer sportlichen Talfahrt erneut?


    Völler: Nein! Ich kann jetzt nicht prophezeien, wo wir am Ende der Saison landen. Ich sehe eine Saison auch unabhängig von der Platzierung. Dazu sind zu viele Klubs zu eng beieinander. Aber ich bin sicher, dass uns Ähnliches nicht wieder passieren wird. Dazu sind wir mittlerweile viel zu stabil.


    kicker: Wie weit lassen Sie Träume vom Titel zu?


    Völler: Eine Stärke von Bayer ist es, sich nicht von äußeren Einflüssen abhängig zu machen. Das gilt für den Erfolgs- wie für den Misserfolgsfall. Deshalb gibt es auch keine Blütenträume bei den Verantwortlichen. Wir sehen es sehr realistisch, und da kann man zum jetzigen Zeitpunkt festhalten: Die Wahrscheinlichkeit, in der kommenden Saison international spielen zu können, ist gestiegen. In welchem Wettbewerb, das ist schwer vorauszusagen. Der Vorsprung auf Platz sechs beträgt sieben Punkte, den müssen wir halten, am besten ausbauen. Eine schwere Aufgabe, da ist es schon besser, nicht die Bodenhaftung zu verlieren.


    kicker: Wer wird Meister?


    Völler: Das hängt von Bayern München ab. Die bestimmen das ganz alleine. Finanzen, Kader, Infrastruktur – die Bayern sind allen Klubs weit voraus. Da hast du als Konkurrenz nur eine Chance, wenn es interne Querelen gibt. Aber das haben sie ja offensichtlich in den Griff bekommen.


    kicker: Trotz dieser Querelen stehen die Bayern weit oben. Wie groß wäre der Vorsprung, wenn Harmonie geherrscht hätte?


    Völler: Das ist spekulativ. Fakt ist, dass die Bayern bereits in der vergangenen Saison mit zehn Punkten Vorsprung hätten Meister werden müssen. Und vor dieser Saison haben sie sich ja nicht verschlechtert. Die Bayern müssten eigentlich immer vor uns stehen, Gott sei Dank ist es nicht so! Es macht die Liga ja spannend, dass Klubs wie Wolfsburg, Bremen, Hamburg, Schalke oder wir die auch mal ärgern können. Aber grundsätzlich bleibe ich dabei: Der Spieler, der bei den Bayern einen Fünfjahresvertrag unterschreibt, wird in dieser Zeit mindestens zwei- oder dreimal Deutscher Meister. Da kann er sich gar nicht gegen wehren.


    kicker: Bayer gehörte vor der Saison nicht zu den Kandidaten auf eine Top-Platzierung. Zuletzt wurde die Mannschaft kritisiert, nachdem sie zweimal hintereinander auswärts unentschieden spielte. Stimmt da noch die Verhältnismäßigkeit?


    Völler: Es gibt Schlimmeres, als in Hannover oder Berlin einen Punkt zu holen. Da wird ja auf ganz hohem Niveau kritisiert. Und dabei vergessen, was wir an Verletzungspech verkraften mussten. Es waren ja nicht nur die Hamburger oder die Bayern mit Robben und Ribery vom Pech verfolgt. Bei uns fehlten mit Helmes, Rolfes, Kadlec, Renato Augusto und zuletzt Friedrich fünf Stammspieler. Dass wir trotzdem oben geblieben sind, das ist sensationell.


    kicker: Sensationell schlug auch Sami Hyypiä ein. Hatten Sie mit dieser Leistung, zumal er schon Mitte 30 ist, gerechnet?


    Völler: Ja, weil Sami seit vielen Jahren auf hohem Niveau spielt. Er ist ja nicht nur ein Kopfballspieler oder ein Zerstörer. Er schlägt Pässe über 50 Meter – mit beiden Füßen. Die kommen wie an der Schnur gezogen. Er ist ein ganz moderner Verteidiger, kommt ohne Fouls aus und genießt bei uns höchsten Respekt. Aber auch Toni Kroos, Stefan Reinartz, Eren Derdiyok oder Daniel Schwaab entwickelten sich überaus positiv.


    kicker: Welche Rolle spielte Jupp Heynckes bei dieser Entwicklung?


    Völler: Der Jupp hatte ja immer ein Faible für junge Spieler. Deshalb habe ich mir nie Sorgen gemacht, dass es nicht passen könnte mit ihm. Er ist ja auch keiner, der mit einem ganzen Team den Job macht. In dieser Frage konnte ich ihn dann schnell davon überzeugen, welchen Wert Peter Hermann in Leverkusen als Co-Trainer besitzt. Es hat zum Glück alles gepasst.


    kicker: Wie sehr überrascht Sie sein Erfolg?


    Völler: Nicht sehr. Dass die Qualität im Kader stimmt, so weit waren wir ja schon in der vergangenen Saison. Da standen wir nach 13 Spieltagen auf Platz eins. Das war kein Zufall. Zufällig stehst du nach drei oder vier Spieltagen mal ganz oben, aber nicht nach 13. Aber nach der Analyse der Rückrunde sahen wir uns gezwungen, einen erfahrenen, ruhigen Trainer zu verpflichten. Den Jupp habe ich immer geschätzt, der besitzt eine gute Ausstrahlung und hat während der Zeit in München gezeigt, dass das innere Feuer noch brennt.


    kicker: Stichwort „inneres Feuer“. Das Jahr 2010 bringt nicht nur eine Weltmeisterschaft. Auch für Sie wird es spannend – Rudi Völler wird im April 50. Eine besondere Zahl für Sie?


    Völler: Mit Geburtstagen gehe ich um wie mit der Tabellenführung – völlig relaxt! Als wir jung waren, haben wir in Fünfzigjährigen alte Menschen gesehen. Aber das war eine andere Generation, eine, die viel mehr mitmachen musste. Uns ist der Krieg erspart geblieben, Gott sei Dank.


    kicker: Und, wie lange brennt Ihr inneres Feuer noch?


    Völler: Schwer zu sagen. Für mich gibt es keinen Termin. Als ich 26 war, da habe ich mir nicht vorstellen können, noch zehn Jahre Fußball zu spielen. Aufgehört habe ich mit 36. Die Sache hier in Leverkusen ist mir sehr ans Herz gewachsen. Ich arbeite total gerne hier. Ich fühle mich wie ein Stück Bayer. Ich war Spieler, Sportdirektor, Trainer – es hat immer alles gepasst. Es gibt keine Planung über Bayer hinaus.


    kicker: Es gibt auch nicht die Tendenz Richtung Rom?


    Völler: Diese Stadt wird immer eine Rolle in meinem Leben spielen. Ich fühle mich als halber Römer, es ist meine Lieblingsstadt und die schönste Stadt der Welt, keine Frage! Aber ich fühle mich hier in Leverkusen superwohl und arbeite, wie gesagt, sehr gerne hier.


    kicker: Der Trainer Völler gehört endgültig der Vergangenheit an?


    Völler: Grundsätzlich ja. Ich kann mal einspringen, kurzfristig. Aber für längere Zeit auf keinen Fall. Diese Leidenschaft habe ich nicht.


    kicker: Denken Sie noch oft an Ihre Zeit als Teamchef zurück?


    Völler: Natürlich. Es war eine tolle Zeit, eine große Aufgabe. Und die Arbeit beim Verband unterscheidet sich doch von der im Klub. Das ist so eine Mischung aus Trainer und Sportdirektor.


    kicker: Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft in Südafrika?


    Völler: Deutschland gehört zu den fünf oder sechs Mannschaften, die den Titel holen können.


    kicker: Michael Ballack sieht das offensichtlich anders, beklagte zuletzt im kicker-Interview fehlende Klasse und Konstanz …


    Völler: Ich denke, da wollte der Michael ein bisschen provozieren, kitzeln, einen Weckruf starten. Das ist ja auch okay und sein gutes Recht. Die Top-Favoriten heißen Spanien und Brasilien. Aber wir sind vorne dabei. Es kommt auch immer darauf an, wer wann auf wen trifft. Die Vorrundengruppe halte ich für mittelschwer, aber bei voller Konzentration ist das machbar.


    kicker: In knapp zwei Wochen beginnt die Rückrunde, am 8. Mai ist der letzte Saisonspieltag …


    Völler: Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen! Da fehlt mir jegliches Verständnis. Weil die UEFA das Champions-League-Finale auf einen Samstag legt, muss ganz Europa eine Woche früher aufhören! Wegen zwei Mannschaften! Unfassbar. Bei allem Respekt vor diesem Endspiel, wir haben ja selbst mal drin gestanden und das genossen, diese Einzigartigkeit. Aber dass man jetzt im Winter die Leute ins Stadion holt und im Mai die Termine nicht sinnvoll nutzt, das ist eine ungesunde Entwicklung.


    kicker: Wie reagiert Bayer darauf?


    Völler: Es wird darauf hinauslaufen, dass wir die Saison verlängern, über die Dörfer tingeln oder ins Ausland gehen. In einer dermaßen langen Pause verlieren ja gerade die Spieler, die nicht für die WM nominiert sind, komplett den Rhythmus. Das ist wieder eine Entscheidung der UEFA-Exekutive, die überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Fußball ist ein Sommersport, und im schönsten Monat überhaupt, dem Mai, kann in ganz Europa nicht mehr gekickt werden, weil einige Herren der Meinung sind, das Champions-League-Finale müsse an einem Samstag gespielt werden. Das geht mir nicht in den Kopf.
    INTERVIEW: FRANK LUßEM





    Quelle: kicker-Printausgabe vom 04.01.2010