Barnetta: Zu groß für die Bettwäsche

  • Tranquillo Barnetta im Porträt


    Bei Bayer Leverkusen spricht alles von Toni Kroos, Sami Hyypiä und Stefan Kießling. Dabei ist Tranquillo Barnetta so etwas wie der heimliche Star des Teams - und das, obwohl er vor schon fast weg war. Für den kommenden Sommer hat der Schweizer zwei klare Ziele.


    Im vergangenen Sommer wollte Tranquillo Barnetta schon alles hinwerfen. "Die Chancen sind groß, dass ich Bayer Leverkusen verlasse", sagte der Schweizer im Mai konsterniert. Barnetta haderte damals mit Trainer Bruno Labbadia, der ihn im Bundesliga-Endspurt aus der Startelf verbannt hatte. Ohne Begründung, ohne Gespräch, wie Barnetta bekannte.


    "Ich freue mich auf ein neues Land. Ich bin optimistisch, dass ich einen Klub finde, wenn ich in die Offensive gehe", sagte er damals. Knapp neun Monate später ist Barnetta immer noch in Leverkusen. Und der Schweizer spielt vielleicht die Saison seines Lebens, steht mit Bayer vor dem ganz großen Ding. Zumindest vor dem Champions-League-Einzug.


    Heynckes wollte ihn unbedingt halten


    Doch was ist im Sommer passiert? Warum entschied sich Barnetta doch noch, zu bleiben? Immerhin wurde sein Name auch im Dunstkreis von Juventus Turin und dem FC Arsenal genannt. Beide spielten diese Saison Champions League, Leverkusens Auftritte sind auf Deutschland beschränkt.


    Als banale Erklärung muss der Trainerwechsel herhalten. Denn Jupp Heynckes schenkte Barnetta von Anfang an sein Vertrauen. Schon vor dem Trainingslager in Borkum meinte Heynckes: "Ich plane mit ihm, er hat mehr Potenzial als er bisher abgerufen hat. Er ist ein sehr talentierter Spieler, sehr schnell, dribbelt vertikal. Ich würde ihn ungern verlieren. Wenn man eine sehr junge Mannschaft zusammen bekommen hat, darf man die Eckpfeiler nicht verlieren."


    In der Form seines Lebens?


    Barnetta zahlt das neu in ihn gesetzte Vertrauen jetzt Woche für Woche zurück. In allen 22 Saisonspielen stand der 24-Jährige in der Startelf und steuerte bislang vier Tore und neun Vorlagen zum Höhenflug bei. Seine Bundesliga-Bestmarken stehen bei sechs Toren bzw. zehn Vorlagen.


    Seit dem Rückrundenstart reiht der 24-Jährige einen bärenstarken Auftritt an den anderen. Tor gegen Mainz. Tor in Hoffenheim. Assist gegen Freiburg. Bester Mann gegen Wolfsburg. Es läuft bei Bayer, es läuft bei Barnetta.


    Sucht man nach Gründen für sein Leistungshoch, stolpert man als erstes über Heynckes' Systemumstellung von Labbadias 4-1-3-2 der Vorsaison auf ein 4-4-2 mit Doppelsechs.


    Von zwei Staubsaugern abgesichert, genießt Barnetta auf der rechten Seite alle Freiheiten, und darf, wann immer er es für nötig hält, in die Mitte ziehen, um den Torabschluss zu suchen oder um die Stürmer zu bedienen. Dazu kommen seine präzisen Standards.


    "Er hat massiv Zug zum Tor, kann halblinks und halbrechts spielen, kann sich durchsetzen, Bälle hinter die Abwehr spielen. Er zieht gerne nach innen, hat einen guten Schuss. Er ist nahezu ein kompletter Spieler", lobt ihn sein Ex-Trainer Ewald Lienen bei SPOX.


    Der Beste seit Sutter


    Bis zur Labbadia-Episode verlief Barnettas Karriere steil nach oben. Als 11-Jähriger wechselt er zum FC St. Gallen, mit der Schweiz wird er U-17-Europameister, 2004 darf er dann bei den Großen bei der EM in Portugal teilnehmen und wagt anschließend den Sprung in die Bundesliga.


    In der Schweiz gilt er schnell als Nachfolger von Alain Sutter - so einen Offensivspieler hatten die Eidgenossen seit dem Ex-Bayern nicht mehr gesehen. "Wir wollten ihn haben, aber Leverkusen war schneller", sagt Lienen heute. Der Trainer leitete damals die Geschicke bei Hannover 96. Barnetta entschied sich für Leverkusen, wurde aber immerhin ein Jahr an 96 ausgeliehen.


    "Es war von Anfang an absehbar, dass er einen guten Weg machen wird. Er hat damals schon alles mitgebracht", so Lienen.


    Eine historische Pleite


    Allerdings musste der Schweizer auch ein paar Rückschläge in seinem Leben einstecken, sportlich wie physisch. 2002 verliert er mit St. Gallen gegen den FC Wil mit dem Rekordergebnis von 3:11 - die ganze Schweiz lacht sich über sein Team kaputt.


    2004 reißt im WM-Qualifikationsspiel gegen Israel nach einem Foul sein Kreuzband, Barnetta kommt in Hannover nur sieben Mal zum Einsatz. Heute sagt er: "Die Verletzung hat mich noch stärker gemacht. Sie hat mir gezeigt, wie schnell man wieder unten sein kann und welches Glück ich habe, dass ich Fußballprofi sein kann."


    2006 trifft er bei der WM im Achtelfinale gegen die Ukraine im Elfmeterschießen nur die Latte, die Schweiz scheidet aus. Zum Buhmann wird er dennoch nicht. Zum einen, weil neben Barnetta auch Marco Streller und Ricardo Cabanas verschossen.


    Der Traum aller Schwiegermütter


    Zum anderen, weil der bescheidene Barnetta keinen Anlass gibt, ihn zu hassen. Er ist so was wie der Traum aller Schwiegermütter. Als "sehr angenehm" hat Lienen den jungen Barnetta empfunden, als "charakterstark, mit beiden Beinen auf dem Boden". Die, die ihn weniger mögen, sagen, er sei langweilig.


    Als er nach Leverkusen wechselt, sucht er sich kein großes, teures Domizil, sondern bezieht eine Drei-Zimmer-Wohnung im Zentrum von Köln, die er vorher selbst im Internet ausgesucht hat. Zum einen, weil in Köln was los ist - zum anderen, weil Barnetta auch heute noch sagt: "In Köln werde ich kaum erkannt, hier interessieren sich die Leute hauptsächlich für die Kicker vom FC."


    Seine Bodenständigkeit haben ihm seine Eltern mit auf den Weg gegeben. Vater Tranquillo senior ist als Berater seines Sohnes stets zur Stelle und gehört dabei zu der angenehmeren Vater-Berater-Sorte. Die, die nicht ständig in den Medien posaunt, der Sohn würde gerne morgen bei Real und übermorgen bei Barcelona spielen.


    Von der Bettwäsche zur Meisterschale


    Bevor Barnetta bei St. Gallen seinen ersten Profi-Vertrag unterschrieb, absolvierte er eine Lehre bei einem Textilunternehmen, Fachbereich Bettwäsche. "Er musste Schule, Lehre und Fußball unter einen Hut bringen. So hat er gelernt, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen", sagte Tranquillo senior der "Schweizer Illustrierten". Bis heute ist Barnetta der Ostschweiz verbunden: "Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl, aber meine Heimat wird immer St. Gallen bleiben."


    Auch wenn es um das Saisonziel mit Leverkusen geht, ist der 24-Jährige bescheiden. Man schaue nur auf Platz fünf, sagte er Anfang Februar in einem Interview mit "FIFA.com".


    Platz fünf? "Wir wollen ins internationale Geschäft, da wir diesen Platz in den vergangenen Jahren immer mal wieder kurz vor Saisonende noch verpasst haben. Für uns wäre es nicht förderlich, an größere Ziele zu denken", sagt Barnetta.


    Von den Saisonzielen unabhängig wird der Schweizer wohl auch noch länger in Leverkusen spielen. Nachdem ihn Heynckes ins Team zurück geholt hatte, hat Barnetta seinen Vertrag bis 2012 verlängert.


    Und dann? "Er hat das Zeug dazu, überall zu spielen", sagt Lienen. Aber vielleicht hat er ja auch in Leverkusen sein Glück gefunden.


    http://www.spox.com/de/sport/f…ynckes-meisterschaft.html

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