SPIEGELonline: Stiller Star im Sturm

  • Leverkusens Torjäger Kießling


    Stiller Star im Sturm


    Von Christoph Ruf


    Viele halten Stefan Kießling für den derzeit besten deutschen Stürmer. Das könnte auch daran liegen, dass er auf Kritik immer schon anders reagiert hat als viele Altersgenossen - ein womöglich entscheidender Vorteil im Kampf um ein WM-Ticket.


    René Adler war schuld, zumindest ein kleines bisschen. Im Winter 2005 riet der damalige Leverkusener Ersatztorwart seinem Kollegen Stefan Kießling von der U-21-Nationalmannschaft eindringlich zu einem Wechsel nach Leverkusen. Viele junge Spieler gebe es dort, man unternehme auch privat gerne etwas zusammen. Kießling, der gerade in seinem zweiten Bundesliga-Jahr mit dem 1. FC Nürnberg steckte, hörte das gerne.


    Leverkusen, sagte er damals, sei "der nächste logische Schritt" in seiner Karriere. Allerdings hatte der zu diesem Zeitpunkt 22-Jährige noch niemals außerhalb Frankens gewohnt. Die Worte des Kollegen Adler, die ein wenig Heimeligkeit in der Fremde verhießen, hörte er also nicht ungern. Kießling wechselte für sechs Millionen Euro an den Rhein.


    Heute, gut vier Jahre später, sind Adler und Kießling zwei der wichtigsten Spieler in einer Mannschaft, die die Bundesliga in Staunen versetzt. Der Tabellenführer spielt einen schnellen und doch intelligenten, wohldosierten Angriffsfußball. Vor allem aber macht er nicht die geringsten Anstalten nachzulassen - das Unentschieden in Bochum vergangene Woche war das erste Spiel in der Rückrunde, das die Mannschaft nicht gewann. Daran, dass Bayer Leverkusen immer wieder nur ein paar Wochen lang für Aufsehen sorgt, hat man sich hierzulande ja gewöhnt.


    Genau so wie an die eherne Regel, wonach 17 Mannschaften Deutscher Meister werden können, nur nicht Leverkusen. Anno 2000, als Bayer am letzten Spieltag in Unterhaching den Meistertitel verspielte, war Kießling 16. Nun stehen die Chancen auf den Titel erneut gut. "Von unserer jungen Mannschaft erwartet ja keiner, dass sie Meister wird", sagt Kießling.


    Treibjagd mit Platzpatronen?


    Ob das stimmt? Dass die Leverkusener in diesem Jahr tatsächlich ihr Deppen-Image ablegen könnten, scheinen nicht nur die Münchner zu ahnen. Deren Präsident Uli Hoeneß schickte seinem Freund Jupp Heynckes laut "Kicker" Ende Januar eine SMS, in der vom "Halali" auf den Tabellenführer die Rede war. Heynckes fragte öffentlich und angemessen selbstbewusst zurück, womit die Bayern denn zur Jagd blasen wollten: "mit Platzpatronen?" Bevor es die Spieler in Leverkusen tun, haut der Chef einen Spruch raus. So kann sich die Mannschaft auf das konzentrieren, was sie am besten kann.


    Zu den größten Stärken von Stefan Kießling gehört seine Lernfähigkeit. Zwar gibt es in der jüngeren Profigeneration kaum einen, der nicht ständig betonen würde, wie bereitwillig er jeden Tag dazulerne. Doch bei Kießling ist das mehr als eine vom Medienberater implantierte Floskel.


    Es gab so einiges - Ballfertigkeit, Kopfballspiel, taktisches Verhalten - was Hans Meyer, sein Trainer beim Club, an ihm zu kritisieren hatte. Meyer wurde in Nürnberg auch deswegen gefeuert, weil junge Spieler seinen Umgangston kritisierten. Kießling hingegen lässt noch heute nichts auf den Thüringer kommen: "Ungerecht war seine Kritik nie. Er hat uns junge Spieler halt hart hergenommen, gezeigt, wo wir noch dazulernen können." Also lernte Kießling, dem damals recht viele Bälle versprangen. Heute ist er der ideale Stürmer im auf Ballsicherheit basierenden Leverkusener Spiel. Seine Schnelligkeit und seine Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor hat sich Kießling nämlich auch bewahrt.


    Keiner, der für Unruhe sorgt


    Dass ihn Kommentatoren für den derzeit besten deutschen Stürmer halten - dazu schweigt Kießling und genießt. "Warum soll ich großartig was sagen? So ein Typ bin ich nicht."


    Als ganz Deutschland sich fragte, warum ihm im Länderspiel gegen Finnland selbst der Stuttgarter Cacau (Zwei Saisontore in 14 Spielen) vorgezogen wurde, schwieg er ebenfalls - ein paar Wochen später wurde er gegen die Elfenbeinküste nominiert. Danach bescheinigte ihm Joachim Löw ein "sehr, sehr gutes Spiel".


    Und Kießling findet rückblickend, dass es kein Fehler war, die Nominierungspraxis nicht kommentiert zu haben: "Im Endeffekt war's gut so." Wie so vieles in den vergangenen Jahren. Genau diese Zurückhaltung könnte ihm den entscheidenden Vorteil im Kampf um ein WM-Ticket bringen. Kießling ist keiner, der für Unruhe sorgt, wenn er nur auf der Tribüne sitzt.


    Unheilbare Fußballsucht


    Dabei ist längst nicht alles glatt gegangen in seinem Leben. Noch als Jugendlicher war er klein und schmächtig, heute trägt der 26-Jährige Schuhgröße 49. "Irgendwann in der C-Jugend habe ich dann überhaupt nicht mehr aufgehört zu wachsen", sagt Kießling. Zu allem Unglück wuchs ein Bein schneller als das andere, das Knie machte Probleme. Noch heute sei er "ein bisschen schief", sagt er. Die Zwangspause damals fand er schlimm. 1997 sagte ihm sein Arzt, dass er ein Jahr lang kein Fußball mehr spielen dürfe. Er fühlte sich, als habe man ihn unschuldig hinter Gitter gebracht.


    Der Mann scheint fußballsüchtig. Bei einem Schulpraktikum half Kießling, der bei Eintracht Bamberg spielte, zwei Wochen lang in einem Restaurant. Das Kochen machte ihm so viel Spaß, dass er daraus einen Beruf machen wollte. Der freundliche Hinweis des Küchenchefs, da müsse er wohl künftig öfter mal das Training sausen lassen, erschütterte Kießling bis ins Mark: "Ich habe nur kurz in die Runde geschaut, habe ihm die Hand gegeben und bin gegangen."


    Mutter Kießling, die beim Vorstellungsgespräch dabei war, musste die Wogen glätten, sie wusste ja um die Prioritätenliste ihres Sohnes. Dass sie ihm nie das Fußballspielen verbat, selbst als sie ihn beim Schuleschwänzen erwischte, rechnet er ihr heute noch hoch an. "Sie wusste, dass das mein Leben ist."

    C. Streich: "Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber ich fühle mich nicht als Deutscher. Ich bin ein Mensch, der einen Pass hat, in dem deutsch drin steht"
    Möge die Macht mit Bayer04 sein!