Besser als Heynckes und Kalle Rummenigge

  • Leverkusens Trainer muss sich ziemlich anstrengen, um seine nervenstarken Jungprofis noch zu kritisieren


    Leverkusen – Bayer Leverkusens derzeit größtes Problem verließ mit dem Versuch eines Lächelns den Platz. Patrick Helmes verabschiedete sich mit Handschlag von einem Kollegen, dann trottete er in seiner dicken, langen Jacke Richtung Ausgang, und der tapfere Versuch des Lächelns verschwand sofort aus seinem Gesicht. Er hat wieder nicht mitspielen dürfen bei Bayer Leverkusen, und allmählich geht ihm das auf die Nerven. Er hat dazu keine öffentliche Erklärungen abgegeben, aber seine Miene machte jedes Wort überflüssig. Und worüber sollte er sich beklagen? Sollte er sagen: Schon wieder hat die Mannschaft nur 3:1 gewonnen, weil ich nicht dabei war?


    Mit den Rückkehrern Simon Rolfes, Renato Augusto und Patrick Helmes wird Bayer Leverkusen noch stärker, hat es vor dem Start in die Rückrunde geheißen, und kein Mensch hat die Wahrheit dieser Vorhersage bezweifelt. Aber bisher behält Jupp Heynckes seine Trümpfe in der Reserve – er hat einfach keine Verwendung für sie. Dem Flügeltrickser Renato Augusto, nachweisbar ein brasilianischer 1a-Import, gönnte der Trainer beim Sieg gegen Freiburg am Sonntag ein Gastspiel in der Nachspielzeit; Nationalspieler Helmes kam nur beim Warmlaufen in Bewegung; und der Nationalspieler Rolfes hat sich gleich wieder in den Krankenstand abmelden müssen, was in Leverkusen zunächst vor allem als persönliches Unglück gewertet wird: Sicher wird der Tag kommen, da ihn die Mannschaft dringend brauchen könnte, doch dieser Tag scheint derzeit in einer fernen, dunklen Zukunft zu liegen.


    Jupp Heynckes hat seine ideale Mannschaft gefunden, und diese Mannschaft hat ihr ideales Spiel gefunden. Das mag sich bereits herumgesprochen haben, aber es war auch beim Auftritt am Sonntag die zentrale Lehre. Der Trainer fand Raum für Kritik, doch er musste sich dafür ziemlich anstrengen. Zuerst machte er dem holprigen Rasen Vorwürfe, und dann monierte er allen Ernstes: „Wir müssen lernen, beim Stand von 3:0 das 4:0 nachzulegen. Dann kann man es ruhiger angehen.“ Dem Freiburger Trainer Robin Dutt sollte das wie Hohn in den Ohren geklungen haben, er musste sich ja bereits damit trösten, dass seiner Elf der erste Treffer nach 465 torlosen Minuten gelungen war. Immerhin blieb ihm noch der Hinweis, dass der ansehnlich spielende Sportclub die Partie beinahe 1:0 gewonnen hätte – wenn es nicht dies schlimmen fünf Minuten vor der Pause gegeben hätte, in denen der Gegner 3:0 davonzog. „Diese fünf Minuten haben die besondere Qualität von Bayer Leverkusen bewiesen“, sagte Dutt, er klang nicht neidisch, sondern bewundernd.


    Tatsächlich bezeugte diese kurze, entscheidende Phase in komprimierter Form die Vorzüge des Tabellenführers. Das 1:0 beispielsweise entwickelte sich aus einer Szene, die keine Gefahr für die Freiburger zu erkennen gab: Kroos führt den Ball im Zentrum, scheinbar beiläufig schiebt er ihn rüber zu Barnetta, das Passtempo gerade so dosiert, dass der Schweizer aus der nächsten Bewegung heraus eine geschwungene Flanke schlagen kann, und dann setzt sich Kießling in der Mitte gegen zwei Gegner durch und köpft die Kugel in die Ecke. Dieses 13. Saisontor hatte er ersehnt wie kaum einen Treffer vorher. Seit November hatte er darauf warten müssen, es zeichnete sich bereits die Tendenz zur Torschussneurose ab, entsprechend erlöst verließ er den Schauplatz. „Zum Glück ist diese torlose Phase vorbei“, erklärte Kießling, es kam von Herzen. Patrick Helmes dürfte in diesem Moment realisiert haben, dass er noch eine Weile warten muss aufs Comeback.


    Jupp Heynckes wurde dann noch mehrfach und gewohnt penetrant darum gebeten, dem FC Bayern den Titelkampf anzusagen, aber darauf hat der Trainer gar keine Lust. Er macht seiner Mannschaft lieber viele schöne Komplimente: „Als ich 20 war oder auch der Kalle Rummenigge, da haben alle davon gesprochen, dass das eine goldene Generation sei. Aber es ist Wahnsinn, phantastisch, auf welchem Niveau meine Jungs Fußball spielen. Auf diesem Niveau waren wir damals nicht.“


    Philipp Selldorf


    Süddeutsche Zeitung, Printausgabe vom 02. Februar 2010