Die Diskussion um den verletzten Star
Statt in Südafrika hat sich Michael Ballack (33) das WM-Halbfinale gegen Spanien in Luxemburg angeschaut. Im TV, nicht im Stadion in Durban. Das 4:0 gegen Argentinien hatte er noch live in Kapstadt miterlebt. Und es war auch geplant, dass der Patient (Bänderriss) sein Rehaprogramm im Trainingscamp der DFB-Elf fortführen sollte.
Doch, welch wundersame Fügung! Plötzlich habe sich unerwartete Besserung eingestellt, so dass Ballack am Montag überraschend abreiste. Das weitere Aufbaupensum sei in der DFB-Herberge nicht mehr möglich. Außerdem, so formulierte es Manager Oliver Bierhoff, habe Ballack „keine Ressourcen abziehen“ wollen von der Mannschaft. Ach, wie haben sie sich bemüht um eine diplomatische Ausdrucksweise, die dann doch eher peinlich geriet! So zwang sich auch Bastian Schweinsteiger zu einem einigermaßen freundlichen, letztlich kühl-distanzierten Willkommensgruß an den Besucher: „Schön, dass er hergekommen ist“; aber „so nah, so eng“ sei er nicht an der Mannschaft dran, um große Hilfe leisten zu können. Eher das Gegenteil war der Fall: Die 2010er WM-Generation fühlte sich von der vormaligen Führungskraft in ihrem Einvernehmen gestört. Wie zur Bestätigung sagte der neue Kapitän Philipp Lahm zur montäglichen Mittagszeit: Ja, er würde gerne Kapitän bleiben und die schwarz-rot-goldene Spielführerbinde nicht freiwillig zurückgeben an Ballack.
Dessen Echo blieb bislang aus. Doch gefallen haben Ballack diese forschen wie verständlichen Äußerungen des Kollegen gewiss nicht. Auch die Team-Führung begeisterte diese Debatte um die K-Frage in diesem Turnierstadium nicht, Bierhoff sprach zu Recht von einem „unglücklichen Zeitpunkt“ und stellte klar: „Michael ist unser Kapitän, Philipp unser WM-Kapitän.“
Genau diese Frage wird nach dem Turnier zu klären sein. Denn Ballack, seit 98 Länderspielen Überzeugungs-Nationalspieler, möchte seine Karriere im DFB-Trikot bis zur EURO 2012 fortsetzen. Es ist schwer vorstellbar, dass er dies neben oder unter einem Kapitän Lahm tun wird. Jedoch hat sich im WM-Vorlauf und in Südafrika eine Gruppe gefunden, in die sich Ballack erst einfinden muss. Da ist fortan nichts mehr, wie es vor der WM war.
Aber wird Ballack deswegen nicht mehr gebraucht? Nicht als Kapitän, nicht mal als Spieler? Günter Netzer teilt diese voreilige Meinung nicht, er sagt: Ballack, gesund und fit, habe „eine Wichtigkeit für die Nationalelf“. Deshalb dürfe es „nicht passieren, dass er in Vergessenheit gerät“, unabhängig vom südafrikanischen Abschlusszeugnis: „Das Abschneiden bei der WM bedeutet nicht, dass das Thema Ballack erledigt ist. Er hat die Klasse, sich in dieser Mannschaft wieder zurechtzufinden.“
Voraussetzung ist freilich seine absolute Leistungsfähigkeit. Diesen Topzustand werde Ballack wieder erreichen, sagt Jupp Heynckes, sein künftiger Klubtrainer in Leverkusen. Er ergänzt: „Ein Spieler mit dieser Weltkarriere und einer solchen Persönlichkeit lässt sich von sowas nicht beeinflussen. So darf Michael nicht aufhören, und das wird er auch nicht.“
Womöglich wird Ballack nach dem gestrigen Aus sogar früher gebraucht als gedacht. Zum Finale muss er nun nicht mehr fliegen.
Quelle: kicker-Printausgabe vom 08.07.10