Gibt er schon auf oder ist es nur Taktik? Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler (seit 22 Spielen unbesiegt) im Interview
BILD am SONNTAG: Herr Völler, haben Sie schon Angst vor den Schlagzeilen, wenn Leverkusen wieder nicht den Titel holt? Wie 2002, als der Klub nur noch „Bayer Vizekusen“ hieß?
RUDI VÖLLER (49): Ach was, der Vergleich mit dem Jahr 2002 ist nicht fair. Leverkusen hatte damals eine über Jahre zusammengestellte Mannschaft, die absolutes Weltklasse-Niveau hatte – Ballack, Berbatov, Zé Roberto, Lucio, die sind ja heute noch Weltklasse!
Und Bayer 2010?
Hat viele junge Spieler, die alle noch Luft nach oben haben. Das kann man nicht vergleichen. Damals war der Kader einfach doppelt so teuer.
Ist der Erfolg jetzt mehr wert?
Ich will das gar nicht vergleichen. Damals hatten wir andere Voraussetzungen, auch 2000, als wir auch Vizemeister wurden. Die Bayern sind ja jetzt so was von weit weg mit ihren finanziellen Möglichkeiten. Eigentlich können wir uns gar nicht mit Bayern messen.
Mit wem denn sonst?
Mein Lieblingsspruch lautet: Eigentlich kämpfen jedes Jahr zehn Teams um fünf internationale Plätze. Aber das ist ja nicht die Wahrheit.
Sondern?
Ein Platz ist immer für Bayern vergeben, es kämpfen also neun Teams um vier Plätze. Deswegen ärgert es mich immer, wenn es heißt: Bayer hat Angst vor Bayern, Bayer fehlt das Bayern-Gen. Die Wahrheit ist doch, dass die Bayern bei der Kaderplanung ganz andere Finanz-Möglichkeiten haben als andere deutsche Klubs. Bayern hat eine Größenordnung wie Real oder Manchester United – verdientermaßen, weil dort immer gut gemanagt wurde.
Jetzt könnte man sagen: Völler baut schon wieder vor, wenn es nicht klappt mit der Schale!
Blödsinn! Natürlich werden wir alles tun, um vorn zu bleiben. Aber wir wissen, dass die Grundvoraussetzungen anders sind.
it anderen Worten: Wenn alles normal läuft, wird Bayern München in diesem Jahr Meister?
Ja. Die Schlagzahl, die sie vor dem 1:1 gegen Nürnberg hatten, war unglaublich. Aber wir werden uns wehren – und gucken trotzdem zum vierten Platz. Der HSV hat eine klasse Mannschaft. Es ist gut, dass wir da ein bisschen Abstand haben.
Jupp Heynckes zu holen, war offenbar die beste Entscheidung. Sind Sie selbst überrascht?
Er ist eine Vaterfigur für die Spieler, achtet auf Disziplin, hat Riesen-Erfahrung und ist gleichzeitig sehr locker. Das passt perfekt.
Dabei hatte man gedacht, dass er schon aufgrund seines Alters Schwierigkeiten mit den vielen jungen Spielern bekommt …
Ach, hören Sie auf damit! Neulich hat im Fernsehen ein Alt-Internationaler gesagt, dass die Spieler von heute sich nicht mehr quälen, dass sie nichts mehr machen, dieses typische Klischee-Gequatsche ...
Aber stimmt das denn nicht?
Ach was, es ist genau umgekehrt. Die Generation von heute ist viel professioneller als wir damals. Die trainieren und schuften, die tun alles für den Fußball. Du musst heute viel fitter sein als wir früher.
Haben Sie keine Angst, dass der DFB noch Jupp Heynckes abwirbt, falls Jogi Löw seinen Vertrag nicht verlängert?
Ich weiß nicht, was genau in Jupps Lebensplanung steht. Wir würden jedenfalls leiden. Deshalb hoffe ich, dass Jogi Löw bleibt. Er macht einen guten Job.
Obwohl Sie ja häufiger Kritik geübt haben, dass Löw und Bierhoff sich zu sehr einmischen in die Arbeit der Klubs.
Es ist doch so: Die Basis der Nationalmannschaft liegt immer in der Arbeit in den Vereinen. Es ist doch auch nicht so, dass in Spanien der Aragonés als Nationaltrainer den Fußball revolutioniert hat. Er hat in erster Linie von der Top-Ausbildung in den Vereinen profitiert. Und das ist auch bei uns so.
Was kann man denn als Bundestrainer überhaupt verändern?
Es wurden ja in den vergangenen Jahren gute Dinge angestoßen, von Jürgen Klinsmann, von Oliver Bierhoff, von Joachim Löw sowieso. Aber es waren auch in der Klinsi-Zeit schon viele Dinge dabei, die wir in den Vereinen alle schon vorher gehabt haben. Mit einem Unterschied…
… und der wäre?
Dass wir die Sachen nicht hinausposaunt haben. Weil jeder Klub auch ein paar Interna für sich behalten möchte. Aber es ist auch völlig korrekt, wenn die DFB-Nationalelf-Macher für erfolgreiche Dinge gefeiert werden. Doch mir und auch anderen aus der Liga hat es manchmal nicht gefallen, wenn das so von oben herab kam, mit dem erhobenen Zeigefinger. Das störte. Aber ich muss auch sagen: Es ist besser geworden.
Trifft es einen Nationalspieler, wenn er nicht weiß, was mit dem Bundestrainer nach einer WM passiert?
Ach was, überhaupt nicht. Gucken Sie sich den Lippi an, der wurde 2006 sogar Weltmeister mit Italien. Obwohl keiner wusste, was danach kommt.
Aber Löw wollte ja verlängern, die Verhandlungen sind nur gescheitert.
Das ist ein bisschen was anderes, stimmt. Aber eins ist doch klar: Wenn es bei der WM schiefgeht, ist ein Nationaltrainer sowieso weg – ob mit oder ohne Vertrag.
Mit anderen Worten: Eine Ausrede für eine schlechte WM kann die ungeklärte Trainer-Frage nicht sein?
Für die Spieler? Nein, auf keinen Fall.