Vancouver
Olympische Frühlingsspiele
Von Stephan Klemm, 11.02.10, 21:14h, aktualisiert 11.02.10, 21:21h
Die 21. Olympischen Winterspiele in Vancouver stehen kurz vor ihrer Eröffnung - erstmals nicht unter freiem Himmel, sondern unter dem geschlossenen Dach eines Football-Stadions. Die Stadt ist bereit und aufgeregt.
VANCOUVER - In der Stadt am Pazifik tragen die Menschen mittags Sonnenbrillen und T-Shirts, Joggern reichen kurze Hosen, Osterglocken blühen und Tulpen werden gepflanzt. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, 15 Grad. Im Februar, kurz vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele am Freitag. Die Einwohner von Vancouver an Kanadas Westküste freuen sich über diesen Frühlingsansatz. Aber sie sind auch ein bisschen verunsichert über die Wirkung, die der Dreisatz Frühling, Vancouver und Olympische Winterspiele, das teure Projekt, wohl so hinterlässt.
Letztlich ist es aber egal. Winterspiele in der Großstadt bedeuten Hallensport auf Eis, und der könnte auch in Dubai funktionieren. Wichtig ist die Kombination mit einem Wintersportgebiet, denn niemand erwartet in Vancouver Langlauf in den Schluchten der städtischen Hochhäuser oder Skispringen von einer Pazifik-Brücke. Vancouvers Winterfront existiert natürlich, Whistler liegt in den Coast Mountains, 130 Kilometer im Norden.
In der kleinen, 10.000 Einwohner zählenden Stadt in den Bergen werden die meisten Ski-Wettbewerbe ausgetragen. Hier tragen die Menschen Mützen und Handschuhe, noch am Mittwochmittag hat es kräftig geschneit. Nebel und der weiße Niederschlag haben einen Abbruch des Trainings für die Männerabfahrt auf den Pisten von Whistler-Creekside provoziert. Die Skispringer wiederum haben oben im Whistler Olympic Park trotz allem ein paar Übungs-Durchgänge absolviert. Schnee ist also da, die Kälte auch, Wintersport ist möglich, das Vancouver-Whistler-Konzept geht auf, natürlich.
Am Freitag um 18 Uhr Ortszeit (in Deutschland ist es dann drei Uhr in der Nacht zu Samstag) werden die 21. Olympischen Winterspiele in Vancouver unter dem geschlossenen Dach eines Football-Stadions eröffnet und damit erstmals nicht unter freiem Himmel. Das BC Place Stadion wird mit 60.000 Zuschauern ausverkauft sein. Die Stadt ist bereit und aufgeregt, Hochhäuser sind mit gigantischen olympischen Sportmotiven verziert, von riesigen Bildschirmen im Stadtzentrum grüßen Kanadas Goldhoffnungen, jeder Laternenpfahl hat einen Wimpel mit dem Vancouver-2010-Logo erhalten. Vor den Ticketschaltern gibt es lange Schlangen, der offizielle Olympia-Shop, der eine ganze Etage in einem großen Kaufhaus einnimmt, ist überfüllt.
Bühnen in den Fußgängerzonen
In Whistlers Fußgängerzone sind Bühnen aufgebaut, überdimensionale olympische Ringe zeigen, wer für diese Party verantwortlich ist, auch hier sind die Laternenpfähle geschmückt. „Der olympische Geist ist da, wir spüren ihn“, sagt John Furlong, der Chef des Organisationskomitees Vanoc.
Am Samstag beginnen die Wettkämpfe oben in Whistler und unten in den Hallen. „Wir sind nun so weit, es ist gut, dass jetzt endlich alles anfängt“, sagt Furlong. Seit Monaten beginnt sein Arbeitstag um vier Uhr morgens, er endet sehr spät. Es gibt noch ein paar Problemfälle.
Im Juli 2003 gab das IOC nach Montreal 1976 (Sommer) und Calgary (1988) zum dritten Mal einer kanadischen Stadt den Zuschlag zur Ausrichtung von Olympischen Spielen. Doch die Kosten wurden größer als geplant, das Budget für die Durchführung der Spiele wurde mehrfach angehoben, es liegt nun bei 1,15 Milliarden Euro. Darin ist nicht die Summe von rund 400 Millionen Euro enthalten, die der Neubau und die Instandsetzung der Wettkampfstätten verschlungen haben; bezahlt haben diese Rechnung nahezu ausschließlich der Staat und die Provinz British Columbia. Beide tragen auch die Kosten für das Sicherheitsbudget - 665 Millionen Euro; beide bezahlen die Erweiterung des Skytrain-Netzes vom Flughafen ins Stadtzentrum - 1,2 Milliarden Euro; und beide kommen für den Ausbau des wundervollen Sea-to-Sky-Highways auf, der von der Stadt hinauf nach Whistler führt - 400 Millionen Euro. Stadträtin Ellen Woodsworth sagt dazu: „Das ganze Geld floss in olympische Projekte, aber wir haben so viele andere Probleme.“ Sie meint akute Wohnungsnot und „Downtown Eastside“, das Elendsviertel mit Prostitution und Drogenkriminalität.
8000 Euro die Stunde
Sorgen macht aber auch Cypress Mountain, der Hausberg der Stadt. Erst am Mittwoch hat es oben in West-Vancouver ein bisschen geschneit. Dort finden die Wettbewerbe im Snowboard, Ski-Cross und im Trickski statt. Zuletzt hat es stattdessen viel geregnet, Vanoc organisierte wochenlang Schneetransporte aus den Bergen - mit Lkws und Hubschraubern, Kostenpunkt: 8000 Euro die Stunde. Und schließlich haben noch Olympia-Gegner Proteste während der Eröffnungsfeier angekündigt.
Auch in Whistler gibt es Olympia-Ärger, auch dort geht es um mehr Kosten, die die Einwohner in Form von erhöhten Rechnungen tragen müssen. Außerdem befindet sich die Betreibergesellschaft des Skiressorts Whistler Blackcomb, das durch eine Gondel verbunden ist, in finanziellen Schwierigkeiten. Am 19. Februar, mitten in der Wettkampfphase, sollen beide Areale - zusammen das größte Skigebiet Nordamerikas - zum Verkauf ausgeschrieben werden. Die Spiele sind davon nicht betroffen, aber in Whistler weiß man nicht, was das für die Zukunft bedeutet.
Furlong beschwichtigt alle Kritiker, die Kosten würden auch einen Nutzen haben, niemand könne zum Beispiel etwas gegen ausgebaute Verkehrswege haben. Und den Protest gestattet er ausdrücklich, allerdings nur in festgelegten Sicherheitszonen.
Die olympische Flamme ist auf dem Weg in die Stadt, wenn sie das Feuer im BC Place entzündet, hat sie 45 000 Kilometer quer durch Kanada hinter sich. Es war der längste inländische Fackellauf der olympischen Geschichte. Das Tragen und die Begleitung der Fackel hat den Kanadiern aus allen Regionen des Landes viel Freude bereitet. Das ist eine positive Botschaft. Furlong freuen solche Nachrichten. Sie lenken den Blick auf das Wesentliche. Die Spiele. Die Stadt. Den Start.
Vor zwei Tagen hat Jacques Rogge, der belgische Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Furlong einen Gefallen getan. Er hat Vancouver und sein olympisches Abenteuer schon vor dem Beginn gelobt: „Es werden großartige Spiele.“