Die NATIONALELF spielt 2:2 in Dänemark, die Debatte um ihren Kapitän rückt aber alles in den Schatten. Was wird aus Michael Ballack? Bayer und Bayern streiten. Rudi Völler stellt sogar die Sinnfrage.
Der Auftakt war bizarr. Im ersten Länderspiel der deutschen Nationalelf nach der WM war nichts mehr vom Glamour der Südafrika-Auftritte zu spüren. Zwei B-Teams trafen in Dänemark aufeinander, das Stadion war halbleer und der Regen von Kopenhagen so stark, dass Bundestrainer Joachim Löw und die Ersatzspieler für eine Hälfte von der Bank auf die Haupttribüne umziehen mussten.
Nach 90 ordentlichen Minuten stand ein 2:2, das nach einem 2:0-Vorsprung jedoch eher ernüchternd war. Mario Gomez, der zuletzt so glücklose Münchner, durfte sich über sein 13. Länderspieltor freuen. Er ärgerte sich aber auch: „Wir hätten das Spiel nicht mehr hergeben dürfen.“ Im Tor stand diesmal Tim Wiese, sicher auch, weil er die Rolle des Ersatzkeepers bei der WM so klaglos hingenommen hatte. „Es war okay“, urteilte der Bremer. Manuel Neuer musste das schlucken, auch wenn er seine Leistungen beim Weltturnier liebend gern „untermauert hätte“. Nun greift in Leverkusen René Adler wieder ein. Da dürfte es neue Spannung geben.
Riesige Erkenntnisse konnte Löw aus diesem Spiel der zweiten deutschen Garnitur gegen die völlig neuformierte dänische Auswahl allerdings nicht mitnehmen, und er durfte sie auch nicht erwarten. Anders als 2008, als er nach der EURO binnen zwei Jahren eine Komplettrenovierung des Kaders vollzog, wird sich diesmal mittelfristig, über die Zeitspanne bis zur Europameisterschaft 2012 in Polen und in der Ukraine, am Aufgebot des WM-Dritten nicht viel ändern. Von den 23 Südafrika-Fahrern stehen 22 auch für die EM zur Wahl, nur Jörg Butt nicht mehr.
Beim Kopenhagen-Trip war es Löw „wichtig, im Training und in diesem Spiel von jenen Spielern einen persönlichen Eindruck zu gewinnen, die wir sonst nur in der Bundesliga beobachten“. Denn mit dem Start in die EM-Qualifikation gegen Belgien in Brüssel beginnt für Löw „ein neuer Abschnitt über 14, 15 Monate“. Und aus den Erfahrungen der Heim-WM vor vier Jahren, als die Nationalspieler in der Folgezeit reihenweise verletzt ausfielen, weiß Löw: „Es ist wichtig, dass man einen etwas breiteren Kader hat.“ Zumindest dafür haben sich in Kopenhagen neben Gomez Rückkehrer Thomas Hitzlsperger und Christian Gentner empfohlen.
Viel brisanter ist 22 Tage vor dem Start in die EM-Qualifikation ohnehin, wer die Nationalmannschaft künftig als Kapitän anführt. „Ernsthafte und seriöse Gespräche“ hat Löw für die nächsten Wochen mit den Beteiligten angekündigt, dann will er seine Entscheidung bekanntgeben. Michael Ballack Kapitän, Philipp Lahm WM-Kapitän – die bis Turnierende offiziell ausgegebene Formel hat Löw damit infrage gestellt. Weshalb das Thema zum Politikum geworden und jetzt auch zum Streit zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen ausgeufert ist. „Wir nehmen den Lobbyismus in Leverkusen für Ballack schmunzelnd zur Kenntnis. Das haben wir beim FC Bayern für Lahm nicht nötig. Ich habe keine Bedenken, dass Bundestrainer Löw die richtige Entscheidung fällen wird“, stichelte Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge am Mittwoch in Richtung Jupp Heynckes und Rudi Völler, der im Gespräch mit dem kicker umgehend konterte. „Ich kann nur betonen, dass es hier nicht darum geht, einen Spieler von Bayer Leverkusen zu schützen. Es geht um Grundsätzliches und ich bin sicher, dass Kalle Rummenigge, den ich sehr schätze, dies nicht anders sieht. Es geht um Respekt und darum, wie man mit einem verletzten Spieler umgeht“, so die Position des früheren DFB-Teamchefs, der hinzufügt: „Was die Bayern angeht: Dieser Spieler stand lange beim FC Bayern unter Vertrag und holte Titel für den Klub. Es kann keine zwei Meinungen geben, wie man mit solch einem Spieler umzugehen hat. Und stünde Michael noch bei den Bayern unter Vertrag, würden Kalle Rummenigge und Uli Hoeneß sicher die gleichen Worte gebrauchen wie jetzt ich. Ganz sicher!“
Völler wirbt zu Recht um einen offenen und fairen Umgang in der K-Frage, die nach seiner Ansicht weitreichende Bedeutung haben dürfte. Mit dem Bayer-Sportchef deutet erstmals ein Beteiligter aus Ballacks Umfeld an, dass von Löws Votum die weitere Nationalmannschafts-Karriere des 33-Jährigen abhängig sein könnte. „Wenn man wie Michael Ballack erklärt hat, nur noch zwei Jahre spielen zu wollen, der Bundestrainer aber eine Drei- oder sogar Vierjahresplanung aufstellt, dann ist es legitim darüber nachzudenken, ob es noch gemeinsam Sinn macht. Dann muss man sich im September an einen Tisch setzen und offen und ehrlich miteinander reden.“ Wirft Ballack am Ende also hin, wenn Löw sich doch für Lahm entscheidet?
Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff stellte am Mittwochabend im ZDF klar: „Die Entscheidung in der Kapitänsfrage ist noch nicht gefallen, auf gar keinen Fall. Michael Ballack ist ein großer Spieler. Jetzt muss eine Entscheidung her, die beiden Spielern gerecht wird.“ Es bleibt also spannend.
Quelle: kicker-Printausgabe vom 12.08.10