Adler: „Ich fände es besser, wenn Klarheit herrschen würde“

  • RENÉ ADLER (25) spricht über die Nationalelf, seine Parallelen zu Kahn und van der Saar, den Umgang mit Patzern. Und vom großen Druck der Bayern.


    kicker: Herr Adler, wissen Sie schon, wer am Mittwoch im Tor steht?


    René Adler: Näheres weiß ich nicht. Ich hoffe, ich spiele. Die letzten Spiele habe ich gut gemacht.


    kicker: Sehen Sie sich im Vorteil?


    Adler: Diese Torwartdiskussion vor Turnieren hat Tradition. In jedem Fall trug ich meinen Teil zur Qualifikation bei. Einen Freifahrtschein habe und will ich nicht, sondern mit Leistung überzeugen.


    kicker: Wissen Sie lieber frühzeitig Bescheid? Oder sagen Sie sich, Hauptsache ich bin WM-Keeper?


    Adler: Generell ist es angenehmer, wenn man es vorzeitig weiß, damit man sich mental einstellen kann. Ich fände es deshalb besser, wenn da Klarheit herrschen würde.


    kicker: Wer ist Ihr Hauptkonkurrent: Manuel Neuer oder Tim Wiese?


    Adler: Es ist ein ausgerufener Dreikampf, den wir sportlich fair führen. Aber jeder will die Nummer 1 sein.


    kicker: Am 23. Spieltag patzten alle drei Kandidaten: Ist es der Druck?


    Adler: Das hat damit nichts zu tun. Ab und zu unterlaufen Fehler.


    kicker: Sind Sie, Neuer und Wiese das Trio für Südafrika?


    Adler: Wir drei sind zurzeit zu Recht im Nationalkader, diese Position haben wir uns durch konstante Leistungen erarbeitet.


    kicker: Anders als Wiese gestanden Sie Ihren Patzer gegen Bremen ein: Darf ein Torhüter Fehler zugeben?


    Adler: Das muss jeder mit sich ausmachen. Ich kann mit Fehlern offensiv umgehen, Fußballer sind keine besseren, fehlerlosen Menschen. Ich halte es für eine Stärke, zu meinen Schwächen zu stehen und finde es albern, nach Ausreden zu suchen.


    kicker: Wie verarbeiten Sie Patzer?


    Adler: Als junger Torwart kann, muss und werde ich noch viel lernen. Früher habe ich mehr mit mir gehadert, heute weiß ich, dass Fehler dazugehören: Ich musste lernen, dass es ein elementarer Teil im Leben eines Torwarts ist, damit umzugehen. Entscheidend für einen guten Torwart ist, dass man nach einem schweren Patzer cool reagiert und sein Spiel durchzieht, ohne dass das eigene Spiel zusammenbricht. Das ist eine absolute Stärke, und das ist mir in Bremen gelungen, wie mir Jupp Heynckes bestätigte. Es ist übrigens erstaunlich, wie viel Ahnung unser Trainer vom Torwartspiel hat.


    kicker: Was sagte Ihnen Heynckes?


    Adler: Er weiß, dass ich Perfektionist bin, und versuchte den Druck von mir zu nehmen. Er hat da ein sehr gutes pädagogisches Händchen.


    kicker: Ist der Umgang mit Negativem eine Frage der Erfahrung?


    Adler: Klar. Deshalb sagt man aus gutem Grund, das optimale Torwartalter beginne Anfang 30. Wenn man Situationen abertausende Male erlebt hat, reagiert man anders. Bei Flanken, im Stellungsspiel, im eins gegen eins verhalte ich mich heute anders als vor drei Jahren. Man erinnert sich unbewusst an Szenen, in denen man falsch reagierte, und macht es jetzt instinktiv anders: Das nennt man Erfahrung.


    kicker: Den drei Torwart-Kandidaten für die WM fehlt die große Turniererfahrung. Ist das ein Nachteil?


    Adler: Irgendwann muss man anfangen, diese Erfahrung zu sammeln. Mit 20 kann ich nicht schon drei Turniere gespielt haben.


    kicker: Ist der Druck im Meisterschaftsrennen ein Vorteil?


    Adler: Da kann etwas Wahres dran sein.


    kicker: Die Keeper in den letzten Turnieren hießen Jens Lehmann und Oliver Kahn. Sind Sie der junge Kahn oder der junge Lehmann?


    Adler: Ich bin der junge Adler. An Kahn begeistert mich viel, bei Lehmann beeindruckt mich viel.


    kicker: Was bei wem?


    Adler: Wie Kahn messe ich dem mentalen Bereich großen Wert bei, weil ich weiß, dass auf Topniveau die mentale Schiene Spiele entscheiden kann. Olli hatte den Tunnelblick, die Fokussierung auf den Punkt. Ich versuche das auch. Bei Jens beeindruckte mich 2008, mit welcher Akribie, mit welchem Ehrgeiz, er jedes Training anging.


    kicker: Wer ist für Sie der aktuell beste Torwart der Welt?


    Adler: Es ist besser, von fünf zu sprechen: Casillas wurde zu Recht Welttorhüter; van der Saar beeindruckt mit 39, wie er das Torwartspiel interpretiert – ich habe eine ähnliche Spielweise und versuche seine Elemente zu übernehmen, etwa wie er den Ball abschlägt oder mitspielt; Peter Cech; Buffon; Pepe Reina.


    kicker: Braucht ein Torhüter zur Weltklasse ein gewisses Alter?


    Adler: Zunächst definiert sich Weltklasse über Leistung, aber die Erfahrung spielt eine wesentliche Rolle. Mit meinen 25 Jahren spiele ich schon auf einem hohen Niveau, aber in fünf Jahren werde ich definitiv auf einem höheren Niveau spielen als jetzt.


    kicker: Braucht ein Torhüter wie Sie irgendwann die Champions League für den letzten Schritt nach oben?


    Adler: Nein, auch wenn es die Entwicklung fördert. Ich will das auch erleben. Es gibt aber Nationaltorhüter, die da nicht spielten oder nicht immer: Köpke, Illgner, Schumacher. Ich hoffe, wir sind mit Bayer 2010/11 dabei.


    kicker: Müssen Sie sonst weg?


    Adler: Das ist auch falsch. Aber ich mache kein Hehl daraus, dass ich irgendwann ins Ausland möchte. Den Zeitpunkt entscheide allein ich. Zurzeit fühle ich mich in Leverkusen sehr wohl und glaube, dass ich mich hier in den nächsten Jahren sehr gut weiterentwickeln kann.


    kicker: Heynckes nennt Sie einen Führungsspieler. Was tun Sie da?


    Adler: Ich spreche Dinge klar an und möchte den jungen Spielern helfen, weil ich weiß, wie ich mit 20 ehrfürchtig in der Kabine saß und auf die älteren Spieler aufschaute. Wenn man dann Führungsspieler ist, bin ich es gerne.


    kicker: Muss das gesamte Team Ehrfurcht abbauen diese Saison?


    Adler: Ja. Jupp Heynckes hat uns immer wieder eingebleut, dass wir unsere Stärken ausspielen sollen.


    kicker: Darf ein Führungsspieler von Bayer auch vom Titel sprechen?


    Adler: Prinzipiell gibt es da kein Verbot. Völler sagt zu Recht, dass der Titel über Bayern entschieden wird, aber auch einen Großteil über uns. Der FC Bayern ist noch eine ganz andere Hausnummer mit seinen gestandenen Weltklassespielern.


    kicker: Muss bei Bayer jetzt der nächste Schritt, hin zu noch mehr Selbstbewusstsein, kommen?


    Adler: Wir wissen, welche Eigendynamik im vorigen Jahr in Wolfsburg entstand. Irgendwann kommt der Punkt, da wir sagen: Hey, da ist was möglich! Jetzt ist es noch zu früh.


    kicker: Brachte das 0:0 gegen Köln die Bestätigung für diese Vorsicht?


    Adler: Das Spiel war, wie wir es uns vorgestellt haben. Unser Ziel bleibt das internationale Geschäft.


    kicker: Völler nennt auch Platz zwei einen Erfolg. Baut er damit vor?


    Adler: Quatsch. Und es würdigt nicht die Leistung unserer jungen Truppe, wenn ganz Deutschland – so mein Gefühl – darauf wartet, dass Bayer wieder nur Zweiter ist. Da fehlt der Respekt.


    kicker: Heynckes ist etwas forscher gegenüber den Bayern.


    Adler: Der Trainer weiß genau, was er tut. Er kennt die Strukturen in München und die handelnden Figuren. Das ist ein Vorteil. Die Bayern haben einen anderen Druck als wir.


    kicker: Was muss Mittwoch passieren, damit Sie zufrieden sind?


    Adler: Es muss einen Sieg geben, und als Torwart will man immer zu null halten. Das wäre das Optimum.


    kicker: Und 90 Minuten mit Ihnen?


    Adler: Das setzt das voraus.


    kicker: Fahren Sie mit einem Titel zur WM?


    Adler: Das wäre sensationell.


    kicker: Kehren Sie mit dem Titel aus Südafrika zurück?


    Adler: Deutschland ist eine Turniermannschaft. Und als Fußballer strebt man nach dem Höchsten.
    INTERVIEW: KARLHEINZ WILD


    Quelle: kicker-Printausgabe vom 01.03.10