Schalke und Bayer können Meister werden
Sie gelten als die ewigen Zweiten: Bayer 04 Leverkusen und der FC Schalke 04 starten auf Platz 1 und 2 in die Rückrunde. Wir zeigen auf, warum es in diesem Jahr endlich mit dem lange ersehnten Titel klappen kann.
Die jüngere Vereinsgeschichte von Bayer Leverkusen und dem FC Schalke 04 ist durch einen Klub verbunden, der mittlerweile in den Niederungen der dritten Liga herumkrebst. Vor knapp zehn Jahren war eine kleine Sportvereinigung aus dem Münchner Süden binnen zwölf Monaten zwei Mal an der Ausformung tiefer Traumata beteiligt – einmal unmittelbar, einmal indirekt. Kommt das Wort »Unterhaching« in Leverkusener Kreisen dem Asterixschen »Alesia« gleich, ist die größte Schalker Niederlage eher mit dem Namen »Andersson« verbunden. Doch auch bei der niederschmetternden Fernniederlage der Knappen gegen den FC Bayern lautete der Gegner Unterhaching.
Die verlorenen Generationen
Der 20. Mai 2000 und der 19. Mai 2001 stehen in den jeweiligen Vereinschroniken stellvertretend für eine verlorene Generation. Verloren deshalb, weil trotz hoher Ambitionen und bester Aussichten kein einziger Meistertitel eingefahren wurde. In dieser Zeit wurde das hässliche Wort »Vizekusen« geboren. In Schalke entwickelte man den nicht minder deprimierenden Euphemismus »Sieger der Herzen«. Unterm Strich bleibt der abgedroschene, aber traurig-wahre Sinnspruch, der direkt aus dem Munde von Charles Darwin zu kommen scheint und demzufolge der Zweite der erste Verlierer ist.
2010 aber ist das Jahr, in dem alles anders werden kann. Von Schröder bis Favre schließlich wurden unzählige politische wie sportliche Prognosen und Zäsuren mit dieser Zahl betitelt. Es muss also einfach etwas Bahnbrechendes passieren in den nächsten zwölf Monaten. Die Anhänger des Herbstmeisters aus Leverkusen und des Tabellenzweiten Schalke 04 setzen darauf, dass das endlose Warten ein Ende hat. Die Chancen stehen nicht schlecht.
Der biedere Meistermacher
Bei Bayer Leverkusen ist - polemisch formuliert - der Hauptgrund für den angebrachten Optimismus die Tatsache, dass nicht mehr Bruno Labbadia auf der Trainerbank sitzt. Seit dem Sommer leitet nicht der sprunghafte Jungcoach, der den Konstanznachweis noch erbringen muss, sondern ein besonnener Alttrainer die sportlichen Geschicke der Werkself. Da man Jupp Heynckes' Besonnenheit schon immer gerne als Biederkeit ausgelegt hat, schwante den Beobachtern vorab nichts Gutes. Doch allen Unkenrufen zum Trotz spielt Bayer unter »Don Jupp« genauso erfrischend wie zuvor – und offenbart dabei eine ganz erstaunliche Beständigkeit.
Heynckes weiß, wie man als Trainer Deutscher Meister wird. Das unterscheidet ihn, plump gesagt, von Toppmöller, Skibbe und Labbadia. Ja, er weiß sogar, wie man es zwei Mal hintereinander wird. Zwanzig Jahre ist das her, das ist schon richtig, und, ja sicher, mit dem FC Bayern standen auch viele andere Trainer am Saisonende ganz oben – dennoch spricht einiges dafür, dass Jupps väterliche Ruhe in Paarung mit dem jungenhaften Enthusiasmus seiner Schützlinge das Zeug zur meisterlichen Mischung hat. Anders gesagt: Heynckes' Vergangenheit könnte Bayers Zukunft sein.
Ein Triumvirat namens Magath
Felix Magath, der erstaunlicherweise nur acht Jahre jünger ist als Heynckes, weiß ebenfalls, wie man Meister wird. Magath ist drauf und dran, die Schalker, die seit über einem halben Jahrhundert auf die nächste Schale warten, endgültig im Hier und Jetzt der Erfolgreichen zu etablieren. Der Trainer des Jahres 2009 scheint im Zenit seines Schaffens. Als Übungsleiter, Manager und Finanzchef in Personalunion stellt Magath selbst das mächtigste Triumvirat dar, das die Bundesliga je gesehen hat. Dass er mit dieser Machtfülle umzugehen weiß, bewies der Mann, der als Aktiver wie als Coach drei Meisterschalen gestemmt hat, bei seiner letzten Station, von der er sich im Sommer mit seinem sechsten nationalen Titel verabschiedete.
Abstürze in der Rückrunde – an Rhein und Emscher hat man sie zur Genüge erlebt. Eine begeisternde Hinrunde hinlegen ist das eine, Zunge zeigen und oben bleiben das andere. Nicht nur die beiden notorischen Zweiten, auch Toppis Traumtänzer zerbrachen einst ebenso an der Last des Erfolgs wie Hoffenheims Herbstmeister vor Jahresfrist. Sind es am Ende doch ausschließlich die Trainer, die Erfolg und Misserfolg herbeiführen, mit feinem Schräubchendrehen und gekonnten Psycho-Kniffen?
Ungeachtet dieser Frage, auf die es keine Antwort gibt, stapelte Meistermacher Magath unlängst tief, begab sich aber gleichzeitig für »das Erreichen des internationalen Geschäfts« munter auf Einkaufstour. Aus Leverkusen dagegen vernimmt man lautere Töne. Bayers junge Generation, unbeteiligt an vergangenen Enttäuschungen, will die Geschichte umschreiben. »Dieses ewige Vizekusen geht mir auf den Sack«, stellte Gonzalo Castro dieser Tage klar. Und selbst der ewig moderate Heynckes erklärte: »Von da oben muss man uns erst einmal wegholen.«
Am Ende kann sich die Geschichte natürlich auch wiederholen. Dann nämlich, wenn das eintritt, was 14 der 18 Bundesligatrainer prognostizieren, und der FC Bayern München zum 22. Mal die Meisterschale in Empfang nimmt. Doch bis dahin dürfen Zehntausende im Westen Deutschlands mit allem Recht der Welt an ein kleines Fußballwunder glauben. Unterhaching ist als Elfter der Dritten Liga schließlich weit, weit weg vom Titelkampf.