Bayer Leverkusen ist die einzige Mannschaft in den fünf europäischen Top-Ligen, die noch unbesiegt ist. Vor der Begegnung bei Werder Bremen spricht Sportdirektor Rudi Völler im „ran.de“-Exklusiv-Interview über nervende Vergleiche mit der Bayer-Topelf, die 2002 in drei Wettbewerben nur Zweiter wurde, über den Wert der Bundesliga im Vergleich mit der italienischen Serie A, und über die Personalie Toni Kroos und was Michael Ballack damit zu tun hat.
Herr Völler, Stefan Kießling hat in einem Interview betont, wie sehr ihn das Gerede des Boulevards von Leverkusen als ewigem „Vizekusen“ nervt und gesagt „Wir sind mit Platz zwei zufrieden“...
Die Elf von 2002, auf die solche Bemerkungen mit „Vizekusen“ immer wieder abzielen, ist in keiner Weise mit der von heute zu vergleichen. Die Hälfte der Spieler damals hatte absolute Weltklasse, von z. B. Berbatov und Ballack über Schneider und Lucio bis hin zu Zé Roberto und Nowotny.
Dementsprechend teuer war dieser Kader aber auch...
Genau, er war doppelt so teuer und wir waren damals mit Bayern München nahezu auf Augenhöhe. Seitdem aber hat sich eine Menge verändert. Wir haben deutlich abgespeckt und die Bayern haben in den letzten zwei, drei Jahren noch einmal richtig aufgestockt. Was sie sich auf Grund ihres guten Managements ohne Frage aber auch redlich verdient haben. Der direkte Wettbewerb, in der wir aber heute stehen, der findet nun mit Hamburg, Bremen, Schalke, Dortmund, Stuttgart oder Hoffenheim statt.
Ist Kießling Aussage wohl kalkuliertes Understatement oder steht sie schlichtweg für einen gesunden Sinn für die Realität?
Es sensationell, dass wir zu diesem Zeitpunkt der Saison tatsächlich noch vor den Bayern an der Tabellenspitze stehen. Felix Magath hat in der letzten Saison bis zum vorletzten Spieltag auch immer wieder betont, dass man ganz sicher kein Meister werde. Und ich sehe in unserer jetzigen Situation auch keinen Grund dafür, lauthals heraus zu hauen „Wir werden Deutscher Meister!“
Was aber nicht heißt, dass man nicht träumen darf...
Logisch! Natürlich möchten wir unsere aktuelle Position verteidigen und auch die nächsten Spiele gewinnen oder wenigstens ungeschlagen bleiben. Wir werden kratzen, beißen und alles tun, um vorne zu bleiben. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass es sehr schwierig wird, wenn die Bayern ihren jetzigen Rhythmus halten. Ich habe schon in der Vorrunde gesagt, als die Münchner noch acht Punkte hinter uns lagen, dass diese Mannschaft immer in der Lage ist, auch mal zehn Spiele am Stück zu gewinnen. Schon im letzten Jahr hatte Bayern einen Super-Kader, u. a. noch mit Zé Roberto und Lucio, und hätte die Meisterschaft mit zehn Punkten Vorsprung gewinnen müssen. Mit Bayern können wir nicht konkurrieren. Die Münchner sehen sich selbst zu Recht in Konkurrenz zu europäischen Top-Klubs wie Real Madrid, Manchester United, FC Barcelona oder Chelsea. Das sind ihre wahren Konkurrenten.
Nach 22 Spieltagen noch ungeschlagener Tabellenführer – hätten Sie sich das vor der Saison vorstellen können?
In dieser Form wohl nicht. Aber weil wir im letzten Jahr am Ende nur Neunter geworden sind, wird gerne vergessen, dass wir damals auch eine tolle Vorrunde gespielt haben und nach 13 Spieltagen ebenfalls Tabellenführer waren. Das ist damals etwas unter gegangen, nicht zuletzt, weil mit Hoffenheim ein Aufsteiger Herbstmeister war.
Die Sticheleien aus München haben sich zuletzt gehäuft; empfinden Sie das als unsportlich oder gehört das zum Geschäft?
Das gehört zum Geschäft, deswegen schlottern hier niemand die Knie.
Befürchten Sie, dass die Münchner versuchen werden, mit der Personalie Toni Kroos Unruhe in Leverkusen zu stiften?
Nein, die Dinge sind zunächst auch geklärt. Wir wissen, dass Toni im Sommer de facto zurück nach München muss. Das heißt aber nicht, dass wir nicht das Gespräch suchen werden, um ihn vielleicht doch ihn Leverkusen zu halten. Bei aller Rivalität haben beide Klubs ein freundschaftliches Verhältnis, sonst wäre die Ausleihe auch gar nicht möglich gewesen. Toni selbst wird in Kürze auch ein Gespräch mit den Bayern haben. Sollte es nicht klappen, dann ist es eben so. Wir selbst verfahren mit unseren Spielern schließlich auch nicht anders. Stefan Reinartz war in Nürnberg ein Garant des Aufstiegs und Manager Bader hat uns angefleht, Reinartz noch ein Jahr behalten zu können. Wir haben ihn dennoch zurückgeholt, weil wir sicher waren, dass wir ihn brauchen werden.
Möchte Kroos überhaupt bleiben?
Er ist ein junger Spieler, dem man schon immer ein riesengroßes Talent nachsagt, was er jetzt in Leverkusen erstmals über einen längeren Zeitraum auch bestätigt hat. Es ist also für alle Beteiligten, für ihn selbst, für uns und auch für die Bayern sehr gut gelaufen. Dass Toni aber auch von der ganz großen Karriere träumt und die irgendwann nicht mehr in Leverkusen sehen wird, ist auch verständlich. Das kennen wir aus der Vergangenheit auch von vielen anderen Spielern.
Einem jungen Spieler wie Kroos würden aber noch ein, zwei Jahre bei Bayer sicher nicht schaden, wohingegen er in München kaum eine Garantie hätte, überhaupt zu spielen...
Stimmt. Mein Lieblingsbeispiel ist Michael Ballack, der als Paradebeispiel für eine perfekte Karriereplanung gelten darf. Michael hat zur richtigen Zeit immer auch die richtigen Entscheidungen getroffen. Kaiserslautern, Leverkusen, München und dann Chelsea, immer einen Schritt nach dem anderen. Junge Spieler sollten sich ihn zum Vorbild nehmen. Denn oft ist ein vermeintlicher Umweg über Bremen, Stuttgart oder Leverkusen nach München oder ins Ausland am Ende die bessere Route.
Gibt Ihnen das Spiel der Bayern gegen Florenz auch Hoffnung, weil es zeigt, dass die Münchner gewiss keine Übermannschaft sind?
Es ist menschlich, dass es nicht immer top läuft. Man kann selbst von den Bayern nicht erwarten, dass sie nach einer halben Stunde 3:0 führen. Sie haben wegen des Abseits-Tores zwar glücklich gewonnen, waren aber doch die klar bessere Mannschaft.
Hat Ihnen gefallen, wie Ribéry kaltgestellt wurde?
Letztlich ist die Qualität der Münchner Spieler in der Summe immer größer, als beim Gegner. Trotzdem kann es vorkommen, dass es dem Gegner auch mal gelingt, wie in diesem Fall z. B. einen der Außen abzumelden. Florenz hat das am Mittwoch gegen Ribéry sehr gut gemacht.
Die Münchner haben Juventus Turin ausschaltet und sind nun auch gegen Florenz auf einem guten Weg; hat die Bundesliga gegenüber der Serie A weiter aufgeholt?
Ganz klar! An der Serie A sind wir sehr nah dran. Was auch die UEFA-Fünfjahreswertung belegt, wo die Bundesliga Chancen hat, den vierten Champions League-Platz zurück zu gewinnen. Ich bin noch immer gut informiert über den italienischen Fußball. Und auch wenn es am Mittwoch knapp war, hat Florenz gegen die Bayern in zwei Spielen keine Chance, wenn nichts Außergewöhnliches geschieht.
Ist die Bundesliga dabei stärker oder die Serie A schwächer geworden?
Beides. Viel hängt noch immer an den Finanzen. Und da gibt es in Italien, vielleicht mit Ausnahme von Inter Mailand, große Probleme. Siehe der Fall Luca Toni und AS Rom. Das hat es zuvor noch nie gegeben, dass ein Spieler von Bayern München nach Italien gehen will und der Wechsel beinahe scheitert, weil der Klub das Gehalt nicht zahlen kann. Die Bundesliga kann vielleicht bei den ganz Großen, den Eto’s dieser Welt noch nicht mithalten. Dahinter aber ist mittlerweile vieles möglich, siehe auch Ruud van Nistelrooy.
Könnte die Dreifach-Belastung der Münchner ein Vorteil für Bayer sein?
So schön der Verbleib in vielen Wettbewerben ist, das stellt generell dennoch eine Belastung dar. Und in Deutschland kann es sich nur Bayern München leisten, einen Kader zu finanzieren, der diese Belastung auffangen kann. Dementsprechend haben die Münchner damit kein Problem. Im Gegenteil: Eine solche Mannschaft braucht das sogar, damit alle Topstars, wie auch Klose oder Tymoschuk und wer dort sonst noch alles herum rennt, mal zum Einsatz kommen und keine Unruhe entsteht.
Am Samstag reist Bayer zum SV Werder nach Bremen, die ebenfalls noch auf drei Hochzeiten tanzen...
Werder hatte auch schon in der Vorrunde viele englische Wochen. Dass man da vielleicht in der Bundesliga den einen oder anderen Punkt eingebüsst hat und vielleicht auch noch einbüsst, das ist durchaus möglich. Denn das Werder besser ist, als der aktuelle Tabellenstand, steht wohl außer Frage.
Am Samstag fehlt Ihnen ausgerechnet Sami Hyypiä, der notenbeste Abwehrspieler der Liga; haben Sie sich selbst schon einmal auf die Schulter geklopft für diesen Transfer, den der eine oder andere Kritiker vor der Saison belächelt hatte?
Nein. Egal, wer hier im Verein eine gute Idee hatte oder hat, ob das noch Michael Skibbe war, der das Konzept, auf die Jugend zu setzen, als Erster erfolgreich vorwärts getrieben hat, oder Michael Reschke oder einer aus der Scouting-Abteilung ist, wir stellen das nach außen immer als Erfolg des Klubs, nicht eines Einzelnen dar.
Nichtsdestotrotz war Hyypiä aber doch Ihre Idee?
Wie gesagt, wir entscheiden immer gemeinsam. Dass dieser Transfer aber gelungen ist, steht außer Frage. Wir hatten in den letzten Jahren sehr viele Top-Transfers, von Ballack über Lucio und Emerson bis zu Zé Roberto, um nur einige zu nennen. Hyypiä, der noch dazu ablösefrei war, gehört aber auf jeden Fall zu den Top Five-Transfers aller Zeiten in Leverkusen. Und es stimmt, dass viele vor der Saison geunkt haben, dass er kaum noch Top-Niveau erreichen würde. Umso wichtiger ist es, immer gemeinsam entscheiden und dann bisweilen auch Dinge durchzuziehen, die in der Öffentlichkeit zunächst nicht so gut ankommen, wenn man von ihnen überzeugt ist. Auch für die Verpflichtung von Jupp Heynckes haben wir zunächst nicht nur Lob erhalten. Aber ich war überzeugt, dass das passt, weil Jupp schon immer auch auf junge Spieler gesetzt hat. Und bisher gibt uns der Erfolg Recht.